
Lost in the rainforest: Die 15-jährige Rebecca (Helene Zengel) steht im Zentrum eines evangelikalen Kultes, den ihr Vater, der Missionar Lawrence Byrne (Jeremy Xido), um sie herum aufgebaut hat. Seine Missions-Station liegt im brasilianischen Teil des Amazonas-Beckens. Die indigenen Iruaté verehren Rebecca als die „Überlebende des Dschungels“: Vor neun Jahren wurde sie als einzige Passagierin eines abgestürzten Flugzeugs auf angeblich wundersame Weise gerettet.
Info
Transamazonia
Regie: Pia Marais,
112 Min., Brasilien/ Frankreich/ Deutschland 2024;
mit: Helena Zengel, Jeremy Xido, Sergio Sarturio
Weitere Informationen zum Film
Weibliche Hauptfigur in Lebenskrise
Wie in früheren Filmen von Regisseurin Pia Marais steht auch im Mittelpunkt von „Transamazonia“ eine weibliche Hauptfigur in einer Lebenskrise. So kreiste Marais’ zweiter Spielfilm „Im Alter von Ellen“ (2010) um eine Flugbegleiterin im Ausnahmezustand. In „Layla Fourie“ (2013) verstrickte sich in Marais’ Geburtsland Südafrika eine alleinerziehende Mutter in einen Kriminalfall mit politischer Dimension. Auch in „Transamazonia“ wird ein persönlicher Konflikt mit politischen Themen verquickt.
Offizieller Filmtrailer
Juliane Koepke als Inspiration
Ausgehend von eigenen Recherchen entlang der titelgebenden brasilianischen Transamazônica-Autobahn, erfand die Regisseurin gemeinsam mit zwei Ko-Drehbuchautoren eine Geschichte mit mehreren ineinander verwobenen Handlungssträngen; verbindendes Element ist Rebecca. Diese Figur ist vom Fall der Deutschen Juliane Koepcke inspiriert; die damals 17-jährige überlebte 1971 als Einzige einen Flugzeugabsturz in Peru und wurde dadurch kurzzeitig berühmt.
Filmemacher Werner Herzog, der sich damals ebenfalls in Peru aufhielt, hätte beinahe auch in diesem Flugzeug gesessen. Er kehrte 1998 mit der nun 45-jährigen Frau an die Absturzstelle zurück: Ihr war es nach zwölftägigem Umherirren gelungen, eine Waldarbeiter-Hütte zu finden. An Herzogs TV-Dokumentation „Julianes Sturz in den Dschungel“ (2000) lässt sich jedoch Marais‘ Film, der sich nur vage an den realen Ereignissen orientiert, nicht messen.
Vom Vater instrumentalisiert
Rebecca wirkt zunächst recht unbedarft. Scheinbar freudig betätigt sie sich als Wunderheilerin und singt im Gottesdienst erbauliche Popsongs mit ihrem vom Glauben an seine Mission beseelten Vater. Das Mädchen dient vor allem als Projektionsfläche für Gläubige, die bei ihr Heilung suchen, wie für Lawrence, der sie für seine Zwecke instrumentalisiert.
Als unversehens die Krankenschwester Denise (Sabine Timoteo) in der Mission auftaucht, erkennt sie in Rebecca die Tochter einer ehemaligen Kollegin, die bei dem Absturz umkam. Daraufhin brechen bei dem Mädchen lange verdrängte Erinnerungen hervor, die so gar nicht zur Erzählung des Vaters passen wollen, dass allein Gott sie wieder zurück in eine menschliche Gemeinschaft geführt habe.
Stimmiges Bild eines archaischen Sozialgefüges
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Stimme des Regenwaldes – Die wahre Geschichte von Bruno Manser" – fesselndes Biopic über einen auf Borneo lebenden Schweizer und seinen Kampf gegen Urwald-Abholzung von Niklaus Hilber
und hier eine Besprechung des Films "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – atemberaubendes Dschungeldrama am Amazonas von Ciro Guerra
und hier einen Beitrag über den Film "Monos – Zwischen Himmel und Hölle" – bildgewaltiges Guerilla-Epos im kolumbianischen Dschungel von Alejandro Landes
und hier einen Bericht über den Film "A Floresta De Jonathas – Im dunklen Grün" – Coming-of-Age-Drama im Regenwald Brasiliens von Sergio Andrade.
Womit sich der Film zu viel aufhalst: Allein Rebeccas Coming-of-Age-Story unter erschwerten Bedingungen hätte als Stoff durchaus genügt. Vor allem in seiner ersten Hälfte entwirft der Film ein stimmiges Bild des teils archaisch anmutenden Sozialgefüges in der Isolation des undurchdringlichen Urwalds. Beide Hauptfiguren, Vater wie Tochter, werden glaubhaft und vielschichtig charakterisiert und gespielt. Dabei zeigt die Kinder- bzw. Jugenddarstellerin Helena Zengel, die mit dem Film „Systemsprenger“ (2019) bekannt wurde, erneut eine erstaunlich reife Leistung.
Indigene Opfer weißer Spekulanten
Auch visuell fängt „Transamazonia“ sehr plastisch das schwüle Tropen-Klima und das wuchernde Grün im Dschungel ein, das alle Bewohner zu einer sehr einfachen Lebensführung zwingt. Regisseurin Marais wollte aber unbedingt noch die Auswirkungen des Raubbaus am Urwald in ihren Film einbauen. Dieser Handlungsstrang wirkt etwas aufgesetzt und eindimensional: Rodungsmaschinen dröhnen mit rücksichtloser Brutalität, und gewissenlose Holzfäller knallen alles ab, was sich ihnen in den Weg stellt. Am Ende werden die von Laien gespielten Indigenen trotz des guten Willens der Missionare, die ihnen zu Hilfe eilen, zu Opfern weißer Spekulanten.