Gera

Otto Dix – Trau Deinen Augen

Otto Dix: Lot und seine Töchter (Detail), 1939, Dauerleihgabe Sammlung Niescher. Fotoquelle: Kunstsammlung Gera
Vor dem Erfolg mit Neuer Sachlichkeit – und danach: Die neue Dauerausstellung in Dix' Heimatstadt konzentriert sich auf sein wenig bekanntes Früh- und Spätwerk. Mit allerlei Überraschungen, etwa Heiligen in Bonbonfarben oder neoexpressionistischen Zigeunerinnen; klar gegliedert und kundig kommentiert.

Otto Dix (1891-1969) zählt zu den stilbildenden Malern der 1920/30er Jahre. Seine berühmtesten Werke prägen bis heute den Blick auf diese Epoche und sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Seien es ausschweifendes Nachtleben mit freizügigen Tänzerinnen („Großstadt“-Triptychon, 1928), Berühmtheiten (Porträt von Heinrich George, 1932) oder die Schrecken des Ersten Weltkriegs („Der Krieg“-Triptychon, 1932).

 

Info

 

Otto Dix – Trau Deinen Augen

 

ab 03.10.2024

täglich außer montags 11 bis 17 Uhr

in der Kunstsammlung Orangerie, Orangerieplatz 1, Gera

 

Katalog 38 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Solche Ikonen der veristischen Neuen Sachlichkeit bietet die neue Dauerausstellung in der Orangerie mit rund 50 Gemälden und 35 Grafiken nicht; nur das Kriegs-Triptychon ist als Reproduktion zu sehen, ebenso eine frühe Version des bekannten „Bildnis der Eltern“, in dem Mutter und Vater Dix verhärmt und abgearbeitet auf einem Sofa sitzen. Um dennoch Besucher-Erwartungen zu bedienen, greift die Kunstsammlung Gera auf eine animierte Großprojektion von geläufigen Arbeiten zurück, in der eine ganze Parade an Typen und Fratzen aus der Weimarer Republik am Betrachter vorbeidefiliert.

 

Der ganze Otto Dix soll es sein

 

Stattdessen konzentriert sich Kuratorin Ulrike Lorenz auf das weniger bekannte Früh- und Spätwerk des Künstlers; es wird mit Beispielen aus dem eigenen Bestand sowie Dauerleihgaben präsentiert. So kann man in der weitgehend chronologisch aufgebauten Schau Dix‘ Entwicklung von seinen Anfängen über den Starmaler-Status in den 1920er Jahren und seine innere Emigration in der NS-Zeit bis zum Neo-Expressionismus am Lebensende verfolgen.

Feature zur Ausstellung. © moriundmori - Kunst und Künstler


 

Erweckungserlebnis Erster Weltkrieg

 

In Gera als Sohn künstlerisch interessierter Arbeiter aufgewachsen, wurde das Zeichentalent des Jungen schon früh erkannt und gefördert: Ab 1910 ermöglichte ihm ein Stipendium, an der Kunstgewerbeschule Dresden zu studieren. Nach kleinformatigen Landschaftsbildern entstanden dort erste Porträts und Selbstporträts in expressionistischer Manier.

 

Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, an dem Dix zunächst als ungedienter Ersatz-Reservist teilnahm, krempelte sein Schaffen völlig um. Das lässt sich an den Radierungen der berühmt-berüchtigten Mappe „Der Krieg“ von 1924 ablesen: Die kleinen Schwarzweiß-Formate sind auf grauenhafte Art genauso eindrucksvoll wie das gleichnamigen Triptychon von 1932. Ob schauderhaft explizit wie bei der „Leiche im Drahtverhau“ oder auf den ersten Blick harmlos wie ein „Trichterfeld bei Dontrien, von Leuchtkugeln erhellt“ – die Raserei des Kriegs verwandelt die Erdoberfläche in eine Wüste.

 

Rückzug auf Schloss am Bodensee

 

Dass das NS-Regime solche unverblümten Darstellung von Kriegsfolgen nicht schätzte, versteht sich. Dix verlor 1933 seine Kunstprofessur in Dresden, vier Jahre später wurden etliche seiner Werke als „entartete Kunst“ konfisziert; ein Ausstellungsverbot folgte. Der Künstler zog sich nach Süddeutschland zurück; dort gewährte ihm sein wohlhabender Schwager Hans Koch – zugleich der Ex-Mann seiner Ehefrau Martha – Unterschlupf auf Schloss Randegg am Bodensee. Später zog Dix mit seiner Familie in ein eigenes Haus im nahe gelegenen Hemmenhofen.

 

Notgedrungen suchte sich der Künstler nun andere Sujets; in der Ausstellung sind viele Beispiele zu sehen. Vor allem beschäftigte er sich mit Landschaftsmalerei, wobei ihm die idyllische Umgebung seines neuen Wohnorts Anregung bot. Einerseits sind diese Bilder in einer altmeisterlich präzisen Manier gemalt, die an die Renaissance erinnert. Andererseits verwendete Dix ein grelles, fast schon giftiges Farbenspektrum, das Wolkengebirge unheilschwanger und Sonnenuntergänge apokalyptisch wirken lässt – darin lassen sich durchaus Kommentare zu den Zeitläuften vermuten.

 

Sechs Mal Heiliger Christophorus

 

Zudem wurde der Großstadtmensch Dix im lieblichen Hegau nicht recht glücklich; er fühlte sich geradezu „verbannt in die Landschaft“. Eigentlich war er Menschenmaler, den die unzähligen Gesichter in den Metropolen inspirierten; das zeigen Bildnisse aus allen Schaffensperioden in der Ausstellung, vor allem von Familienmitgliedern und Freunden. Etliche Zeichnungen sind sehr fein und detailliert ausgeführt, drei naturalistische Porträts seiner Kinder wirken ausdrucksstark und lebensecht. Dabei spürt man Zuneigung zu den Dargestellten, im Gegensatz zu den grotesken Visagen der 1920er Jahre.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dix und die Gegenwart"– opulente Retrospektive plus 100 Arbeiten zeitgenössischer Künstler in den Deichtorhallen, Hamburg

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Otto Dix: Der böse Blick" – spektakuläre Gedenkschau in den Kunstsammlungen K20, Düsseldorf

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Dix/Beckmann: Mythos Welt" – anschaulicher Vergleich von Otto Dix mit Max Beckmann in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München.

 

Zur gleichen Zeit wandte sich Dix religiösen Motiven zu, die meist als Auftragswerke entstanden. Den Heiligen Christophorus, der das Jesuskind über den Fluss trägt, malte er gleich sechs Mal. Eine Version von 1938 ist ebenfalls altmeisterlich ausgeführt, bricht das jedoch mit knalligen Bonbonfarben – da zeigte der Künstler keine Scheu vor Kitsch-Effekten.

 

Zweitfamilie in der DDR

 

Im Spätwerk ab 1945 veränderte Dix abermals radikal seine Malweise. Sein Pinselstrich wird grob, die Farben unharmonisch; da knallt schon mal Lila gegen Rot wie im Porträt einer „Zigeunerin mit Kind“ (1962). Man fragt sich unwillkürlich, warum er diesen neoexpressionistisch anmutenden Stil bemühte: Weil er ihm leichter von der Hand ging, oder hatte er andere Gründe?

 

Jedenfalls konnte Dix sowohl stilistisch als auch mit seinen Sujets in beiden Teilen Nachkriegsdeutschlands nicht mehr reüssieren. Der DDR passten die Themen nicht, in der BRD war abstrakte Malerei en vogue. Der Künstler wohnte zwar weiterhin am Bodensee, besuchte aber immer wieder Gera und noch öfter Dresden. Dort erwartete ihn nicht nur ein Atelier, sondern auch eine Zweitfamilie: 1927 hatte Dix eine Affäre mit der Gerichtsdienerin Käthe Koch begonnen. 1939 wurde die gemeinsame Tochter geboren.

 

Abstecher zum Geburtshaus

 

Solche biografischen Details werden vielfach in die Ausstellung eingewoben: Sie legt großen Wert auf die Vermittlung des Lebenslauf von Dix – was ihr dank eines klaren Aufbaus und gezielt ausgewählten Werken durchaus gelingt. Danach bietet sich ein Abstecher zu Dix’ Geburtshaus an; es schmiegt sich am anderen Ufer der Weißen Elster eng an die Sankt Marienkirche an. In seiner ebenfalls erst kürzlich überarbeiteten Ausstellung werden zahlreiche kleinformative Frühwerke des Künstlers ausgestellt; dazu ein rekonstruierter Arbeiterhaushalt um 1900.