
Früher war mehr Lametta: Man mag darüber streiten, ob die Großindustriellen des 19. Jahrhunderts mehr Geschmack hatten als die Superreichen heutzutage – doch sie staffierten ihren Geltungsdrang viel prunkvoller aus. Davon zeugt die Villa Hügel in ihrem ausgedehnten Park. Alfred Krupp ließ sie 1870/3 errichten; von seinen Erben wurde sie mehrfach umgestaltet und erweitert.
Info
21 x 21 -
Die RuhrKunstMuseen auf dem Hügel
11.04.2025 - 27.07.2025
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr
in der Villa Hügel, Hügel 1, Essen
kostenloses Begleitheft
Weitere Informationen zur Ausstellung
Erste Kunstschau seit sieben Jahren
Die veranstaltet dort gelegentlich Ausstellungen, in jüngster Vergangenheit – weil die Erträge aus ihrem Anteil am Thyssenkrupp-Konzern recht mager ausfielen – allerdings immer seltener; „21×21“ ist die erste große Kunstschau in der Villa Hügel seit sieben Jahren. Der bizarre Titel entspringt einem ebenso ungewöhnlichen Auswahlverfahren. 21 in einem Netzwerk verbundene Museen im Ruhrgebiet gaben jeweils ein „Impulswerk“ vor, zu dem alle anderen Museen eine mehr oder weniger dazu passende Arbeit aus eigenem Bestand beisteuerten.
Interview mit Peter Gorschlüter, Direktor des Museum Folkwang in Essen + Ko-Sprecher von RuhrKunstMuseen, und Impressionen der Ausstellung
Website mit 441 Werken
So kam ein Multiplikations-Ergebnis von 21 mal 21 gleich 441 Werken zustande. Es kann auf der Website „21×21.de“ begutachtet werden: ein mehrdimensionales Spinnennetz von Abbildungen und Erläuterungen, das eher einer illustrierten Datenbank als einer kuratierten Ausstellung ähnelt. Unmittelbare Erfahrung in situ bietet dagegen eine Auswahl von rund 120 Exponaten, die in zehn Räumen der Villa Hügel zu sehen ist; jeder Saal steht unter einem etwas wolkigen Motto.
Am konkretesten ist zweifellos eingangs das „Bild der Frau“: mit der berühmten Bronzeskulptur „Große Sinnende“ (1913) von Wilhelm Lembruck aus dem nach ihm benannten Museum in Duisburg, als „Impulswerk“ auf ein spiegelndes Podest gestellt. Darum herum gruppieren sich zehn weitere Arbeiten mit mal mehr, mal weniger augenfälligem Bezug zum Thema. Dass „Mutter und Tochter“ (1965) von Gerhard Richter aus seiner Werkphase verwischt abgemalter Schwarzweiß-Fotografien Brigitte Bardot und ihre Mama darstellen, erfährt man nur aus dem kostenlosen Begleitheft – das leider ziemlich schmallippig und lückenhaft ausfällt.
Künstler ebenso wenig bekannt wie Museum
Welche Geschlechter die beiden Knutschenden 1981 auf einer Fotografie von Nan Goldin haben, lässt sich nur erahnen. Und das „Herdbild“ (1993) von Rosemarie Trockel aus dem Museum Küppersmühle in Duisburg kommt ganz ohne Figuren aus: Sieben in eine weiße, zwei Meter hohe Leinwand eingelassene Herdplatten kritisieren herkömmliche Rollenbilder, versteht sich.
Nebenan im Raum „Sein und Traum“ wird die wilde Mischung durch das Saalmotto praktisch vorgegeben. In der surrealistischen Fotomontage „Dream No. 7“ (1949) erschrickt Grete Stern vor einer Vierfach-Spiegelung ihres Antlitzes – das Motiv ist so effektvoll, dass es als key visual für die gesamte Ausstellung dient. Genauso einprägsam wirkt das „Interieur (Bewaffnete Liebe)“ (1963) vom surrealistischen Maler Edgar Ende. Er dürfte ist im heutigen Kunstbetrieb ebenso wenig bekannt sein wie das Museum Haus Opherdicke in Holzwickede, aus dem das Bilder stammt. Den Raum bestimmt jedoch die lebensgroße Geisterbahn-Gestalt „Vera“, die Eva Aeppli 1970 auf einen Sessel setzte.
Bergbau-Klangwolke aus Bottroper Zeche
Gegenüber verankert sich der Raum zur „Kauflust“ im Lokalen: Schließlich hat Deutschlands letzter Warenhaus-Konzern „Galeria Karstadt Kaufhof“ seinen Firmensitz in Essen. Und bis 2022 begrüßte am Handelshof der Schriftzug „Essen. Die Einkaufsstadt“ in Leuchtbuchstaben alle Bahnreisenden. Zur hundertjährigen Tradition als Kapitale des Konsumismus passen zwei Gemälde (1913/4) von August Macke, auf denen feine Damen die Auslagen von Hutläden begutachten, aber auch Gudrun Kemsas Fotografien von Passanten, die sich in Glasfassaden von „Apple Stores“ spiegeln.
Vor dem Konsum kommt die Produktion: Bis heute wird das Ruhrgebiet durch das Erbe der Kohle- und Stahl-Industrie geprägt. Auch in der Ausstellung taucht es mehrfach auf, allerdings nur einmal prägnant: Kurz vor Ende des Steinkohle-Bergbaus in der Bottroper Zeche Prosper-Haniel nahm Denise Ritter dort typische Arbeitsgeräusche auf. Nun erklingen Rufe, Klopfen und Dröhnen aus ihrer Sechs-Kanal-Klanginstallation „Mono/ Industriell“ (2018), deren Lautsprecher in drei mannshohe Hohlform-Blöcke eingelassen sind – und hüllen damit den größten Saal akustisch ein.
Schwarmintelligenz ohne Leitideen
Diese Klangwolke hat jedoch mit den umgebenden Werken – etwa der grellen Farbschlacht „Pinatubo“ (1992) von Emil Schumacher, der raffinierten Op-Art-Konstruktion „Physichromie Nr. 418“ (1968) von Carlos Cruz-Diez oder dem Hard-Edge-Ungetüm „Moultonville IV“ (1966) von Frank Stella – wenig zu tun. Was symptomatisch für diese Ausstellung ist: Wenn quasi die Schwarmintelligenz von 21 Museen alle Exponate zusammenstellt, darf man kaum Leitideen oder Korrespondenzen erwarten.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Im Raum „Fenster zur Welt“ hängt ein kleinformatiges Ölbild (1916) von Kurt Schwitters, das ganz schlicht – für ihn sehr untypisch – einen Bauernhof aus der Ferne zeigt. Daneben ein Schwarzweiß-Foto von Rudolf Holtappel einer „Schneelandschaft bei Gelsenkirchen“ 1962: Am Horizont sind hinter Gleisen und Strommasten zwei dampfende Kühltürme zu sehen. Die gleiche niedrige Perspektive, die gleiche Region – aber der Anblick hat sich in nur 46 Jahren völlig verändert.
Von der Atmosphäre zum Autofahren
Solche Aha-Effekte bietet auch der „Atmosphäre“-Raum, der durch die „Konturenwolke“ (2019) von Ulrich Möckel dominiert wird: Das frei in der Mitte sich drehende Gebilde besteht aus Umrissen von Baumkronen, die der Künstler auf Styropor übertragen und ausgeschnitten hat. Obwohl künstlich, erscheint das zugleich luftige und massige Knäuel viel naturgetreuer als die Wetterphänomene-Ansichten von Max Pechstein, Wilhelm Morgner und Gerhard Richter an den Wänden ringsherum.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Weltkunst – Von Buddha bis Picasso: Die Sammlung Eduard von der Heydt" über den Kunstmäzen im Von der Heydt-Museum, Wuppertal
und hier eine Besprechung der Ausstellung "China 8: Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr" – brillante Überblicks-Schau in 8 deutschen Städten
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und hier einen Beitrag über den Film "Herr von Bohlen" – Dokudrama über den Krupp-Erben Arndt von Bohlen und Halbach von André Schäfer.
Bustouren + Reisekatalog-Magazin
Dass die Kunsthalle Recklinghausen diese Arbeit beherbergt, hätte man nicht vermutet. Überhaupt ist es das größte Verdienst dieser Schau, kleinere Häuser vorzustellen und Neugier auf ihre Sammlungen zu wecken: Wer weiß schon außer Leuten im jeweiligen Einzugsgebiet, was etwa das Gustav-Lübcke-Museum Hamm, das Emschertal-Museum in Herne oder das Skulpturenmuseum Marl zu bieten haben? Zumal die Auswahl weniger durch zugkräftige Namen wie Paula Modersohn-Becker, Ernst-Ludwig Kirchner oder Friedensreich Hundertwasser beeindruckt, sondern mehr durch regionale Künstler, deren Arbeiten das Ruhrgebiet reflektieren.
Man tut den Veranstaltern wohl kaum Unrecht, wenn man „21×21“ vor allem als Werbeveranstaltung für die vielfältige hiesige Museums-Landschaft begreift, die Besucher hernach an einzelne Standorte locken soll. Dafür werden nicht nur am Wochenende geführte Bustouren angeboten; im Begleitmagazin zur Schau, so dick und reich bebildert wie ein Ferienreise-Katalog, stellen sich auch alle Häuser ausführlich vor. Möge diese PR-Offensive nützen; die eindrucksvollste Kunsthalle der Gegend bleibt zweifellos die Villa Hügel. Auch wenn sie nur alle paar Jahre Ausstellungen ausrichtet.