Raoul Peck

Ernest Cole: Lost and Found

Ernest Cole: Schwarze Teenager in Harlem, ca. 1970. Foto: Salzgeber
(Kinostart: 17.4.) Von einem Rassismus zum anderen: Der schwarze Fotograf Ernest Cole wurde 1967 mit Aufnahmen zur Apartheid in Südafrika berühmt, verlor aber im US-Exil den Halt. Ihm widmet Regisseur Raoul Peck eine so klug montierte wie eindringliche Doku über Leben und Werk.

Im Jahr 1967 veröffentlichte der südafrikanische Fotograf Ernest Cole seinen Fotoband „House of Bondage“. Mehr als zehn Jahre Arbeit steckten in diesem Werk; in ihm dokumentierte Cole die Apartheid in seinem Heimatland, das die weiße Minderheit eingeführt hatte. Das System der so genannten Rassentrennung ist voller Verbotsschilder, die reglementieren, welche Zugänge, Parkbänke oder Wasserspender für Weiße und welche für Schwarze bestimmt sind.

 

Info

 

Ernest Cole: Lost and Found

 

Regie: Raoul Peck,

106 Min., Frankreich/ USA 2024;

mit: LaKeith Stanfield, Leslie Matlaisane, Jürgen Schadeberg

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ausweispflicht, Alltagsrassismus, Polizeigewalt und willkürliche Deportationen – auf seinen Fotos machte Cole, selbst schwarz, die Zumutungen für alle Welt sichtbar, denen die schwarze Bevölkerung ausgesetzt war. In Südafrika wurde das Buch sofort verboten. Cole ging ins Exil in die Vereinigten Staaten, wo er fortan als Staatenloser lebte, da Südafrika ihm die Verlängerungen seines Passes verweigerte.

 

Exiliert wie Miriam Makeba

 

Dieses Schicksal teilte er mit anderen Exilanten; etwa der Sängerin Miriam Makeba, die seinerzeit die Rassentrennung vor der UNO anprangerte und damit zur Anti-Apartheid-Symbolfigur wurde – besonders im Ostblock war sie sehr populär. Coles Biografie verlief anders: Nach kurzer Zeit des Ruhms, während der er auch nach Europa reiste, publizierte er keine weiteren Fotos.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

60.000 Bilder im Bankschließfach

 

Er machte auch keine Ausstellungen mehr, sondern versank in Depressionen und zeitweiliger Obdachlosigkeit; 1990 starb er weitgehend vergessen in New York an Krebs. 27 Jahre später wurde sein Neffe Leslie Matlaisane von einem schwedischen Anwalt benachrichtigt, dass in einem Bankschließfach in Stockholm mehr als 60.000 Abzüge und Negative von Ernest Cole aufgefunden worden seien, dazu 8-mm-Filme und handschriftliche Notizen.

 

Auf der Grundlage dieses unveröffentlichten Materials zeichnet der haitianische Filmemacher Raoul Peck das Leben des Fotografen und die Geschichte seines Verstummens nach. Mit einer Reihe von Spiel- und Dokumentarfilmen gilt Peck als Kino-Chronist und Stichwortgeber des Postkolonialismus; als Marxist zählt er jedoch zu dessen besonneneren Vertretern.

 

Angst, beim Knipsen erschossen zu werden

 

Vom heutigen Doku-Mainstream hebt sich sein Erzählstil auch in „Ernest Cole: Lost and Found“ wieder durch seine dialektische Methode ab. Coles Aufzeichnungen hat er zu einem Text kompiliert, den der Schauspieler LaKeith Stanfield mit sonorer Stimme vorliest. Visuelle Kontrapunkte setzen die Bilder, vor allem natürlich die unveröffentlichten Fotos aus Coles Nachlass; viele davon entstanden in den USA.

 

Dabei ist aufschlussreich, nachzuverfolgen, wie sich der Blick des Fotografen auf seine neue Umgebung einstellte. Eben noch der Apartheid Südafrikas entkommen, stieß er auf eine andere Form des institutionalisierten Rassismus vor allem in den US-Südstaaten; die dortigen Segretations-Regeln wurden unter der Bezeichnung „Jim-Crow-Gesetze“ zusammengefasst. Cole stellt fest, dass er in Südafrika stets Angst hatte, verhaftet zu werden; hier dagegen fürchtete er, beim Fotografieren erschossen zu werden.

 

Tagebuch über den Tod hinaus

 

Zugleich kommt der Text immer wieder auf die Ursache seiner Niedergeschlagenheit zurück: das Elend des Exils. Immer wieder erwähnt Cole sein Heimweh; es ist ihm weiterhin unmöglich, nach Hause zurückzukehren, da Südafrika ihm nach wie vor keinen Pass ausstellt. Irgendwann ist er mittellos, hat seine Kameras verkauft oder verloren.

 

Seine Spuren verlieren sich; Regisseur Peck zeichnet das Verschwinden detektivisch nach, bis er sich nur noch mit einem Trick behelfen kann. Gegen Ende der Erzählung nimmt er sich die Freiheit, Coles tagebuchartige Betrachtungen über dessen Tod hinaus fortzusetzen; ob das sinnvoll ist, bleibe dahingestellt.

 

Fotos dynamisch zum Leben erweckt

 

Hintergrund

 

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und hier einen Beitrag über den Film "Mord in Pacot – Meurtre à Pacot" – facettenreiches Psychodrama über die Mesalliance zwischen Entwicklungshelfer + Haitianerin von Raoul Peck

 

und hier einen Bericht über den Film "Mandela – Der lange Weg zur Freiheit" – episches Biopic über Südafrikas Freiheitshelden Nelson Mandela von Justin Chadwick mit Idriss Elba.

 

Wie sein De-facto-Nachlass in jenes ominöse Schließfach in Stockholm gelangte, und wer etliche Jahre lang für seine Aufbewahrung bezahlt hat, bleibt trotzdem ungeklärt. Wurde das Konvolut gepfändet oder mit Coles Wissen aufbewahrt? Die schwedische Seite hüllt sich in Schweigen, ihr scheint die Sache unangenehm. Auch ohne die Auflösung dieses Geheimnisses bleibt „Ernest Cole: Lost and Found“ ein klug montierter Film über einen bemerkenswerten Fund.

 

Peck hat dafür ein beeindruckendes Puzzle aus Fotos, Film und Text zusammengestellt. Durch den Schnitt werden die Fotosequenzen dynamisch zum Leben erweckt; zudem bei Bedarf durch eigene und zeitgenössische Aufnahmen fremder Fotografen und Dokumentaristen ergänzt, die in Südafrika, den USA und Skandinavien entstanden. Auch bei der Öffnung des Schließfachs durch Coles Neffen war eine Filmkamera dabei.

 

„Drum“-Story als Ergänzung

 

Zu den Interviewpartnern zählt der in Berlin geborene, südafrikanische Fotograf Jürgen Schadeberg; als Bildredakteur des südafrikanischen Lifestyle-Magazins „Drum“ verschaffte er Cole Aufträge, die ihn zum ersten schwarzen Profi-Fotografen Südafrikas werden ließen.

 

Die Geschichte dieser Zeitschrift hat 2004 Regisseur Zola Maseko im Spielfilm dargestellt: „Drum –Wahrheit um jeden Preis“ (2004) liefert eine solide Ergänzung zu Pecks eindringlichem Künstlerporträt.