Jude Law + Daniel Brühl

Eden

Ackerbau wie in der Bronzezeit: Heinz Wittmer (Daniel Brühl) und seine Frau Margret (Sydney Sweeney) legen einen Gemüsegarten an. Foto: Leonine Studios
(Kinostart: 3.4.) Ärger im Paradies: 1934 eskalierten Konflikte unter deutschen Aussteigern auf einer Galápagos-Insel so sehr, dass einige zu Tode kamen. Diese Affäre hat Regisseur Ron Howard als ausgefeiltes Abenteuer-Epos verfilmt – ein Psychodrama, in dem der ersehnte Naturzustand bald in Barbarei umschlägt.

Robinsonaden sind aus der Mode gekommen. Was zum einen daran liegt, dass im Zeitalter flächendeckender Überwachung der Erde aus dem All die Vorstellung, ein Einzelner werde in völliger Isolation ohne jeden Außenkontakt sein Glück finden, ziemlich absurd erscheint. Zum anderen wirkt das Menschenbild, das Daniel Defoe mit seinem epochalen Roman „Robinson Crusoe“ 1719 in die Welt setzte – ein Individuum könne allein mit disziplinierter Rationalität alles erzeugen, was es zum Leben braucht – aus psychologischer Sicht arg antiquiert; Menschen sind soziale Wesen.

 

Info

 

Eden

 

Regie: Ron Howard,

120 Min., USA 2024;

mit: Jude Law, Daniel Brühl, Ana de Armas

 

Weitere Informationen zum Film

 

Vor knapp 100 Jahren war das anders – die Welt noch nicht komplett kartiert und das Hoffen auf heroisches Handeln noch ungebrochen. Zudem hatten vor allem in Deutschland die Niederlage im Ersten Weltkrieg, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise das Vertrauen in die Zivilisation gründlich erschüttert. Deshalb erregte es großes Aufsehen, als der Berliner Arzt Friedrich Ritter sich mit seiner Geliebten Dore Strauch 1929 auf der zuvor unbewohnten Galápagos-Insel Floreana niederließ.

 

Beim Privatphilosophieren gestört

 

Den „neuen Robinson“, wie er sich nannte, trieb großes Sendungsbewusstsein an. Er schrieb Artikel, in denen er lebensreformerische Gedanken und Thesen von Lao-Tse, Schopenhauer und Nietzsche eklektisch vermischte; seine Privatphilosophie wurde jedoch nie als Buch publiziert. Als aber die Eheleute Heinz und Margret Wittmer aus Köln, von seinen Texten angeregt, sich mit ihrem zwölfjährigen Sohn im August 1932 ebenfalls auf Floreana ansiedelten, reagierte Ritter abweisend: Sie störten ihn in seiner splendid isolation.

Offizieller Filmtrailer


 

Pseudo-Baronin will Luxus-Hotel bauen

 

Im Oktober 1932 kam ein schillerndes Trio dazu: eine wohl österreichische Hochstaplerin, die unter dem Namen Baronin Eloise Wagner de Bousquet auftrat, in Begleitung ihrer deutschen Liebhaber Rudolf Lorenz und Robert Philippson. Die Baronin tönte, sie werde ein Luxus-Hotel namens „Hacienda Paradiso“ errichten, wofür auch Baumaterial angeliefert wurde – daraus entstand aber nur eine Wellblechhütte mit zwei Räumen. Eineinhalb Jahre später eskalierten Auseinandersetzungen zwischen den Inselbewohnern; am Ende waren zwei von ihnen tot, zwei blieben verschwunden. Was genau geschehen war, ist bis heute nicht restlos geklärt.

 

Regie-Routinier für originelle Sujets

 

Die so genannte „Galápagos-Affäre“ schlug seinerzeit hohe Wellen. Rund um den Globus berichtete die Presse darüber; der damals schon berühmte Krimi-Autor Georges Simenon, der nahe der Inselgruppe reiste, schrieb einen Roman darüber. Seither haben zahlreiche Sachbücher, Dokumentarfilme und sogar Theaterstücke diese Affäre behandelt – doch „Eden“ als erster Kino-Spielfilm.

 

Regisseur Ron Howard ist ein Routinier mit einem Faible für originelle Sujets. Von der Meerjungfrauen-Komödie „Splash“ (1984) über das Weltraum-Dokudrama „Apollo 13“ (1995) und das Oscar-prämierte Mathematiker-Porträt „A Beautiful Mind“ (2001) bis zur Religions-Fantasy „The Da Vinci Code“ (2006) hat er schon alles Mögliche gedreht. Doch den Wunsch, die Galápagos-Affäre zu verfilmen, hege er seit 15 Jahren, so der Regisseur; dass es sich um ein Herzensprojekt handelt, sieht man dem ausgefeilten Ergebnis an.

 

Prophet ohne Anhänger vs. Ex-Sekretär

 

Howard und sein Ko-Drehbuchautor Noah Pink haben die Personenkonstellation übernommen, aber jahrelanges Aussteiger-Dasein verdichtet, um die Rivalitäten innerhalb dieser Kleingruppe plausibel zu machen. Auch dank der erstklassigen Besetzung: Jude Law ist ein herrlich selbstgefälliger und kraftmeierischer Prophet ohne Anhänger – außer seiner Partnerin Dore (Vanessa Kirby), die an seinen Lippen hängt, weil sie sich dadurch Heilung von ihrer Multiplen Sklerose verspricht.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Monte Verità – Der Rausch der Freiheit" über die erste moderne Aussteigerkolonie von Stefan Jäger

 

und hier eine Besprechung des Films "Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel" – grandioses Psychogramm der Robinsonade im Regenwald eines 29 Jahre verschollenen Weltkriegs-Soldaten von Arthur Harari

 

und hier einen Bericht über den Film "Die Versunkene Stadt Z" – aufwändiges Abenteuer-Epos im Amazonasbecken von James Gray

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Fluss war einst ein Mensch" – beeindruckendes Psycho-Drama über eine Afrika-Robinsonade von Jan Zabeil.

 

Ganz anders Daniel Brühl: Als sein Heinz Wittmer in kurzen Hosen und Nickelbrille, mit Frau Margret (Sydney Sweeney) und Sohn Harry an Land geht, hält man ihn für einen Tagträumer. Doch der frühere Sekretär im Büro des Kölner Bürgermeisters Konrad Adenauer überrascht alle, am meisten sich selbst. Nicht nur bauen die Wittmers in kurzer Zeit den einzigen florierenden Bauernhof auf der Insel auf. Sie beweisen auch die nötige Nervenstärke, als Nachbarschafts-Konflikte in einen Kampf aller gegen alle ausarten.

 

Flucht zur Zivilisation als Ausweg

 

Wozu es ohne das Auftauchen der Baronin (wunderbar exaltiert: Ana de Armas) kaum gekommen wäre. Ihre Beweggründe werden nie recht klar: Ist sie auf der Flucht vor der Justiz oder Gläubigern, will sie mit ihren Gespielen eine ménage à trois ausleben, oder glaubt sie wirklich an ihren größenwahnsinnigen Traum, sich ein Inselreich samt Edel-Herberge aufbauen zu können? Jedenfalls ist sie gewohnt, mit ihren Reizen Männer um den Finger zu wickeln; tragisch nur, dass das auf dem abgelegenen Eiland auf Dauer nicht funktioniert.

 

Anfangs ist noch Raum für Postkarten-Ansichten vom Strand und üppig bewaldeten Hügeln. Nur Schnittbilder von bizarrem Getier in entsättigten Farben lassen erahnen, dass vom Paradies nicht die Rede sein kann. Dann verschiebt Regisseur Howard subtil den Akzent vom Abenteuer-Epos zum Psychodrama in einer veritablen grünen Hölle; bis den Zivilisationflüchtigen die Flucht zurück in die Zivilisation als einziger Ausweg erscheint. Die einzigen, die bleiben – im Film wie in der Wirklichkeit – sind die Wittmers.