
Der Surrealismus – reine Männersache? Keineswegs: Das zeigt diese Ausstellung von Skulpturen, die zwischen 1930 und 1960 entstanden; die drei Künstlerinnen hatten seinerzeit beachtliche Erfolge, sind aber zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geraten. Eine spezifisch weibliche Handschrift lassen die Werke nicht unbedingt erkennen, aber eindrucksvolle und innovative Positionen.
Info
In Her Hands –
Bildhauerinnen des Surrealismus
21.02.2025 - 01.06.2025
täglich 11 bis 19 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, Hamburg
Katalog 39,90 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Nachfolger der Lee-Miller-Ausstellung
Nachdem das Bucerius Kunst Forum ihr 2023 eine Werkschau widmete, präsentiert es jetzt drei Bildhauerinnen, die den Surrealismus durch ihre Skulpturen mitgeprägt haben: die Dänin Sonja Ferlov Mancoba (1911-1984), die Brasilianerin Maria Martins (1894-1973) und die Schweizerin Isabelle Waldberg (1911-1990).
Tanz-Performance von Fiona Lie zur Ausstellung; © Bucerius Kunst Forum
Gemeinsam auf Surrealismus-Schau 1947 präsent
Ob sich die drei Frauen jemals begegnet sind, ist nicht bekannt. Doch sie hielten sich in den 1920/30er Jahren in Paris auf, wurden beeinflusst von Bildhauern wie Alberto Giacometti oder Constantin Brâncuși und nahmen 1947 an der großen „Exposition internationale du surréalisme“ teil, die Marcel Duchamp in der Pariser Galerie Maeght organisierte. Ansonsten sind ihre Biografien so unterschiedlich wie ihre Werke.
Zum Beispiel eine 50 Zentimeter hohe und ein Meter breite, dreieckige Bronze, glattpoliert mit einer augenförmigen Öffnung in der oberen Ecke. Ein Keil? Ein stilisiertes Walross? Die „Skulptur 1940-1946“ genannte Arbeit von Sonja Ferlov Mancoba ist aufs Äußerste reduziert und dabei von zeitloser Schönheit, so dass sich die Frage nach dem Geschlecht ihrer Schöpfer(in) nicht stellt. Sie entstand während des Zweiten Weltkriegs, als die Künstlerin verarmt in Paris lebte, während ihr Mann, der schwarze Künstler Ernest Mancoba aus Südafrika, von den Nazis interniert worden war.
Indigenes bei Amazonas-Flug entdeckt
Demgegenüber verraten spätere Arbeiten, etwa der ausgedünnte, armlose „Mann“ (1959) oder ein fast schon filigraner „Krieger“ (1961), den Einfluss Giacomettis, den die junge Ferlov in Paris besucht hatte. Später griff die Bildhauerin auf die Formensprache afrikanischer Masken zurück. Im Gegensatz zum ausgemergelten Krieger schuf sie in den 1960/70er Jahren eher massige, kultartige Objekte. Wie die verstörende, zum Stuhl deformierte „Maske“ oder den „Hüter unseres Erbes“ von 1973, eine abstrakt-reduzierte Figur mit großen, rechteckigen Augen.
Die Beschäftigung mit außereuropäischer Kunst prägt auch das Werk der Bildhauerin Maria Martins. Der brasilianischen Oberschicht entstammend und mit einem Diplomaten verheiratet, soll sie die indigene – nicht die afrobrasilianische, wie es in Begleittexten irrtümlich heißt – Kultur ihres Landes erst für sich entdeckt haben, als sie bei einem Flug von New York aus 1942 den Amazonas überquerte.
Unmögliche Umarmung mit spitzen Tentakeln
Fortan flicht sie organische Motive in bizarre, pflanzlich-tierische Mischwesen ein; etwa bei „Schwarzer Nebel“ (1949), einem auf Hühnerfüßen stehenden Skelett aus Fischgräten mit Flügeln. Wesentlich gefälliger wirkt „Canto do Mar“ („Das Lied des Meeres“, 1952); diese Plastik verewigt die Fließbewegung des Wassers in glattpolierter, golden schimmernder Bronze. Ins Auge sticht vor allem die mannshohe, schwarze Bronze-Skulptur „The Impossible“: In einer unmöglichen Umarmung von Mann und Frau mit spitzen Tentakeln setzt Martins simultan Lust und Begehren, Hass und Zerstörung in Szene. Mit solchen Werken war sie nicht nur auf zahlreichen Ausstellungen in Amerika erfolgreich; sie gründete auch die Biennale von São Paulo mit.
Eine ganz andersartiges Werk schuf die bei Zürich geborene Isabelle Waldberg. Ihre stark architektonisch geprägten Arbeiten umfassen sowohl in den 1940er Jahren zarte, luftige „Constructions“ aus mehr oder weniger wirren Eisenverstrebungen – die ein reizvolles Spiel aus Licht und Schatten bieten – als auch anthropomorphe, abstrakte Skulpturen und bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Porträts.
Duchamps Kopf auf Schachbrett
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Fantastische Frauen – Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo" – ausgezeichnete Themenschau in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main.
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Becoming CoBrA – Anfänge einer europäischen Kunstbewegung" – Themenschau zur neo-expressionistischen Künstlergruppe in der Kunsthalle Mannheim mit Werken von Sonja Ferlov Mancoba
und hier einen Bericht über die Ausstellung "InformELLE Künstlerinnen der 1950er/60er-Jahre" - mit Werken von 14 Malerinnen und zwei Bildhauerinnen in Kassel, Schweinfurt und Hagen
und hier einen Artikel über die Ausstellung "Lee Miller – Fotografien" – große Retrospektive ihrer Aufnahmen von 1929 bis 1945 im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Beitrag über die "dOCUMENTA (13)" – Überblick über die weltgrößte Gegenwartskunst- Ausstellung 2012 in Kassel mit Werken von Maria Martins.
Im New Yorker Exil zwischen 1942 und 1945 steht Waldberg im Austausch mit Künstlern wie Max Ernst, Yves Tanguy, aber auch der surrealistischen Malerin Leonora Carrington sowie mit Marcel Duchamp. Dem leidenschaftlichen Schachspieler widmet sie 1958 eine plastische Arbeit: Sein Kopf liegt seitlich auf einem Schachbrett mit zwei Bauern und zwei Skulpturen im Hintergrund.
Wir sind nicht hier, um anderen zu gefallen
Nach den Kriegsjahren fertigt sie massive und schroffe Bronzen an, deren Titel wie „Die Posierende“ (1958) oder „Das Paar oder Betender“ (1970) sich kaum erschließen – und sich weder eindeutig als figurativ oder abstrakt einordnen lassen. „Es ist besser, das Wagnis einer skurrilen Skulptur einzugehen und etwas Misslungenes zu riskieren, als Dinge zu machen, die bloß perfekt und eben nur ‚gemacht‘ sind. Wir sind nicht hier, um anderen zu gefallen“, betont Waldberg 1962. Dennoch gelingen ihr auch Werke von makelloser Schönheit wie das „Sichtbare Gesicht“ (1972), das paradoxerweise den größten Teil des Gesichts unsichtbar lässt.
Eine weibliche Note lassen Waldbergs Werke ebensowenig erkennen wie die von Sonja Ferlov Mancoba oder Maria Martins. Doch diese drei Bildhauerinnen verband eine große gestalterische Freiheit, mit der sie agierten. Gerade weil sie nicht in der ersten Reihe des Kunstbetriebs standen, haben sie ohne Rücksicht auf die Publikumsgunst an ihrem jeweiligen Stil gefeilt. Und dabei Skulpturen geschaffen, deren Qualitäten die Frage überflüssig machen, ob sie von Frauen oder Männern stammen.