Joerg Burger

Archiv der Zukunft

Konserviert bis in die kleinste Runzel: der Elefant. Foto: © Copyright: Navigator Film
(Kinostart: 22.5.) Im Mausoleum der Artenvielfalt: Im Wiener Naturhistorischen Museum werden seit der Habsburgermonarchie Flora und Fauna katalogisiert. Die Doku von Regisseur Joerg Burger erkundet die Betriebsamkeit hinter den Kulissen und dringt in Räume vor, die Besucher sonst nicht zu sehen bekommen.

Auftritt: der Blaubock, ein schönes, stolzes Exemplar mit hellbraunem Fell, eleganter Statur und einem grazilen, dunklen Geweih. Seine Schönheit wurde ihm zum Verhängnis. Blauböcke waren die erste Großsäugetierart, die in Afrika ausgerottet wurde. Zirka 1799/1800 wurden die letzten Tiere geschossen, erklärt ein Museumsmitarbeiter. Heute gibt es weltweit nur noch vier „aufgestellte“ Präparate; das einzige Weibchen ist in hier Wien zu sehen.  

 

Info

 

Archiv der Zukunft

 

Regie: Joerg Burger,

92 Min. Österreich 2023;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ausgestorbene Arten wenn nicht am Leben, so doch in Erinnerung zu halten, ist eines der Anliegen des Naturhistorischen Museums an der Wiener Ringstraße, direkt gegenüber vom Kunsthistorischen Museum. Keine Frage: Die Sammlung ist faszinierend, vom Dinosaurier-Skelett über Farnblätter und Mineralien bis zu Glasvitrinen mit farbenprächtigen Schmetterlingen und winzigen Käferpräparaten.

 

Großteil der Sammlung für Besucher unzugänglich

 

Doch nur eine extrem geringe Auswahl ist im alltäglichen Museumsbetrieb für die Besucher zugänglich. Insgesamt hat die Institution über 30 Millionen Objekte in ihrem Bestand. Der Großteil an Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren ist in unzähligen Schubladen, Regalen voller Konservierungsgläser sowie Lagerhallen im Kellergeschoss untergebracht.

Offizieller Filmtrailer


 

Die Museumsmaschine als Ganzes

 

Regisseur Joerg Burger hält sich deshalb zu Beginn seines Films nicht lange in den herrschaftlichen Ausstellungshallen auf, die täglich von Schulklassen besucht werden. Mehr Platz widmet er dem nicht öffentlich zugänglichen Bereich: Seine Doku betrachtet die gesamte Museumsmaschine; zahleiche Mitarbeiter aus den verschiedensten Abteilungen kommen zu Wort.

 

Immerhin: Hinter der Fassade des 1889 von Kaiser Franz Joseph I. feierlich eröffneten Gebäudes verbirgt sich eine der größten Forschungseinrichtungen in Österreich – das nach eigenen Angaben erste und einzige „Evolutionsmuseum“ in Europa. Hier wird nicht nur kuratiert, archiviert, gehortet und zur Schau gestellt, sondern auch intensiv Grundlagenforschung betrieben: von der Frühgeschichte bis heute und über so ziemlich alles, „was draußen und im Weltall vorhanden ist“.

 

Darwins Büste ziert den Eingang

 

Dass schon die Habsburger sich intensiv mit Fragen der Evolution beschäftigt haben, erfährt man in einem Gespräch des Regisseurs mit Teilen der Belegschaft. Aber auch sonst spürt man im Film den unermüdlichen Forschergeist, der das gesamte Gebäude durchzieht; immer geht es um das Verhältnis des Menschen zur Natur.

 

Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist das Deckengemälde im Stiegenhaus, das die Vergänglichkeit des Homo sapiens illustriert. Den Eingang ziert eine Büste von Charles Darwin; eine treffliche Geste der Anerkennung für den Begründer der Evolutionstheorie. Gleichzeitig klingt durch, wie stolz die Österreicher auf die beiden monumentalen und prächtigen Ausstellungshäuser an der Wiener Ringstraße sind.

 

Fotoshooting mit totem Papagei

 

Bereits 2013 hat der Dokumentarist Johannes Holzhausen mit seinem Film „Das große Museum“ der kunsthistorischen Sammlung gegenüber ein Denkmal gesetzt. Burger folgt einem ähnlichen Ansatz mit seiner beobachtenden Inszenierung. Die Kamera geht stets nah ran, wenn etwa für ein neues Exponat jede noch so kleine Falte einer Elefantenhaut rekonstruiert wird, oder wenn einem toten Papagei für ein Fotoshooting die Federn zurechtgezupft werden.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das große Museum" – facettenreiche Doku über das Wiener Kunsthistorische Museum, direkt gegenüber an der Ringstraße, von Johannes Holzhausen

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Menagerie der Medusa – Otto Marseus van Schrieck und die Gelehrten" – gelungene Werkschau des Erfinders der Waldboden-Stillleben in der Galerie Alte & Neue Meister, Schwerin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Der Löwen-Kuhnert – Afrikas Tierwelt in den Zeichnungen von Wilhelm Kuhnert" in der Alten Nationalgalerie, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Raden Saleh (1811–1880): Ein javanischer Maler in Europa" – erste Retrospektive des auf Tierbilder spezialisierten Künstlers im Lindenau-Museum, Altenburg.

 

Auch dieser Vogel sei, wie der Kurator betont, eine „Kostbarkeit“: 1932 ging das Präparat aus der kaiserlichen Menagerie in den Museumsbestand über. Immer wieder wird deutlich,  dass sich in dem altehrwürdigen Haus Überraschendes, Einzigartiges und Erstaunliches finden lässt. Burger konzentriert sich auf die Objekte und Arbeitsprozesse innerhalb der Institution; seine Gesprächspartner nennt er weder mit Namen, noch wird ihre genaue Position im Museumsbetrieb erklärt.  

 

Jahrzehntelange Expertise

 

Das Meiste erschließt sich im Kontext: wenn Menschen mit Masken und weißen Handschuhen riesige Knochen zu einem Giraffenmodell zusammenstecken oder beim Katalogisieren über mangelnde finanzielle Ressourcen klagen, die sie daran hindern, mit ihrer Arbeit voranzukommen. Klar wird: Jeder hier ist ein Experte auf seinem Gebiet und mit voller Leidenschaft dabei; die meisten schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang.

 

Ein wenig allzu ausführlich stürzt sich Burger dabei selbst in die Wissenschaft. Projekte wie die Arbeit an einem Gen-Pool namens ABOL (kurz für Austrian Barcode of Life), in dem sämtliche Pflanzen-, Tier- und Pilzarten in Österreich genetisch aufgelistet werden, scheinen den Regisseur besonders zu faszinieren. Zugegeben: Solche Initiativen bleiben den Museumsbesuchern gewöhnlich verschlossen. Aber der Film gerät dadurch bisweilen ins Stocken; da erscheint fraglich, ob so viele Details hilfreich sind.

 

Der anklagende Blick der Präparate

 

Spannender ist da doch die Berberlöwin, die gerade frisch zur Präparation eingeliefert wurde und nun ausgenommen auf dem Untersuchungstisch liegt. Am Ende seines Films zeigt Berger noch einmal eine Reihe von Tierpräparaten im Close-up. Ernst schauen sie in die Kamera – wachsam, erhaben und auch anklagend.