
Es sieht nicht gut aus für Mickey Barnes (Robert Pattinson): Auch beim 17. Mal, so sein Kommentar aus dem Off, kann er sich nur schlecht damit abfinden, sterben zu müssen. Genau das scheint ihm wieder einmal bevorzustehen: In einer tiefen Gletscherspalte auf dem eisigen Planeten Niflheim lässt ihn sein Kollege Timo (Steven Yeun) verletzt zurück.
Info
Mickey 17
Regie: Bong Joon-ho,
139 Min., Südkorea/ USA 2025;
mit: Robert Pattinson, Steven Yeun, Mark Ruffalo
Weitere Informationen zum Film
Letzter Ausweg Niflheim
Wie ist er dort hingeraten? Am Anfang der neuen Science-Fiction-Komödie des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho ist Mickey als „Expendable“ für einen mehrjährigen Raumschiff-Flug akzeptiert worden; die Mission soll Niflheim besiedeln. Für ihn erscheint das als letzter Ausweg, um einem sadistischen Kredithai und der übrigen Misere seines Daseins als poor white trash auf der Erde zu entkommen, die ohnehin dem Untergang geweiht ist.
Offizieller Filmtrailer
Erst Ganzkörper-Scannen, dann -Ausdrucken
Hätte er sich nur schlau gemacht, was auf ihn zukommt! Nicht nur, weil auch die eisige Unterwelt in der nordisch-germanischen Mythologie Niflheim heißt. Sondern auch, weil „Expendables“, also „Entbehrliche“, Wegwerf-Arbeitskräfte sind, die sich zum Wohl der herrschenden Reichen ausnutzen lassen – bis über den Tod hinaus. Dafür kommt Mickey zunächst in einen Ganzkörper-Scanner, um sämtliche Informationen in Körper und Geist samt seinen Erinnerungen zu archivieren. Fortan dient er als perfektes menschliches Versuchskaninchen.
Will man etwa herauszufinden, ob irgendwo ein tödlicher Virus lauert, wird Mickey dorthin geschickt, um tief einzuatmen – bis zum Exitus. Sein Tod gehört nun zu seinem Arbeitsalltag; er tritt in vielen Variationen ein, meist jedoch unerfreulich blutig oder qualvoll. Danach werden seine Überreste verbrannt und Mickey mittels eines 3D-Biodruckers als weitere Version seiner selbst neu ausgedruckt; nach dem nächsten Ableben abermals.
Lausige Verpflegung + attraktive Gespielin
Lästiger als sein routiniertes Sterben erscheinen Mickey allerdings die meisten übrigen Passagiere auf dem Flug durchs All. Bei diesen Scharen handelt es sich vorwiegend um glühende Anhänger des Politikers Kenneth Marshall (Mark Ruffalo), der nach dem Vorbild des amtierenden US-Präsidenten modelliert ist, und seiner ihm soufflierenden Frau Ylfa (Toni Collette). Marshall ist bei Wahlen in seiner Heimat gescheitert; nun will er als selbsternannter Heilsbringer einen fremden Planeten mit einer homogenen Herrenrasse kolonisieren.
Zuvor gilt es, einiges zu ertragen: Während des rund vierjährigen Fluges ist die Verpflegung für gemeine Passagiere knapp und lausig. Und ständig wird Mickey mit der zum running gag mutierenden Frage belästigt, wie es sich denn anfühle, zu sterben. Eigentlich alles kaum auszuhalten, wäre da nicht die attraktive Offizierin Nasha Barridge (Naomi Auckie), die ein interessiertes Auge auf Mickey geworfen hat. Bald schon begleitet sie die Höhen und Tiefen seiner Vielfach-Existenz mit geradezu intergalaktischer Hingabe.
Ex-Mitglied einer sozialistischen Partei
Mit „Parasite“ hatte Bong Joon-ho als erster Regisseur 2020 den Oscar für den besten Film mit einer nicht englischsprachigen Produktion gewonnen; dazu wurde sein Werk mit drei weiteren Oscars ausgezeichnet. Doch die Arbeit am Nachfolger zog sich hin, so dass die mehrfach angekündigte Premiere von „Mickey 17“ insgesamt um ein Jahr verschoben wurde.
Bong, der in den 2000er Jahren Mitglied einer sozialistischen Kleinpartei in Südkorea war, übt in seinen Filmen häufig brachiale Gesellschaftskritik, die er mit Slapstick und Drastik garniert. Diesmal gemäßigter als früher; es spritzt also weniger Blut als sonst, wohl um ein größeres Publikum zu erreichen. Dennoch folgt der Regisseur weiter seinem Programm, plakative Botschaften in wüste Unterhaltung zu verpacken.
Klassenkampf horizontal + vertikal
Hintergrund
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und hier einen Bericht über den Film "Poor Things" – opulentes Sex-Horror-Märchen im Fin-de-Siècle-Europa von Giorgos Lanthimos mit Mark Ruffalo.
Mit „Mickey 17“ trägt Bong nun seine universelle Botschaft von der Idiotie der herrschenden Verhältnisse in die unendlichen Weiten ferner Galaxien – bleibt aber weiterhin stramm auf der Seite der Ausgebeuteten und Geschundenen, die in seinen Filmen immer leicht neben sich zu stehen scheinen. Diesen Typ Antiheld verkörpert Robert Pattinson, ehemaliger Star der „Twighlight“-Saga, aufs Schönste.
Gegen reale Verhältnissse austeilen
Während sich die ersten Varianten seines Mickey zunächst nur geringfügig in Temperament und Tonfall unterscheiden, haben schließlich Mickey 17 und Mickey 18 ganz verschiedene Charaktere, was ihre Weltsicht prägt. In Nummer 18 kommen – auch durch verbotene Drogen ausgelöst – endlich Überlebenswille und Gestaltungsanspruch zum Vorschein. Gerade zur rechten Zeit: beim culture clash mit intelligenten Riesen-Asseln, die auf Niflheim leben.
Schon vorher teilt „Mickey 17“ kaum symbolisch maskiert kräftig gegen Protagonisten und Zustände der real durchgeknallten Verhältnisse aus, die derzeit herrschen. Dennoch nimmt sich Bongs Diagnose gegenüber dem bissigeren „Parasite“-Vorläufer etwas zahm aus; dafür waren seine Drehbücher noch nie so sehr mit skurrilen Gemeinheiten gespickt wie in diesem Film.