Robert Guédiguian

Das Fest geht weiter

Rosa (Ariane Ascaride) hat sich in Henri (Jean-Pierre Darroussin) verliebt. Foto: Film Kino Text
(Kinostart: 12.6.) Marseiller Geschichten: Regisseur Robert Guédiguian porträtiert in seiner Dramödie eine couragierte Krankenschwester, die neben Engagement einen persönlichen Neuanfang wagt. Trotz sympathischer Protagonisten lässt der Film erzählerischen Fokus und politische Analyse vermissen.

Salut, les enfants: Wenn man das Werk des hierzulande wenig bekannten französischen Regisseurs Robert Guédiguian jahrelang verfolgt, ähneln seine Filme allmählich guten, alten Bekannten. Dieselben vertrauten Gesichter aus seiner Schauspielfamilie tauchen immer wieder in verschiedenen Rollen auf. Fast immer handeln sie von Familien, die erleben, wie der soziale Kitt um sie herum durch ökonomischen Druck zerbröselt.

 

Info

 

Das Fest geht weiter

 

Regie: Robert Guédiguian,

106 Min., Frankreich/ Italien 2023;

mit: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan

 

Weitere Informationen zum Film

 

Außerdem ist der Schauplatz meist Marseille, die Heimatstadt des Regisseurs. Hier sind seine mehr als 20 Filme im Lauf von mehr als vier Jahrzehnten entstanden; sie bilden eine Kartografie der Mittelmeermetropole. Im neuen Werk geht es um das alte Viertel Noailles im Herzen der Stadt. Hier stehen viele heruntergekommene Bauten, die von ihren Besitzern sträflich vernachlässigt und an die Ärmsten vermietet werden.

 

Todesopfer der Gentrifizierung

 

Zwei der baufälligen Häuser in der Rue d’Aubagne stürzten 2018 ein und begruben acht Menschen unter sich. Dieses Ereignis führte zu wütenden Protesten in Marseille; es dient als Ausgangspunkt für den Spielfilm „Das Fest geht weiter“. Die Menschen im Viertel fühlten sich verraten von einer Kommunalpolitik, die in der Innenstadt die Gentrifizierung auf Kosten der sozial Schwachen vorantreibt.

Offizieller Filmtrailer


 

Hauptfigur inspiriert von realer Politikerin

 

Drei Jahre später und nach der Evakuierung von mehreren tausend Menschen scheint das Problem allenfalls kosmetisch behandelt worden zu sein, legt ein Bericht der ARD-Sendung „Weltspiegel“ von 2021 nahe. Darin heißt es, rund 4000 Häuser im Marseiller Zentrum seien marode; 90.000 Menschen lebten in unzumutbaren Verhältnissen. Die komplexen Ursachen dieser Misere werden in Guédiguians Film jedoch kaum angesprochen, sondern offenbar beim französischen Publikum als bekannt vorausgesetzt.

 

Im Zentrum der Handlung steht die fiktive Krankenschwester und Aktivistin Rosa, verkörpert von Guédiguians Stammschauspielerin und Ehefrau Ariane Ascaride. Ihre Figur ist inspiriert von der linken Politikerin und Ärztin Michèle Rubirola, die 2020 zur Bürgermeisterin von Marseille gewählt wurde.

 

Tragödie als Chance

 

Rosa versucht verzweifelt, die linken Kommunalparteien dazu zu bringen, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für die anstehende Bürgermeisterwahl zu einigen. Der Einsturz der beiden Häuser wird von ihr trotz aller Tragik als Chance gesehen, endlich die seit über zwei Jahrzehnten regierenden Konservativen an der Spitze der Stadt abzulösen.

 

Neben ihrem politischen Engagement und der anstrengenden Arbeit im Krankenhaus wacht die alleinstehende Rosa energisch über ihren Familienclan. Sie opfert sich für zwei erwachsene Söhne und ihre Enkel ebenso auf wie für ihre Patienten und ihre politischen Ideale. Wie sehr sie sich darüber selbst verloren hat, merkt sie erst, als sie sich unerwartet verliebt: in den Vater (Jean-Pierre Darroussin) von Alice (Lola Naymark), der Verlobten ihres Sohnes Sarkis (Robinson Stévenin).

 

Teppich aus Realität + Fiktion

 

Fiktionale und reale Elemente verwebt Guédiguian zu einem dicken Geschichtenteppich. Da geht es neben Rosas romantischem Neuanfang auch um Sarkis’ und Alices unerfüllten Kinderwunsch oder um die patriotischen Gefühle, die Rosas zweiter Sohn Minas Armenien gegenüber entwickelt, der Heimat seines Vaters. Der Regisseur selbst hat armenische und deutsche Wurzeln.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Gloria Mundi – Rückkehr nach Marseille"Sozialdrama über das Armutsrisiko durch Nachwuchs von Robert Guédiguian

 

und hier einen Beitrag über den Film "Das Haus am Meer" subtiles Familiendrama mit Ariane Ascaride und Jean-Pierre Darroussin von Robert Guédiguian

 

und hier eine Besprechung des Films "Gloria"Porträt einer 58-jährigen Chilenin von Sebastián Lelio mit Paulina García, Gewinnerin des Silbernen Bären 2013

 

und hier eine Kritik des Films "Late Bloomers"romantische Senioren-Komödie von Julie Gavras.

 

Gemächlich flaniert der Film durch seine diversen Motive. Allerdings geht der erzählerische Fokus bei diesem sanften Mäandern ebenso verloren wie die analytische Schärfe, die frühere Werke Guédiguians auszeichnete. In Filmen wie „Schnee am Kilimandscharo“ (2011) oder „Das Haus am Meer“ (2017) hinterfragte er stets auch die widersprüchlichen Motive seiner Protagonisten, die unauflösbar in den Verhältnissen verstrickt waren, die sie anprangerten.

 

Figuren ohne Ecken + Kanten

 

Das ist im aktuellen Film einer sich selbst genügenden Wohlgefälligkeit gewichen. Alle Familienmitglieder setzen sich auf ihre Weise für rechtschaffene Ziele ein, haben aber zu wenig Ecken und Kanten, um wirklich zu fesseln. So wirkt „Das Fest geht weiter“ wie ein geruhsamer Spaziergang am Meer: wohltuend, aber doch auch von einer gewissen Gleichförmigkeit.

 

Für den Film spricht sein altmodischer Charme: Rosa und ihre Lieben kämpfen mitunter bis zur Verzweiflung, verlieren aber nie die ihnen eigene Herzensgüte. Und ein Blick aufs Mittelmeer bringt sie immer wieder ins emotionale Lot. Damit nährt dieser Film den Glauben, dass Menschen etwas zum Positiven ändern können.