
„Jeder durfte, kaum einer konnte“ – so lapidar fasst Bettina Flörchinger, Keyboarderin der Band „Östro 430“, die Entwicklung von Punk in Deutschland seit den späten 1970er Jahren zusammen. Und obgleich „kaum einer konnte“, entstand in jener Zeit eine Musikkultur, die noch lange nachhallen sollte. Massentauglich wurde Punk nie – doch prägten viele, die den DIY-Ethos jener Zeit aufsogen, den Kulturbetrieb der folgenden Jahrzehnte mit.
Info
Einfach machen!
She-Punks von 1977 bis heute
Regie: Reto Caduff,
89 Min., Deutschland/ Schweiz 2024;
Weitere Informationen zum Film
Vom Krautrock zum Frauenpunk
Was Frauen für sich aus der Punk-Bewegung zogen, davon erzählt „Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute“ von Reto Caduff. Schon in seiner letzten Regiearbeit „Conny Plank – The Potential of Noise“ (2017) über den Musikproduzenten und Sound-Alchemisten des Krautrock hatte sich der Schweizer Regisseur einem Kapitel der jüngeren BRD-Musikgeschichte gewidmet. In seinem neuen Film sucht er nun Antworten auf die Frage, welche Türen die Punkbewegung in der Bundesrepublik und der Schweiz für Frauen öffnete – und mit welchen Strategien die Musikerinnen sich in ihrem Umfeld behaupteten.
Offizieller Filmtrailer OmU
Düsseldorf, West-Berlin, Zürich
Dazu haben die befragten Künstlerinnen, die aus unterschiedlichen Sub-Szenen stammen, durchaus Erhellendes zu erzählen. Zu ihnen gehören die Musikerinnen der erwähnten Band „Östro 430“, die damals in Düsseldorf aktiv waren; seit ihrer reunion 2020 sind sie in Hamburg zu Hause. Ihre Ästhetik bezeichnet die Band selbst als „einfach, aber grob“. Außerdem porträtiert werden die Westberliner Bandprojekte „Mania D.“ und „Malaria!“ um Gudrun Gut und Bettina Köster, die eher der Avantgarde und dem New Wave zuzurechnen waren; die Bands zählten zum Dunstkreis der so genannten „Genialen Dilletanten“.
Der dritte Schauplatz ist Zürich, Wirkungsstätte der Band „Kleenex“, die sich seit 1980 „LiLiPUT“ nannte. Deren Sängerin Klaudia Schifferle arbeitete schon damals hauptberuflich als bildende Künstlerin und ist seit 2018 wieder in einer Band aktiv: Zusammen mit Sara Schär spielt sie bei „Onetwothree“. Schär ist wiederum die Sängerin des legendären Titels „Züri brännt“ (1980). Der Song wurde nicht nur zur Hymne der Unruhen, die die beschauliche Stadt damals erschütterten, sondern fast schon zum geflügelten Wort.
Frauen hinter den Kulissen
Darüber hinaus blicken in dem Film auch Frauen zurück, die nicht im Rampenlicht standen, der Szene aber wichtige Räume und Impulse gaben: Carmen Knoebel etwa, die den Düsseldorfer Szenetreff „Ratinger Hof“ betrieb, oder die Labelmacherin Elisabeth Recker („Monogam Records“). Punk in der DDR wird dagegen ausgespart – obwohl es auch dort Persönlichkeiten gab, deren Geschichte erzählenswert wäre.
Die atemlose erste Hälfte der Doku fängt den Zeitgeist überzeugend ein; lebendig collagiertes Archivmaterial greift die raue Ästhetik des Punk auf. Der kulturelle Kontext wird vor allem durch solche historischen Bilder vermittelt; in den Interviews liegt der Fokus auf Motivation und Selbstverständnis der Protagonistinnen.
Starker Auftakt, enttäuschende Gegenwart
Der Untertitel des Films – „She-Punks von 1977 bis heute“ – weckt jedoch die Erwartung, dass er auch von den nächsten Generationen punk-inspirierter Musikerinnen handelt. Stattdessen konzentriert sich Filmemacher Carduff auch im Heute auf die Protagonistinnen von damals, die noch oder wieder Musik machen. Die Einblicke in ihr aktuelles Musikschaffen hätten an einigen Stellen allerdings gerne kürzer ausfallen dürfen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Conny Plank - The Potential of Noise" - Doku über den legendären Musikproduzenten von Reto Caduff + Stephan Plank
und hier einen Beitrag über den Film "Blank City" über die No-Wave-Szene im New York der späten 1970er Jahre von Céline Danhier
und hier einen Bericht über den Film "Sound of Noise – Die Musik-Terroristen" - von Ola Simonsson + Johannes Stjärne Nilsson
und hier eine Besprechung des Films "Tod den Hippies – Es lebe der Punk!" über die Underground-Szene in Westberlin um 1980 von Oskar Roehler.
Künstlerische Differenzen
Beim Drehstart führte Christine Franz (Regisseurin von u.a. „Bunch of Kunst“, einer Doku über die Electropunk-Band „Sleaford Mods“, 2017) Regie, damals noch unter dem Arbeitstitel „Jung kaputt spart Altersheime“. Nach künstlerischen Differenzen wurde sie jedoch gegen Caduff ausgetauscht und ist in der jetzigen Version lediglich als Drehbuchautorin aufgeführt. Mit „PUNK GIRLS. Die weibliche Geschichte des britischen Punk“ (2024) hat sie mittlerweile eine eigene Doku gedreht, die sich vor allem auf britische Frauen-Punkbands wie „The Slits“ oder „The Raincoats“.
Manche Lücken in „Einfach machen!“ sind schwer nachvollziehbar, wohingegen andere Schwerpunkte für Längen sorgen. Doch trotz dieser Schwächen vermittelt der Film erfolgreich den Geist, den Gudrun Gut schon mit dem ersten Satz im Film beschwört: „Die Welt fing neu an für mich, das war Punk“ – allerdings vor allem in seiner ersten, deutlich interessanteren Hälfte.