
Ein Stück zur Zeit: Im Angesicht der heutigen Kriege und Flüchtlingsströme verfilmt Regisseur Burhan Qurbani das blutigste Drama von Shakespeare, „Richard III.“, als Neuköllner Oper ohne Gesang. In seiner Version werden die Häuser York und Lancaster aus der Vorlage zu konkurrierenden arabischen Clan-Familien. Zudem sind alle Hauptrollen mit Frauen besetzt.
Info
Kein Tier. So wild.
Regie: Burhan Qurbani,
142 Min., Deutschland/ Polen 2025;
mit: Kenda Hmeidan, Mehdi Nebbou, Verena Altenberger, Hiam Abbass
Weitere Informationen zum Film
Anwältin ermordet Gegenseite
Etliche Jahre später ist der Krieg von zwei Familienbanden in Berlin blutig eskaliert. Im Gerichtssaal verteidigt die inzwischen erwachsene Rashida, jüngste Tochter und Anwältin der Yorks, ihren Bruder Ghazi, der wegen Mordes angeklagt ist. Während ihres Plädoyers kommt es zu Tumulten – daraufhin tötet Rashida in der Vorhalle des Gerichts die Bosse der Lancasters.
Offizieller Filmtrailer
Aus Großstadt in staubige Beduinenwelt
Triumphierend verkündet ihr älterer Bruder Imad (Mehdi Nebbou) den Sieg der Yorks im Bandenkrieg: Um die verfeindeten Familien zu einen, soll Rashida einen Lancaster heiraten und mit gemeinsamen Nachkommen den Frieden zementieren. Doch die jüngste Tochter, der durch ihr Geschlecht der Weg zur Macht versperrt ist, hat andere Pläne.
Über diesen Stachel in ihrem Fleisch rappt, grummelt und monologisiert sie in Kulissen, die in ihrer ausgestellten Künstlichkeit mal an Filme von Rainer Werner Fassbinder, mal an Inszenierungen an der Berliner „Volksbühne“ in den 1990er Jahren erinnern und sich aus der Großstadt-Realität mehr und mehr in Richtung staubige Beduinenwelt bewegen. Dabei fängt die Kamera Rashida vorzugsweise in Großaufnahme ein, damit dem Publikum kein Zucken ihrer Mundwinkel und kein Augenrollen entgeht.
Trommelnder Score als Gewalt-Indikator
Sie hat offenbar vom Shakespeare-Bösewicht Richard III. den abgrundtief verdorbenen Charakter übernommen, was sie nur ausleben kann, indem sie intrigiert und wütet. Versteht sich, dass sie von Imads Versöhnungsinitiative wenig hält. Zumal sie dahinter die Strippenzieherei seiner Frau Elisabet (Verena Altenberger) vermutet: Die Deutsche hat in den Clan eingeheiratet – eine Konkurrentin, die Rashida nicht dulden kann.
Zusätzlich gibt der aufdringlich im Vordergrund trommelnde Score von Dascha Dauenhauer, die schon die Musik zu Qurbanis Romanverfilmung „Berlin Alexanderplatz“ (2020) geschrieben hat, dem Publikum zu verstehen: Anders als Imad kennt Rashida nichts als Gewalt – Grausamkeit ist ihre zweite Natur.
Regentin über Reich aus Sand + Dreck
Fortan mordet sie sich durch die Familienhierarchie, unterstützt von ihrer treuen Amme und Verbündeten Mishal (Hiam Abbass). Nebenher beginnt sie eine Liebesbeziehung mit Ghanima; die angeheiratete Lancaster ist kurz zuvor durch Rashidas Meucheln zur Witwe geworden. Bald fallen ihr auch ihre eigenen Brüder zum Opfer und später deren Kinder – bis sie praktisch allein mit der von ihr abhängigen Ghanima übrigbleibt, um ein Reich aus Sand und Dreck zu regieren.
Selbstverständlich überspannt sie den Bogen, so dass auch sie zuletzt untergeht, aber sie fügt sich in den Lauf der Welt. Dieses mörderische Schicksal lässt sich nicht aufhalten, was der Regisseur in extrem stilisierten Bildern beschwört – zumindest nicht, solange Sippe und Ehre die Schlüsselbegriffe sind, mit denen Menschen nach Verankerung in der Welt suchen.
Von Anfang bis Ende alles zu dick
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Berlin Alexanderplatz" – Verfilmung des Epochenromans von Alfred Döblin durch Burhan Qurbani
und hier eine Besprechung des Films "Macbeth" – brillante Verfilmung der Shakespeare-Tragödie von Justin Kurzel mit Michael Fassbender + Marion Cotillard
und hier einen Bericht über den Film "Lady Macbeth" – gelungen minimalistische Literatur-Verfilmung von William Oldroyd
und hier einen Beitrag über den Film “Anonymus” – spannender Literatur-Thriller über Shakespeares Autorenschaft von Roland Emmerich.
Häufig gehen die Übertreibungen in Richtung Groteske, was aber den Wunsch des Regisseurs nach Überdeutlichkeit offenbar nicht ausreichend befriedigt. Zusätzlich müssen die fünf Akte des Films ostentativ mit Schrifttafeln eingeleitet werden. So wirkt in „Kein Tier. So wild.“ von Anfang bis Ende alles zu dick aufgetragen.
Begierde trotz ständiger Todesnähe
Doch auch Ströme von Blut, die Kleidung und Böden tränken, oder quasi barocke Tableaus aus Körpern mit Tattoos und Glitzerflitter, die Begierde trotz permanenter Todesnähe anzeigen sollen, schaffen es nicht, dem Film Leben einzuhauchen. Trotz passabler Schauspieler, darunter eine großartige Hiam Abbass, ermüdet diese Wichtigtuerei auf Dauer zu sehr, um sich darauf einlassen zu wollen.