
„A World in Common“, also „eine gemeinsame Welt“, ist ein ziemlich vollmundiger Titel für eine Ausstellung über zeitgenössische afrikanische Fotografie. Auch wenn sie sich gemäß eines Zitats des kamerunischen Politikwissenschaftlers Achille Mbembe vornimmt, „die Welt von Afrika aus zu denken“. Denn den 23 präsentierten Künstlern geht es in ihren rund 100 Werken vor allem um das heutige afrikanische Selbstverständnis – obwohl ein großer Teil von ihnen dauerhaft im westlichen Ausland lebt.
Info
A World in Common –
Contemporary African Photography
01.02.2025 - 07.05.2025
täglich 11 bis 20 Uhr
im C/O Berlin, Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22–24, Berlin
Weitere Informationen zur Ausstellung
Nigeria-König mit Freiheitsstatue
Der Nigerianer George Osodi fotografiert traditionelle Könige und andere Würdenträger in der Manier herkömmlicher Herrscherporträts: auf ihrem Thron sitzend, frontal in die Kamera blickend, in vollem Ornat, umgeben von Insignien ihres hohen Amts. So steht hinter einem Monarchen eine mannshohe Nachbildung der New Yorker Freiheitsstatue; ein anderer ist in ein Zeremonialgewand gekleidet, auf dem das Brustbild der jungen Queen Elizabeth II. prangt: Beide Symbole erhöhen den Rang ihres Trägers.
Impressionen der Ausstellung in der Tate Modern; © Samuel Sagua
Synkretistische Caravaggio-Jünglinge
Kundzanai Chiurai aus Simbabwe arrangiert großformatige Tableaus, auf denen er Schlüsselbilder des Christentums afrikanisiert; so war 2012 sein Beitrag zur documenta (13) ein nachgestelltes Abendmahl als Bürgerkriegs-Szenario. Doch die hier gezeigte Serie „We Live in Silence“ aus Kreuzweg-Stationen mit Frauen anstelle von Jesus und seinem Gefolge wirkt so schwülstig wie plakativ: Zeitgeist-Neobarock in Hochglanz-Ästhetik. Dass Chiurai angeblich weibliche Beteiligung bei vorkolonialen Aufständen in Simbabwe würdigen will, ist den Bildern nirgends anzusehen.
Den Synkretismus aus importierter Religion und autochthoner Spiritualität hat der in Großbritannien lebende Nigerianer Rotimi Fani-Kayode (1955-1989) schon vor 35 Jahren wesentlich origineller visualisiert. Auf seinen sorgsam inszenierten Studio-Aufnahmen kombinierte er christliche Ikonografie mit Fetischen von Yoruba-Priestern. Seine schwarzen Modelle erschienen wie verführerische Wiedergänger von Caravaggios Jünglingen – gerade weil ihre Posen und Handlungen vieldeutig und rätselhaft sind. Diese ausgefeilte Ästhetik sucht bis heute ihresgleichen.
Chimären in Anzug + Maske
Eine einzige, aber umso eindrucksvollere Bildidee arbeitete der Angolaner Edson Chagas zur Serie „Tipo Passe“ aus; portugiesisch für „Passbild“. Er kleidet seine Modelle förmlich in Anzug, Hemd und Krawatte – und setzt ihnen dann traditionelle Masken auf. Sie stehen wie kaum etwas anderes für kulturelle Kontinuität im subsaharischen Afrika, obwohl sie nicht in allen Regionen benutzt werden: Mit einer Maske verwandelt sich ihr Träger für die Dauer eines Rituals in den jeweiligen Gott, Geist oder Dämon.
Aber was verkörpern die chimärenartigen Gestalten, für die Chagas sogar westliche Vor- und afrikanische Nachnamen erfindet? Verleihen die Masken ihnen zusätzliche, gar übernatürliche Kräfte und Fähigkeiten? Oder enthüllen umgekehrt die Masken innere Eigenschaften, die von moderner Einheitskluft verdeckt werden? „Was bedeuten afrikanische Masken? Was können uns diese als Fetische bezeichneten Gegenstände sagen, wenn die Götter sie verlassen haben?“, zitiert die Schau den senegalesischen Philosophen Souleymane Bachir Diagne: Für die meisten Afrikaner sind Masken-Kulte so anachronistisch wie Reliquien-Kulte für Europäer.
Schwarze Südafrikaner steif wie im Salon
Während die erste Abteilung vielschichtig ausfällt, ist das bei den beiden übrigen kaum der Fall. „Counter Histories“, also „Gegen-Geschichten“, soll Afrikas Erfassung und Kategorisierung in der Kolonialzeit zeitgemäßere Entwürfe und Blickwinkel entgegensetzen; sie zerfransen aber im Allzu-Privaten und Beliebigen. Am interessantesten sind die ältesten Bilder: Aufnahmen schwarzer Personen in Südafrika um 1900, die Santu Mokofeng (1956-2020) gefunden und aufbereitet hat.
Alle Dargestellten haben sich fein gemacht und posieren steif, als säßen sie in einem viktorianischen Salon. Ist das ein „Beleg für mentale Kolonisierung“, fragte sich Mokofeng, oder wollten sie westliche Klischees über „unzivilisierte Afrikaner“ widerlegen? Aus heutiger Sicht vermutlich beides: Europa und sein US-Ableger galten unbestritten als Gipfel der Zivilisation. Indem schwarze Südafrikaner im Habit der Kolonialherren auftraten, wollten sie an deren Prestige partizipieren und sich soziale Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen.
Zukunfts-Sektion voller Missstände
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "When We See Us – Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei" – große Überblicks-Schau im Kunstmuseum Basel
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Göttliche Komödie" über "Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwarts-Künstler" – gute Themen-Schau mit Werken von Edson Chagas im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/ Main
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Momente des Selbst: Porträt-Fotografie und soziale Identität" – exzellenter Überblick über afrikanische Fotografie mit Werken von Rotimi Fani-Kayode + Santu Mofokeng in The Walther Collection, Neu-Ulm
und hier eine Kritik der Ausstellung "Indigo Waves and Other Stories. Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora" – Gegenwartskunst aus der Region des Indischen Ozeans mit Werken von Malala Andrialavidrazana im Gropiusbau, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afro-Tech and the Future of Re-Invention" – Überblick über Afrofuturismus mit Werken von Fabrice Monteiro im Hartware Medienkunstverein (HMKV), Dortmund.
Am kleinsten ist die Sektion „Imagined Futures“ – kein Wunder: Wegweisende Entwicklungen sind in Afrika rar. So beschränken sich die Beiträge vorwiegend auf die Dokumentation von Missständen. Mal düster-drastisch wie bei Marío Macilau: Der Mosambikaner hat abgelichtet, wie Arbeiter auf einer Mülldeponie unter haarsträubenden Umständen Elektroschrott recyceln. Mal diffus deutelnd: Dawit L. Petros lässt an Stränden und Grenzen Menschen große Spiegel hochhalten, um den Verlauf von Migrationsrouten nachzuzeichnen.
Utopische Schönheit im Gewöhnlichen
Es geht aber auch einfallsreicher: Da Passanten in Kinshasa nicht fotografiert werden wollten, nahm Kiribi Katembo (1979-2015) ihr Spiegelbild in Pfützen auf – so verwandelte er das tägliche Chaos in der kongolesischen Kapitale in farbensatte, traumartige Bilder, die utopische Schönheit aus dem Gewöhnlichen gewinnen. Vergleichbar geht Fabrice Monteiro vor, der in Senegals Hauptstadt Dakar lebt: Er maskiert Akteure mit ausrangierten Fischernetzen, Abfall und Naturmaterial, bis sie mythischen Erscheinungen gleichen – und dramatisch Umweltzerstörung anprangern.
Doch viel versprechende Zukunftsentwürfe sind das nicht. Warum sie bei solchem Zuschnitt dieser Ausstellung fehlen müssen, machen die Beiträge von Malala Andrialavidrazana deutlich. Die Madegassin stellt historische Weltkarten, Ausschnitte aus Banknoten, Radierungen und andere Motive zu komplexen Collagen zusammen. Diese Mashups aus Bildmaterial verflossener Epochen faszinieren, lenken aber die Aufmerksamkeit ununterbrochen zurück in die Kolonialvergangenheit. Solange westliche Kuratoren darauf fixiert bleiben, entgeht ihnen das Neue, das sich in Afrikas Kunstszenen regt.