
„Musafiri: Von Reisenden und Gästen“ ist die fünfte Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt (HKW) seit Beginn der Intendanz von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung vor zwei Jahren – und die bislang heiterste. Die Auftakt-Schau „O Quilombismo…“ war ein Kraftakt, der alles anders und besser machen wollte als zuvor, was man ihm auch ansah. Der Nachfolger „Als hätten wir die Sonne verscharrt im Meer der Geschichten…“ beleuchtete facettenreich ein trauriges Phänomen: die Unterdrückung und Zerstörung der Kulturen kleiner Völker auf dem Gebiet der Ex-Sowjetunion und des heutigen Russlands.
Info
Musafiri: Von Reisenden und Gästen
08.03.2025 - 16.06.2025
täglich außer dienstags 12 bis 19 Uhr
im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin
Handbuch gratis, Reader 18 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Schmaleres Handbuch mit Lageplan
Dagegen kommt „Musafiri“ geradezu leichtfüßig daher. Beginnend beim Ausstellungstitel, der vom arabischen Begriff für Reisende abgeleitet ist: Endlich verzichtet das HKW auf ellenlange Benennungen, die sich keiner merken kann. Auch die Präsentation ist publikumsnäher. Zwar fehlen in der Schau weiterhin Bildlegenden mit Künstlernamen und Werktiteln. Doch das kostenlose Begleit-Handbuch, das jedem Besucher ausgehändigt wird, ist nur noch halb so dick früher, enthält nun aber einen mehrfarbigen Lageplan zum Ausklappen. Immerhin: Wer ihn konzentriert studiert, findet rasch heraus, was er sieht.
Impressionen der Ausstellung
Leichtes Gepäck für freien Kopf
Diese Benutzerfreundlichkeit haben sich die Autoren vielleicht bei Reiseführern abgeschaut. Oder sie ist dem Sujet geschuldet: Am besten reist man mit leichtem Gepäck ohne Ballast. Dann hat man den Kopf frei für überraschende Begegnungen, die diese Schau reichlich bietet. Zwar schlagen die Kuratoren einen großen Bogen: von heroischen Einzelreisenden seit dem Mittelalter über erzwungene Ortsveränderung durch Armut, Versklavung und Krieg bis zu heutigen Wanderungsbewegungen auf der Suche nach einem besseren Leben. Doch viele Beiträge sprengen diesen Reise-Rahmen – oft sind es die eindrucksvollsten.
Etwa die von Ena de Silva: Die 2015 verstorbene Künstlerin aus Sri Lanka bedruckte Stoffe in Batik-Manier. Zwei Dutzend ihrer meterlangen Banner und Wandbehänge füllen Freiflächen und Säulen im Foyer; ein farbenfroher Dschungel aus hinduistischen und buddhistischen Motiven des gesamten süd- und südostasiatischen Raums mit regionalen Akzenten. Für diesen „tropischen Modernismus“ reiste nicht ihre Schöpferin, sondern Bilder und Drucktechniken.
Hawaii-König in Holz-Reliefs
Ursprünglich stammt Batik aus Indonesien. Auf Bali lebt und arbeitet Citra Sasmita: Sie formuliert die traditionelle Kalamasan-Bildsprache feministisch um, indem sie Frauengestalten in den Mittelpunkt ihrer magisch-realistischen Kompositionen stellt. Da züngeln etwa Flammen oder wachsen Bäume aus den Hälsen von Enthaupteten, während Köpfe durch Haare zu einem fliegenden Reigen verflochten sind – fixiert auf edlen Bildträger-Textilien und von reich beschnitzten Bügeln herabhängend.
Eine reale Reise zeichnet dagegen Simon Soon aus Malaysia nach: 1881 besuchte Kalākaua, König von Hawaii, diverse Herrscher im asiatisch-pazifischen Raum, um eine malaiische Allianz gegen europäische Mächte und die USA zu schmieden – vergeblich. Fünf seiner Stationen hat Soon von philippinischen Holzschnitzern in Reliefs umsetzen lassen; ihre detailgetreue und zugleich idealisierende Machart erinnert an fürstliche Repräsentationskunst im Europa der Frühen Neuzeit.
Memorabilia-Museum des Lambada
Auch der Äthiopier Robel Tesmesgen folgt den Spuren eines legendären Reisenden: Der Mönch Abba Gorgoryos fuhr den Nil abwärts nach Europa, besuchte den Vatikan und erreichte Deutschland, bis er 1658 bei einem Schiffsunglück ertrank. Was er wohl mit sich führte? 36 mögliche Habseligkeiten platziert Tesmesgen in herkömmlichen Körben und Taschen aus Leder mit Muschelbesatz – eine ausladende Installation, die einer Bootsladung voller Gepäck gleicht.
Ohnehin sind die meisten Exponate voluminös; in der Fremde macht man am ehesten durch Masse auf sich aufmerksam. Am charmantesten gelingt das Carlos ‚Marilyn‘ Monroy aus Kolumbien mit seinem „Museum des Lambada“; dieses Lied und der passende Paartanz waren 1990 weltweit ein kurzlebiger Hit. Monroy hat etliche Memorabilia zusammengetragen, von Plattenhüllen über Videoclips bis zu Nippes – skurriler Nachlass einer Melodie, die um die Welt ging. Die Sammlung ist dem Straßenmusiker Chico Oliveira gewidmet: Unter seinem Namen soll das Lied registriert worden sein, ohne dass er es wusste oder jemals Tantiemen dafür erhielt.
Arabische Kalligrafie im Sino-Stil
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "O Quilombismo – Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien" – nichteuropäische Gegenwartskunst im Haus der Kulturen der Welt, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Indigo Waves and Other Stories. Re-Navigating the Afrasian Sea and Notions of Diaspora" – zeitgenössische Kunst aus der Region des Indischen Ozeans im Gropiusbau, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Ferne Länder, Ferne Zeiten – Sehnsuchtsfläche Plakat" – facettenreiche Themenschau über Werbegrafik zu Tourismus-Anfängen im Museum Folkwang, Essen
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Von Istanbul bis Yokohama" über die “Reise der Kamera nach Asien 1839-1900” im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln.
Gegen derlei schnelllebige Beliebigkeit richten sich die Exerzitien von Haji Noor Deen Mi Guangjang. Der Angehörige der muslimischen Minderheit in China praktiziert Sini-Kalligrafie, definiert als „arabische Kalligrafie im traditionellen chinesischen Stil“. Um ihn zu verfeinern, reiste er jahrelang durch Kuwait, Ägypten und die Türkei – Wanderjahre eines Schreib-Gesellen. Seine Arbeiten wirken auf westliche Augen so attraktiv wie hermetisch; die schwungvollen Bögen und Zeichen zeugen von abstrakt anmutender Harmonie.
Monumental-Totem beherrscht alles
All das verblasst aber vor einer fast sieben Meter hohen und vier Meter breiten Skulptur an der Wand. Ausgreifend beherrscht sie den Raum wie ein überdimensionales Totem. Anne Samat aus Malaysia hat dafür Tausende von Kleinteilen wie Stöcke, Perlen, kleine Plastikschwerter und Küchenutensilien miteinander verknüpft oder verwoben.
Das Ergebnis trägt den Namen „Wide Awake and Unafraid #3“ („Hellwach und Furchtlos Nr.3“) – so kryptisch wie die ganze Komposition. Auch den Kuratoren fällt kein Bezug zum Thema ein; dennoch wollten sie auf diesen monumentalen Blickfang wohl nicht verzichten. Zurecht: Die aufregendsten Reisen laufen doch beim Anblick des Erhabenen im eigenen Kopf ab.