Adèle Exarchopoulos

Beating Hearts (L’Amour ouf)

In einer Traum-Sequenz erlebt Jackie (Mallory Wanecque) ein wildes Tanz-Duett mit Clotaire (Malik Frikah). Foto: © Tresor Films- Chi-Fou-Mi Productions
(Kinostart: 27.3.) Romeo und Julia mit Knast und Kleinbürgerhölle: Die Liebe zwischen einem Kleinkriminellen und einer Halbwaisen schildert Regisseur Gilles Lellouche als betörend originellen Bilderbogen, der zwischen Romantik-Drama und Gangster-Epos changiert. Eine Amour fou, so intensiv wie das erste Mal.

Alle paar Jahre wird in Frankreich eine epische Liebesgeschichte gedreht, deren existentielle Wucht das Publikum mitreißt. Mit „Die Liebenden von Pont Neuf“ über die Beziehung eines Clochards zu einer erblindenden Malerin wurde Regisseur Leos Carax 1991 schlagartig berühmt. Mit „Blau ist eine warme Farbe“ machte Regisseur Abdellatif Kechiche 2013 das Verhältnis zweier jugendlicher Lesben zur klassischen éducation sentimentale. Und in „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ katapultierte Jacques Audiard 2021 eine Vierecksbeziehung in die Gegenwart von Tinder und Webcam-Models.

 

Info

 

Beating Hearts (L'Amour ouf)

 

Regie: Gilles Lellouche,

161 Min., Frankreich/ Belgien 2024;

mit: Adèle Exarchopoulos, François Civil, Malik Frikah, Vincent Lacoste, Benoît Poelvoorde

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dagegen wirkt die Figurenkonstellation von „Beating Hearts“ so altmodisch und vertraut wie der Titel – weil in der englischen Version das Wortspiel des Originals verloren geht. Französische Teenager benutzen gern den Jugend-Jargon Verlan, bei dem die Reihenfolge von Wortsilben umgekehrt wird. „Ouf“ ist die Verlan-Variante von „fou“, also „verrückt“ – und zugleich synonym mit dem Ausruf „Uff!“. „L’Amour ouf“ bedeutet also eine Amour fou, die echt anstrengend ist.

 

Es funkt beim Schulbus-Ausstieg

 

Worauf in einer nordfranzösischen Kleinstadt Anfang der 1980er Jahre erstmal nichts hindeutet. Girl meets boy: Als die 15-jährige Jackie (Mallory Wanecque) aus dem Schulbus aussteigt und den 17-jährigen Clotaire (Malik Frikah) sieht, funkt es zwischen beiden sofort. Seit dem Unfalltod ihrer Mutter lebt Jackie allein bei ihrem Vater; in Sakko und Lederschuhen wirkt die Musterschülerin deutlich reifer als ihre Klassenkameraden. Clotaire hingegen hat die Schule geschmissen, tanzt seinen Arbeiter-Eltern auf der Nase herum und spielt den großmäuligen Macker, wenn er mit Kumpels die Zeit totschlägt oder in Geschäften Kleinkram klaut.

Offizieller Filmtrailer


 

Wirbelwind der ersten großen Liebe

 

Der Rausch ihrer ersten großen Liebe fegt wie ein Wirbelwind über die Leinwand. Da mopst Clotaire aus dem Lieferwagen eine ganze Palette von Jackies Lieblings-Dessert und serviert es ihr in der Schulmensa. Oder sie knattern auf Clotaires Mofa zum Fluss und springen 15 Meter tief ins Wasser. In einer Traum-Sequenz tanzen sie ein Duett zwischen Pas de deux und Kampfsport-Schrittfolgen – ausgerechnet zu „A Forest“ (1980) von Jackies Lieblingsband „The Cure“. Erstaunlich, wie passend dieser spröde Dark-Wave-Song ihren Liebestaumel untermalt.

 

Doch Clotaire rutscht in die Kriminalität ab. Er schließt sich der Bande der Unterweltgröße La Brosse (Benoît Poelvoorde) an, die regelrechte Raubzüge begeht. Beim Überfall auf einen Geldtransporter erschießt der Sohn von La Brosse einen Fahrer. Clotaire wird als Bauernopfer vor Gericht gestellt und zu zwölf Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. So landet die Jugendliebe hinter Gittern.

 

Rachefeldzug nach dem Wiedersehen

 

Jackie kann das nicht verwinden, lässt sich treiben und jobbt bald als Schulabbrecherin (nun: Adèle Exarchopoulos) in einer Autovermietung. Ihr Vorgesetzter Jeffrey (Vincent Lacoste), von ihrer schlagfertigen Renitenz fasziniert, umgarnt sie erfolgreich; auch ihren Vater freut, dass sie in den Hafen einer stabilen Kleinbürger-Beziehung einläuft. Dann erscheint Clotaire (jetzt: François Civil) nach verbüßter Strafe wieder auf der Bildfläche.

 

Jackie verfällt ihm abermals, aber er hat vor allem seinen Rachefeldzug gegen La Brosse und Sohn im Sinn, die ihn in den Knast brachten. Im Handumdrehen reißt er den regionalen Drogenhandel an sich. Bis die Dinge bei beiden völlig eskalieren – und in ein so unwahrscheinliches wie lebenswertes Happy-End münden.

 

Verspielt-exzentrische Episoden

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Blau ist eine warme Farbe" – episches Liebesdrama junger Lesben von Abdellatif Kechiche, Cannes-Sieger 2013, mit Adèle Exarchopoulos

 

und hier eine Besprechung des Films "Wo in Paris die Sonne aufgeht" – wunderbare Tragikomödie über eine Vierecksbeziehung von Jacques Audiard

 

und hier einen Beitrag über den Film "In den Gängen" – poetische Kleine-Leute-Liebesgeschichte in Ostdeutschland von Thomas Stuber mit Sandra Hüller

 

und hier einen Bericht über den Film "Mein Stück vom Kuchen" – originelle Klassenkampf-Tragikomödie von Cédric Klapisch mit Gilles Lellouche.

 

Im französischen Kino ist Gilles Lelouche dank seines kantigen Charakterkopfs seit einem Vierteljahrhundert ein viel beschäftigter Schauspieler, doch er führt erst zum zweiten Mal Regie. Der Gedanke an eine Verfilmung des Romans „L’amour ouf“ von Neville Thompson, der in Dublin spielt, beschäftigt ihn nach eigenen Worten seit 17 Jahren – genug Zeit, um sich eine originelle Adaption auszudenken.

 

Das ist Lellouche gelungen: Während die Tonlage des Films ständig zwischen romantischem Liebesdrama und hartem Gangster-Epos changiert, wird sein schnörkelloser Realismus öfter von exzentrischen Episoden unterbrochen, die spielerisch, fast schon übermütig ausgeschmückt sind. Sei es die Teenie-Tanzeinlage zu „A Forest“; sei es Jackies erster kratzbürstiger Flirt mit Jeffrey, halbnackt im strömenden Regen – oder auch ihr letzter blutiger Schlagabtausch in einer Telefonzelle.

 

Dunkelrot leuchtende Amour fou

 

Stets findet der Regisseur Blickwinkel und Bilder, um gewöhnliche Momente – Weglaufen von Ladendieben vor dem -besitzer, Entjungferung im Kornfeld oder Clotaires Abrechnungs-Treffen mit La Brosse – überraschend und einzigartig wirken zu lassen. So intensiv, wie sich die erste große Liebe für jede und jeden anfühlt; selbst wenn sie Jahre später gewaltsam zurückerobert werden will.

 

Ungeachtet von Klassenschranken, Vorstrafen und sonstigem falschen Abbiegen: Den romantischen Mythos, dass wahre Liebe alle Grenzen überwinden kann, malt Lellouche wunderbar zeitgemäß aus. Mit Erfolg; seine dunkelrot leuchtende Version verrückter Liebe lockte in Frankreich knapp fünf Millionen Besucher ins Kino.