
Computerkunst ist mittlerweile allgegenwärtig; kaum ein Museum, in dem es nicht irgendwo algorithmengesteuert fiepst und flackert. Doch der Äthiopier Elias Sime dürfte der erste Künstler sein, der die Materialität von Computern zum Ausgangspunkt seiner Ästhetik macht. Also die zahlreichen kleinen bis winzigen Bauteile, die sich unter den Gehäusen verbergen: Hauptplatinen, Prozessoren, Chips, Transistoren, Kabel und vieles mehr, was nur Fachleute korrekt benennen können.
Info
Elias Sime: Echo የገደል ማሚቶ
12.02.2025 - 01.06.2025
täglich außer montags 11 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, Düsseldorf
Katalog 29,80 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Prozessoren funkeln wie Goldstaub
Der Effekt ist überwältigend: Solche Wand-Tableaus scheinen zu flirren und zu flimmern. Große Ornamente entstehen erkennbar aus kleineren Komponenten – welche das sind, enthüllt aber erst genaueres Hinsehen. Miteinander verflochtene Kabelstränge sind zu Dutzenden eng aufgerollt; doch die Musterung ihrer Plastik-Ummantelung lässt sie optisch geradezu vibrieren. Metallene Kontakte von Prozessoren reihen sich akkurat aneinander und funkeln wie Goldstaub im einfallenden Licht. Platinen-Fragmente verschiedener Farbtöne schillern wie Schuppenpanzer exotischer Insekten. Von derartigen Eindrücken können Abbildungen nur eine Ahnung vermitteln.
Trailer zur Ausstellung; © Visit Düsseldorf
Anschauliche Miniaturisierung der Mikroelektronik
Gerade die Zusammenstellung von 36 meist großformatigen Arbeiten in dieser Werkschau – Simes erster in Europa; sie war zuvor in veränderter Form im britischen Bristol und Hastings zu sehen – macht deutlich, welch enormen Variantenreichtum der Künstler aus seinem Material herauskitzelt. Manche sehen aus der Draufsicht wie Landkarten oder Satellitenbilder von Streusiedlungen zwischen Feldern aller Schattierungen aus. Oder wie dicht bebaute Küstenorte: Für diese Illusion sorgen helle Plastiktasten von Keyboards, die von blauen Kabeln umspült werden.
Andere entfalten ihren Reiz in der Nahsicht aus schrägem Winkel: Vom Drähtewirrwarr in Grün- und Brauntönen bedeckte Quader lassen an versunkene und überwucherte Ruinen im Dschungel denken. Wieder andere wirken am eindrucksvollsten aus erheblicher Entfernung, wenn sich die Komponenten visuell zu subtil changierenden Flächen auflösen. Das Charakteristikum von Mikroelektronik – alle Elemente und Vorgänge so zu miniaturisieren, dass sie für Menschen nicht mehr wahrnehmbar sind – wird hier auf faszinierende Weise veranschaulicht.
Afrika ist in Recycling-Kunst federführend
Dass ein Äthiopier diesen bahnbrechenden Ansatz verfolgt, dürfte kein Zufall sein: Afrika ist bei Recycling-Kunst federführend. In Kulturen der Mangelwirtschaft wird so wenig wie möglich weggeworfen; aus Schrott und Stoffresten entstehen vielerorts fantasievolle Collagen und Skulpturen. Monumentale Wandbehänge, die der Ghanaer El Anatsui aus Kronenkorken und anderen Verpackungen anfertigt, machen seit Jahren international Furore.
Feature über Elias Sime, Meskerem Assegued + das Zoma Museum; © UWE Bristol
Globalisierung ist überall
Doch Elias Sime geht darüber hinaus. Er benutzt keinen geläufigen Abfall für seine Arbeiten, sondern die mysteriösen Eingeweide einer Technologie, die alle verwenden und fast niemand versteht. Das Unsinnliche und Abstrakte, das gegenwärtig die Lebenswelt umwälzt, wird von ihm fass- und erfahrbar gemacht.
„Es geht nicht um Äthiopien. Es geht nicht um Afrika“, sagt der Künstler: „Die Globalisierung ist überall. Sie ist in jedem einzelnen Leben präsent, unabhängig davon, ob uns das gefällt oder nicht. Diejenigen, die meinen Namen nicht kennen, nicht wissen, wer ich bin, werden dennoch beim Blick auf meine Kunst wissen, wo das alles herrührt.“
Anfänge mit Knöpfen + Schlüsseln
Dabei ist der 1968 geborene Künstler keineswegs monothematisch. Nach dem Kunststudium in seiner Heimatstadt Addis Abeba begann er mit Assemblagen aus objets trouvés wie etwa Knöpfen oder Schlüsseln, die er mit herkömmlichen Textiltechniken zusammennähte und bestickte. Dabei griff er auch auf den traditionellen äthiopischen Motivkosmos zurück, etwa Tierdarstellungen wie die von Ameisen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Plastic World" über Kunst aus Kunststoffen mit Werken von Elias Sime in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "El Anatsui – Triumphant Scale" – faszinierend schillernde Wandteppiche aus Recycling-Material im Haus der Kunst, München
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Megalopolis – Stimmen aus Kinshasa" – faszinierende Überblicksschau über Recycling-Künstler aus dem Kongo im Grassi-Museum, Leipzig
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Pacific Standard Time" über "Kunst in Los Angeles 1950 - 1980" mit Werken aus neuen Materialien wie Polyester + Fiberglas im Martin-Gropius-Bau, Berlin
Kunstzentrum zu kleinem Dorf ausgebaut
Auch sie machen Anleihen bei der Volkskunst-Tradition in Äthiopien: Ein dort geläufiges Genre sind handgemalte Bilder-Geschichten, die das Leben meist von Heiligen oder Herrschern auf bis zu 72 symmetrisch angeordneten Feldern schildern. Ein anderes sind Schlachten-Gemälde als Wimmelbilder, deren vielköpfiges Personal so irisierend erscheint wie Simes „Tightrope“-Kompositionen.
Wobei der Künstler kein High-Tech-Fan ist, im Gegenteil. Schon 2002 gründete er mit der Kuratorin Meskerem Assegued das Kunstzentrum „Zoma Contemporary Art Center“. Es hat nach mehreren Erweiterungen die Ausmaße eines kleinen Dorfes samt Galerie und Bibliothek, Gästehäusern, gastronomischer Einrichtung, Kindergarten plus Grundschule, dazu botanischem Garten und Landwirtschaft – mit Kühen, deren Milch verkauft wird. Alle Gebäude sind vom Sockel bis zum Dachfirst selbst gestaltet und dekoriert.
Autarkie in Millionen-Metropole
Dieses idyllisch in die Landschaft eingefügte Gesamtkunstwerk scheint danach zu streben, seinen Bewohnern und Besuchern Autarkie zu ermöglichen. Mit Selbstversorgung für Körper und Geist – mitten in der Fünf-Millionen-Metropole Addis Abeba, einer der am schnellsten wachsenden Städte Afrikas. Offensichtlich wollen seine Gründer alles andere, als ihr Leben von Computern bestimmen zu lassen.