Luzia Schmid

Ich will Alles! Hildegard Knef

Hildegard Knef (Detail). Foto: © Lothar Winkler / Agentur Hipp; Fotoquelle: Piffl Medien
(Kinostart: 3.4.) Unter dem Make-up Mensch geblieben: Hildegard Knef gab stets ungeniert über sich selbst Auskunft. Das kommt dem Dokumentarfilm von Regisseurin Luzia Schmidt zugute: Er lässt offenherzig und freimütig Leben und Karriere des ersten deutschen Nachkriegs-Stars Revue passieren.

„Ich will alles – oder nichts.“ Dieser Satz stammt von Hildegard Knef. Während er aus jedem anderen Mund anmaßend wirken würde, hat sie ihn mit mehr Leben gefüllt, als ihr vielleicht selbst lieb war. Was diese Frau erlebt hat, passt eigentlich nicht einen einzigen Film. In seiner Spielfilm-Biographie „Hilde“ hatte Regisseur Kai Wessel 2009 vor allem die öffentliche Figur Hildegard Knef – von Heike Makatsch verkörpert – porträtiert und ihre Karriere in opulenten Bildern nachgezeichnet. Regisseurin Luzia Schmid möchte nun in ihrem Dokumentarfilm dem Menschen hinter dem Star-Image näherkommen.

 

Info

 

Ich will Alles! Hildegard Knef

 

Regie: Luzia Schmid,

98 Min., Deutschland 2025

mit: Christina Palastanga, Paul von Schell 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Schmid greift dafür auf zahlreiche Filmausschnitte und TV-Interviews zurück, die ihre Protagonistin zeitlebens gegeben hat. Ergänzt werden diese oft entwaffnend ehrlichen Selbstaussagen von Passagen aus Hildegard Knefs Büchern, insbesondere ihrer Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ (1970). Außerdem sprechen ihre Tochter Christina Palastanga und Knefs letzter Ehemann Paul von Schell stets liebevoll, aber auch reflektiert über die 2002 verstorbene Diva. Dieser respektvolle Tenor durchzieht den gesamten Film und gibt der Materialfülle, aus der die Regisseurin schöpft, eine gewisse Struktur.

 

Gesicht der Nachkriegsgeneration

 

Ihren Durchbruch im Kino erlebte Hildegard Knef 1946 mit „Die Mörder sind unter uns“ von Regisseur Wolfgang Staudte, dem ersten deutschen Nachkriegsfilm. Wenige Jahre später posierte sie im Skandalfilm „Die Sünderin“ (1951) von Regisseur Willi Forst in der Rolle eines Aktmodells für einen Maler. Da sie wenige Sekunden lang nackt zu sehen war, wurde sie nicht nur von kirchlichen Eiferern in einer Hetzkampagne verteufelt – quasi einem Shitstorm vor den sozialen Medien.

Offizieller Filmtrailer


 

Erfolg am Broadway + Tabubrüche in Deutschland

 

Knef kehrte daraufhin Deutschland zeitweilig den Rücken und machte Karriere in den USA, indem sie etwa erfolgreich im Broadway-Musical „Silk Stockings“ auftrat; außerdem schloss sie Freundschaft mit Marlene Dietrich und der Jazz-Sängerin Ella Fitzgerald. In den 1960er Jahren kam sie in die Bundesrepublik zurück und trat fortan vorwiegend als Chanson-Sängerin auf. Diesen Lebensabschnitt erzählt der Film anhand von Wochenschau-Ausschnitten und zeitgenössischen Interviews nach, in denen die Knef so ehrlich wie schlagfertig auf die Fragen ihrer Gesprächspartner antwortete.

 

Sie wusste genau um die Wirkung ihrer Worte, spielte sie aber nicht vordergründig aus – dabei gelang es ihr, weniger mit ihrem Aussehen als mit ihren Ansichten zu überzeugen. Das sollte sie beibehalten: Unverblümt sprach sie später über Scheidungen, eine Schönheitsoperation, ihre Krebserkrankung sowie über das Älterwerden als Künstlerin. Für solche Tabubrüche wurde sie damals belächelt oder gar geschmäht; aus heutiger Sicht bewies sie damit Mut zur Authentizität. 

 

Persönliche Seiten einer modernen Frau

 

Diese Eigenschaft, ihrer Zeit voraus gewesen zu sein, macht der Film besonders deutlich; er würdigt aber auch die künstlerische Leistung der Knef. Sie war eine eigenwillige Schauspielerin, die gut schreiben konnte, Songtexte verfasste und diese auch selbst sang. Im Chanson- und Schlager-Geschäft dieser Zeit war sie damit eine absolute Ausnahme. Ihre oft zeitlosen Texte handeln von Verletzlichkeit und Sehnsüchten, wie in ihren beiden wohl bekanntesten Liedern: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ und dem wunderbar selbstironischen „Von nun an ging’s bergab“. Live-Aufnahmen damaliger Auftritte erinnern an ihre beachtliche Bühnenpräsenz.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Der Deutsche Film – 1895 bis Heute– opulente Präsentation der Kinogeschichte mit u.a. Star-Schauspielerin Hildegard Knef in der Völklinger Hütte

 

und hier eine Besprechung des Films "3 Tage in Quiberon" – ambivalentes Spielfilm-Porträt der Schauspiel-Diva Romy Schneider von Emily Atef

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Wolken von Sils Maria" – Film-Reflexion über das Drama des Lebens einer Star-Schauspielerin mit Juliette Binoche von Olivier Assayas.

 

Trotz aller Bewunderung für ihre Protagonistin betreibt Regisseurin Schmid keine Heldenverklärung. Vor allem die Gesprächspassagen mit Knefs Tochter Christina Palastanga fügen dem weitgehend bekannten öffentlichen Image neue, persönliche Aspekte hinzu. Palastanga blickt ohne Bitterkeit auf das Leben mit ihrer Mutter zurück, obwohl die berufsbedingt wenig für sie da war. Insofern scheint die Tochter ihr recht ähnlich zu sein, denn Klagen war nie Knefs Sache.

 

Glamouröse Einstellung zur Unordnung

 

Sie ging mit jeder Situation analytisch um, was in etlichen Selbstaussagen deutlich wird, die aus dem Off eingesprochen werden. Schon das machte es unmöglich, sie in einer Opferrolle zu sehen, obwohl sie mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hatte, und die Medien oft rüde mit ihr umsprangen. Im Unterschied zu manchen Kolleginnen, die am Ruhm zerbrachen, hat sie solche Krisen aus eigener Kraft überstanden. 

 

„Es ist nun mal ein unordentliches Leben. Es ist unordentlich, weil die Veränderlichkeit, meiner Ansicht nach und für mich besonders zutreffend, das Beständigste ist“, sagt sie an einer Stelle. Diese glamouröse Einstellung zur Unordnung macht der Film durch seine Bilderfülle durchaus nachvollziehbar. Vor allem aber macht er Lust, Hildegard Knef – die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre – als Künstlerin zu entdecken; zum ersten oder wiederholten Mal.