Joshua Oppenheimer

The End

Mutter (Tilda Swinton) betrachtet das Modell von Hollywood, das ihr Sohn gebaut hat. Foto: © Felix Dickinson NEON. Fotoquelle: MUBI
(Kinostart: 27.3.) This is the end, my friend: Doku-Regisseur Joshua Oppenheimer beschwört in seinem ersten Spielfilm die Klima-Apokalypse herauf – nur eine steinreiche Familie überlebt unter Tage. Seiner artifiziellen Kopfgeburt hauchen selbst Stars wie Tilda Swinton und Michael Shannon kein Leben ein.

Apokalypse als Lebensmodell: Da die Welt draußen vor der Tür zur unwirtlichen Einöde geworden ist, hat sich eine steinreiche Familie in einem luxuriösen Bunker eingerichtet; er liegt tief unter der Erde in einem umgebauten Salzbergwerk. Doch die fröhliche Idylle ist Fassade; in der Monotonie ihres Alltags klingen immer wieder Angst und Verzweiflung an. Zudem sind die Mutter (Tilda Swinton) und der Vater (Michael Shannon) an dieser Lage mitschuldig: Auch sie haben die Katastrophe über ihren Köpfen ausgelöst.

 

Info

 

The End

 

Regie: Joshua Oppenheimer,

149 Min., Dänemark/ Deutschland 2024;

mit: Tilda Swinton, George MacKay, Moses Ingram, Michael Shannon

 

Weitere Informatioen zum Film

 

Er war Top-Manager in der Erdöl-Industrie, ein großer Befürworter fossiler Brennstoffe. Seine Frau ist eine Ex-Balletttänzerin, die ihrem Mann stets zur Seite stand. Jetzt verbringt er die Zeit im Bunker damit, seine Memoiren zu schreiben, während sie die Räume ihres unterirdischen Zuhauses mit eleganten Stilmöbeln und Meisterwerken der Malerei an den Wänden regelmäßig neu arrangiert.

 

Außenwelt als Modell nachbauen

 

Unterstützt werden beide vom Personal: Dazu zählen ihre beste Freundin (Bronagh Gallagher), eine hervorragende Köchin, ein schwuler Butler sowie ein Arzt. Die neben den Eltern entscheidende Person ist jedoch ihr etwas kauziger Sohn (George MacKay) – der Mittzwanziger wurde unter der Erde geboren, großgezogen, ausgebildet, behütet und verwöhnt. Sein sehnlichster Wunsch ist es, einmal die Außenwelt zu erleben; bis es soweit ist, baut er maßstabsgetreue Modelle historischer Ereignisse und Orte auf einer Tischplatte nach.

Offizieller Filmtrailer


 

Anti-Musical als Orgie des Selbstbetrugs

 

Neben dieser Figurenkonstellation wird das dystopische Kammerspiel von Joshua Oppenheimer von einem zweiten Faktor bestimmt: „The End“ ist ein Anti-Musical. Immer wieder stimmen die Darsteller sentimentale Lieder an, während auf der Tonspur opulente Orchesterklänge anschwellen; manchmal tanzen sie sogar.

 

Oppenheimer nutzt dieses Stilmittel, um drastisch die Wahrheit vorzuführen: Nicht die Betonwände um sie herum sperren diese Menschen in ein Gefängnis ein. Viel einschnürender sind die Geschichten, die sie sich erzählen und vorsingen; all die Lügen, Märchen und Selbstrechtfertigungen, die ihnen zu verdrängen erlauben, warum sie in diese prekäre Lage geraten sind.

 

Eindringling stört den Status quo

 

Damit entwickelt der Regisseur sein zentrales Thema mit fiktiven Mitteln radikal weiter. Bereits in seinen Dokumentarfilmen „The Act of Killing“ (2012) und „The Look of Silence“ (2014) über die Folgen der antikommunistischen Massaker in Indonesien 1965/6 beschäftigte er sich intensiv mit den Abgründen der menschlichen Psyche. Dabei galt sein Interesse vor allem den Anstrengungen, die Täter unternehmen, um noch die kaltblütigsten Gräueltaten zu rechtfertigen und ihre Schuld von sich zu weisen.

 

In „The End“ wird die Überlebensstrategie der Familie durch die Ankunft einer hilfebedürftigen jungen Frau aus der Außenwelt auf die Probe gestellt. Nur der Sohn betrachtet sie empathisch und fasziniert. Alle anderen sehen ihre Anwesenheit als Gefahr für den Status quo – zurecht. Erst versuchen die Eltern, den Eindringling loszuwerden. Als das misslingt, nistet sich die Frau im Alltag der Familie ein.

 

Gemeinsam sieht Zukunft blendend aus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Act of Killing" – herausragende Doku über die Folgen antikommunistischer Massaker in Indonesien 1965 von Joshua Oppenheimer, prämiert mit dem Europäischen Filmpreis 2013

 

und hier eine Besprechung des Films "The Look of Silence" – anrührende Doku über die Nachfahren der Opfer der Massaker in Indonesien 1965 von Joshua Oppenheimer

 

und hier einen Beitrag über den Film "Take Shelter – Ein Sturm zieht auf" – realistischer Katastrophen-Thriller von Jeff Nichols mit Michael Shannon

 

und hier eine Kritik des Films "Grain – Weizen" – postapokalyptische Öko-Science-Fiction-Dystopie aus der Türkei von Semih Kaplanoğlu

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Katastrophe: Was kommt nach dem Ende?" – Panorama der Untergangs-Visionen im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main.

 

Dass ihr der Wein beim Abendessen nicht schmeckt, ist nur die erste unangenehme Wahrheit, mit der sie ihre irritierten Gastgeber konfrontiert; Vater und Mutter reagieren darauf fast panisch. Doch Oppenheimer gelingt es diesmal nicht, das Publikum auf ähnliche Weise wie in seinen Dokus über Indonesien zu verstören.

 

Wenn es den Zuschauern hier eiskalt über den Rücken läuft, dann höchstens wegen der penetrant wiederkehrenden Musical-Einlagen – die Liedtexte hat der Regisseur selbst geschrieben. Zu allem Überfluss hat die Familie, um immer schön positiv gestimmt zu bleiben, gesungene Mantras zur Selbstmotivation einstudiert, wie etwa: “Gemeinsam sieht unsere Zukunft blendend aus!”

 

Ohne Baby-Geburt geht es nicht

 

Auch auf visueller Ebene versucht Oppenheimer, sein Konzept einprägsam umzusetzen: So changiert das Licht in den Gesangs-Szenen von kalt zu warm, um die Unsicherheit und Verletzlichkeit der Protagonisten auszudrücken, die sie sich selbst nicht eingestehen wollen. Nur wirkt dieser Kunstgriff bei zweieinhalb Stunden Laufzeit ebenfalls irgendwann redundant.

 

Der Regisseur beschwört ein worst case-Szenario herauf: Alle Anwesenden werden sterben, bevor die Klimakatastrophe vor der Bunkertür überstanden ist. Zwar will Oppenheimer die Hoffnung bis zum Ende nicht aufgeben: So wird schließlich ein Baby geboren. Aber auch damit haucht er seinem Film kein Leben mehr ein. Trotz der aktuell im Trend liegenden Idee, auf Musical-Elemente zurückzugreifen, ist “The End” nicht zu retten.