München

Rachel Ruysch – Nature into Art

Rachel Ruysch (1664-1750): Stillleben mit Rosenzweig, Käfer und Biene (Detail), 1741, Öl auf Leinwand, auf Eichenholz aufgezogen 20 x 24,5 cm, Kunstmuseum Basel. © Kunstmuseum Basel
Mit Blütenblättern zu Weltruhm: Niemand hat jemals Blumen-Stillleben so frisch, lebendig und detailreich gemalt wie die Barockkünstlerin Rachel Ruysch in Amsterdam. Ihren unnachahmlich raffinierten Kompositionen widmet die Alte Pinakothek eine glänzend kuratierte Retrospektive.

Mitten in der kalten Jahreszeit frische Blumen? Inzwischen ist das selbstverständlich – im 17. Jahrhundert half dagegen nur gemalte Blütenpracht. Rachel Ruysch (1664-1750) hielt die zarte Flora ultrascharf wie mit einer Digitalkamera und dadurch täuschend echt fest: ob Pfingstrose, Waldrebe, Sonnenblume oder Schwertlilie. So konservierte sie, was schnell verwelkt; vom bescheidenen Duftsträußchen bis zum üppig-luxuriösen Bouquet.

 

Info

 

Rachel Ruysch - Nature into Art

 

26.11.2024 - 16.03.2025

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

dienstags und mittwochs bis 20 Uhr

in der Alten Pinakothek, Barerstr. 27, München

 

Katalog  39,90 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Ihr gelang im Medium der Malkunst, was ihr damals berühmter Vater Frederik Ruysch als Naturforscher mit pflanzlichen und anatomischen Präparaten schaffte: Verfall stoppen und dauerhaft Sichtbarkeit herstellen. Die hochbezahlte Könnerin wollte aber noch mehr: Auch das Sich-Fortpflanzen und Gefressen-Werden, das Aufblühen und Verwesen, die Prozesse des Entstehens und Vergehens in der Natur nahm sie ins Bild auf. Ganze Minidramen spielen sich in Lebensgröße auf ihren präzisen Stillleben-Kompositionen ab.

 

Von München nach Toledo + Boston

 

Ruysch war – das sahen schon die Zeitgenossen so – eine der ganz Großen ihres Fachs; ihre Meisterwerk werden von namhaften Museen in aller Welt gehütet. Aber die kunsthistorische Forschung hat sich lange kaum mit Rachel Ruysch befasst: Diese Ausstellung ist die erste umfassende Retrospektive der Künstlerin überhaupt. Nach dem Auftakt in der Alten Pinakothek wandert sie nach Toledo im US-Bundesstaat Ohio und anschließend nach Boston; ein Muss nicht nur für Botanik-Liebhaber.


Feature zur Ausstellung; © Pinakotheken


 

Vater war angesehener Arzt + Botaniker

 

Aber sind Stillleben nicht schrecklich langweilig? Wer Bilder von Blumen schon immer für belanglos hielt, darf sich überraschen lassen. Die glänzend kuratierte Schau macht zudem deutlich: Naturwissenschaftlich war die Künstlerin auf der Höhe ihrer forschungsfreudigen Zeit. Vor allem aber sind diese Gemälde eine Augenweide, die ihre Reize beim genauen Hinsehen enthüllt – es lohnt sich, eine Lupe oder zumindest Brille mitzubringen.

 

Erstaunlich ist schon die Biographie der zehnfachen Mutter, Hofmalerin und Lottogewinnerin. Wie konnte sie als Frau derart erfolgreich arbeiten? Ebenso wichtig wie Talent waren professionelle Ausbildung, Förderung und Vernetzung; deshalb stammten bis ins 19. Jahrhundert die meisten Malerinnen aus Künstlerfamilien. Nicht so Rachel Ruysch: Sie wuchs in einem wohlhabend-intellektuellen Umfeld auf. Ihr Vater Frederik genoss als Chirurg, Anatomieprofessor und Leiter des Botanischen Gartens von Amsterdam europaweit Ansehen.

 

Schwester Anna war fast so gut

 

Seine 15-jährige Tochter schickte er zum renommierten Stilllebenmaler Willem van Aelst in die Lehre – eine kostspielige Investition, die man weiblichem Nachwuchs selten gönnte. Dass auch die jüngere Schwester Anna wohl dieselbe Chance bekam, zeigt ein eigenes Themenkabinett in der Schau. Auf den ersten Blick sehr ähnlich, erreichen Annas Werke doch nicht den malerischen Schmelz und die kompositorische Meisterschaft der Ausnahmekünstlerin Rachel.

 

Den Werdegang der älteren Schwester zeichnet die Ausstellung chronologisch nach. Bewundernd steht man vor einem mit lockerer Schnur geknüpftem Blumengebinde von 1691. Elegant und wie zufällig hängt eine lang schwingende, dornenbesetzte Brombeerranke herab – und dem Betrachter fast greifbar entgegen. Daneben öffnet sich eine reife Esskastanie neben späten Rosen und saftigen Trauben: Geschmack und Geruch des Herbstes sind hochdekorativ eingefangen.

 

Waldboden-Stillleben mit Echsen + Kröten

 

Solche Tricks schaute sich die junge Künstlerin von ihrem Lehrmeister ab, teils beim Kopieren seiner Motive. Doch wo Willem van Aelst die elitäre Kundschaft mit kostbaren Silbergefäßen oder teuren Taschenuhren als Beiwerk entzückte, setzte Ruysch ganz auf die Reize der Natur. Früh beginnt sie, mit fein nuancierten Beleuchtungseffekten Blicke zu lenken und Spannung aufzubauen. Aus dunklen Bildgründen leuchten ihre Blumen wie Juwelen. Geschickt platziert sie oft zwei, drei große Blüten als Blickfang im Zentrum und sorgt mit dynamischen Asymmetrien für Lebendigkeit.

 

Dabei bindet Ruysch nicht nur gängige Zuchtblumen wie Rosen, Tulpen oder Lilien zusammen. Auch düster-unheimliche Waldboden-Stillleben hat sie im Repertoire, ähnlich wie ihr Amsterdamer Maler-Kollege Otto Marseus van Schrieck. Da schleichen sich Eidechsen auf Beutefang an Insekten heran; Kröten kauern im schattigen Unterholz zwischen Pilzen, und dorniges Gestrüpp wuchert über feuchtem Moos. Die Natur ist nicht immer lieblich. Statt Tulpen-Monokultur herrscht Biodiversität auf Ruyschs Bildern.

 

Wissens-Import aus den Kolonien

 

Jedes Detail ist so akribisch beobachtet, dass heutige Naturforscher Gattung und Art der Pflanzen und Insekten in vielen Fällen exakt bestimmen können: bis zu 36 Spezies in einem Gemälde. Woher die Künstlerin ihr beispielloses Fachwissen hatte, erhellt ein veritables Naturkunde-Kabinett. Darin sind Gläser mit Nasspräparaten wandhoch aufgereiht, wie einst im Haus von Vater Ruysch. Er machte mit einer selbst entwickelten Balsamiertechnik, um Körper lebensecht haltbar zu machen, in Fachkreisen Furore.

 

Die Ausstellung beschränkt sich freundlicherweise auf bleiche Pflanzenpräparate und aufgespießte Schmetterlinge; die ausgestellten Naturalien kann man allesamt in Ruyschs Gemälden wiederentdecken. Im 17. Jahrhundert wurde der Wissensdurst durch exotische Pflanzen aus den niederländischen Kolonien und weltweiten Handelsniederlassungen geweckt. Ruyschs Zeitgenossin Maria Sibylla Merian (1647-1717), ebenfalls in Amsterdam ansässig, studierte im südamerikanischen Surinam die faszinierende Verpuppung von Schmetterlingen und hielt sie im Bild fest.

 

Hofmalerin ohne Residenzpflicht

 

Von solchen Forschungen profitierte Rachel Ruysch, indem sie als eine der ersten künstlerisch Kapital daraus schlug; offenbar schuf sie manche ihrer Stillleben mit exotischen Gewächsen bewusst für zahlungskräftige Botanisten. Zum kultivierten Fachsimpeln lud etwa die afrikanische Aasblume ein, deren Gestank bestimmte Insekten anlockt; flankiert von blendend weißen Blütentrompeten des Indischen Stechapfels und einer orange blühenden Kürbisart aus Sri Lanka.

 

Die Reputation ihres Vaters nutzte die Malerin für einen entscheidenden Karriereschritt. Durch ihn kam sie in Kontakt mit Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz (1658-1716), der ab 1690 in Düsseldorf residierte. Ab 1708 war sie Hofmalerin mit festem Jahresgehalt, aber ohne Verpflichtung, sich dort aufzuhalten – ein Sonderstatus, den kein anderer Stillleben-Spezialist jemals genoss.

 

Schmetterlingsflügel als I-Tüpfelchen

 

Der feiste Wittelsbacher Fürst ist mit seiner Frau, einer gebürtigen Medici, im größten Ausstellungssaal doppelt zugegen: gemalt und als Büste. Wie ein Feingeist wirkt er nicht gerade. Doch er eröffnete in Düsseldorf eine der ersten und hervorragend bestückten Gemäldegalerien im Deutschen Reich. Ihm musste Ruysch jährlich ein Stillleben liefern, was etwa ihrer halben Jahresproduktion entsprach.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Menagerie der Medusa – Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten" – gelungene Werkschau des Erfinders der Waldboden-Stillleben in der Galerie Alte & Neue Meister, Schwerin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Geniale Frauen – Künstlerinnen und ihre Weggefährten" – Porträts von 30 Künstlerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts in Hamburg + Basel

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst" – facettenreiche Themenschau in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Barock – Nur schöner Schein?" über Künste + Wissenschaften des Barock-Zeitalters in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim.

 

Auf ihren Hauptwerken wiederholt sich die Malerin nie, aber sie versteht es, jedem Gemälde ihre Handschrift zu verleihen. Woher nahm Ruysch bloß die enorme Konzentration, jedes einzelne Blütenblatt so duftig zart und dabei so naturidentisch zu malen? Kein einziger Pinselstrich wird mit bloßem Auge sichtbar. Selbst in extremer Detailvergrößerung wirken ihre Gemälde noch immer naturgetreu. Tatsächlich drückte Ruysch zeitweise sogar echte Schmetterlingsflügel auf die feuchte Malschicht – ein Verfahren, das Marseus van Schrieck erfunden haben soll – so dass winzige, farbig schimmernde Schuppen haften blieben.

 

Hauptgewinnerin in Staatslotterie

 

Ab 1723 legte sie ein Jahrzehnt lang eine Schaffenspause ein. Die 59-Jährige hatte nämlich den Hauptpreis der staatlichen Lotterie gewonnen; für stattliche 75.000 Gulden konnte man mehrere Grachtenhäusern in Amsterdam kaufen. Im hohen Alter fing sie dann doch wieder an, zu malen. Als der Kunstschriftsteller Johan van Gool sie mit mehr als 80 Jahren in ihrem Atelier interviewte, staunte er, wie präzise sie immer noch arbeitete.

 

Stolz setzte Rachel Ruysch nun ihr Alter neben die Signatur. Interessanterweise hellen sich im Spätwerk ihre Farben auf und wirken fast rokokohaft. Ruysch reagierte damit auf den Trend der Zeit: Ihr junger Konkurrent Jan van Huysum, ebenfalls mit zwei Werken in der Ausstellung vertreten, setzte auf elegante Pracht in weich verschwimmenden Tönen. Das Zeitalter, in dem sich Kunst und Wissenschaft auf Augenhöhe begegnet waren, ging vorbei.

 

Star im Rampenlicht

 

Auf einem Bildnis, das ihr Ehemann Juriaen Pool schuf, stützt die Künstlerin nachdenklich den Kopf in die Hand und blickt den Betrachter an. Diese klassische Geste der Melancholie galt als Zeichen von Intellektualität und geistig anspruchsvoller Schöpferkraft. Eine Frau als künstlerisches Genie? Für ihr Geschlecht damals eine neue Rolle. Ihr Ehemann hält sich auf dem Gemälde dezent im Hintergrund: Der Star im Rampenlicht ist Rachel Ruysch.