Julie Delpy

Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne

Familie Fayad im Restaurant von Jacqueline Moulin (Brigitte Roüan). Foto: © THE FILM
(Kinostart: 26.6.) Die Fayeds bei den Galliern: Regisseurin Julie Delpy lässt in ihren Filmen gern Kulturen kollidieren, doch bei dieser Dramödie geht die Rechnung nicht auf. Die Ankunft einer syrischen Familie in einem französischen Dorf dient vor allem als Aufhänger für eine Reihe von Stereotypen und peinlichen Momenten.

Sébastien (Jean-Charles Clichet) ist Betreiber eines Sägewerks und Teilzeit-Politiker. Seine Ambitionen sind dabei weitaus größer als das Dorf, dem er als Bürgermeister vorsteht. Zwar spielte das bretonische Paimpont schon in der Sagenwelt von König Artur eine Rolle. In der Gegenwart hat der Ort jedoch Probleme, die für strukturschwache Regionen allzu typisch sind: etwa Landflucht und Arbeitslosigkeit – kurzum: mangelnde Perspektiven.

 

Info

 

Die Barbaren –
Willkommen in der Bretagne

 

Regie: Julie Delpy,

101 Min., Frankreich 2024;

mit: Sandrine Kiberlain, Laurent Lafitte, Ziad Bakri

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sébastien ist entschlossen, das Ruder herumreißen. Mit einem Imagefilm wirbt er leidenschaftlich für Paimpont. Darüber hinaus plant er mit der Lehrerin Joëlle (Julie Delpy) die Unterbringung einer aus der Ukraine geflüchteten Familie. Nicht nur, damit das Dorf wieder ein bisschen wächst – auch als Beleg dafür, dass es sich dort gut leben lässt. Dieser Idee mag sich nicht einmal Klempner und dumpfbackige Dorf-Rassist Hervé (Laurent Lafitte) verweigern, als der Plan im Gemeinderat zur Abstimmung gestellt wird.

 

Bloß nichts Falsches sagen!

 

Schließlich beabsichtigt sogar ein TV-Sender, über die Neuankömmlinge zu berichten. Der Zuschauer lernt die Dorfbewohner in den ersten Filmminuten dann auch erst einmal so kennen, wie sich vor der Fernsehkamera präsentieren: leicht gehemmt. Niemand will etwas Falsches sagen. Das jedoch soll sich bald ändern. Denn das Integrations-Projekt kommt ins Wanken, als statt der angekündigten Ukrainer eine syrische Familie eintrifft, die Fayads.

Offizieller Filmtrailer


 

Bilderbuchfamilie statt Barbaren

 

Ukrainer waren bei aufnahmewilligen Gemeinden derart begehrt, dass bereits alle untergebracht sind. Schnell kochen im Ort wilde Phantasien und antimuslimische Ressentiments hoch. Bei der Ankunft in ihrem neuen Zuhause erwartet die Familie eine wüste Beschimpfung. „Dehors les barbares“ („Raus mit den Barbaren“) steht plötzlich an dem Haus, das man gerade noch für sie renoviert hatte.

 

Zwar entpuppen sich die Fayads als hoch qualifizierte, integrationsfreudige Vorzeige-Migranten, doch ihre Annäherung an die Einheimischen führt immer wieder zu Momenten des Fremdschämens. Ein wiederkehrendes Motiv sind Stereotype, die den Blick auf die Realität verstellen. Wieso, fragt etwa ein Dorfbewohner, tragen diese syrischen Frauen kein Kopftuch? Handelt es sich vielleicht gar nicht um Syrer, sondern um Roma? Diese Vorstellung macht wiederum den Besitzer des Supermarkts nervös.

 

Cartoonhafte Figurenzeichnung

 

Leider wird das komische Potenzial der Ausgangssituation dadurch untergraben, dass die Regisseurin Julie Delpy selbst zu sehr auf Stereotype setzt. Die Figurenzeichnung wirkt vorhersehbar, bisweilen cartoonhaft. Etwa bei besagter Lehrerin, die mit progressivem Sendungsbewusstsein ihre Einsamkeit kompensiert, oder ihrer stets angetrunkenen Freundin Anne (Sandrine Kiberlain), die von ihrem Mann betrogen wird. Trotzdem redet sie ihm nach dem Mund.

 

Dann gibt es da noch den ewig grantelnden Opa; einen Biobauern, der mit allen über Kreuz liegt. Was bei Delpys früheren Regiearbeiten, etwa „2 Tage Paris“ (2007) und „2 Tage New York“ (2012) durchaus funktionierte – Klischeevorstellungen über Franzosen und US-Amerikaner lustvoll aufeinander prallen zu lassen – geht diesmal nicht auf. Dabei handelt es sich um den politischsten der sieben Filme, bei denen sie Regie geführt hat.

 

Irritierende Tonartwechsel

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films  "2 Tage New York" – franko-amerikanische Culture-Clash-Komödie von Julie Delpy

 

und hier eine Besprechung des Films "Ein Dorf sieht schwarz" – originell-charmante Culture-Clash-Komödie über Afrikaner in der französischen Provinz von Julien Rambaldi

 

und hier einen Bericht über den Film "Willkommen in den Bergen" – italienische Culture-Clash-Komödie über ukrainische Flüchtlinge in den Abruzzen von Riccardo Milani

 

und hier einen Beitrag über den Film "Heute bin ich Samba"  – beschwingte Tragikomödie über illegale Einwanderer in Frankreich von Olivier Nakache + Eric Toledano.

 

Auch wenn der vermeintliche Culture-Clash durchaus für Szenen mit Unterhaltungswert sorgt, wirkt Delpys Versuch, aktuelle Diskurse über Migration in einen burlesken Dorf-Schwank einzubauen, ziemlich missglückt. Kleinigkeiten werden zu Dramen aufgebauscht, doch für den Subtext solcher Eskalationen interessiert sich die Filmemacherin kaum. Sie werden einfach weggemenschelt.

 

Zudem irritieren die abrupten Wechsel der Tonlagen. So sollen die Fayads auf einer Kennlern-Party den Dorfbewohnern anhand privater Handy-Videos von ihrer Flucht und den Verhältnissen in Syrien berichten. Was Delpy, die auch das Drehbuch schrieb, mit dieser übergriffigen und grausamen Szene bezweckt, bleibt unklar: Geht es darum, dem Kinopublikum Hintergrundwissen zu vermitteln? Oder will sie kritisieren, wie viel Flüchtlinge über sich offenlegen müssen, um überhaupt geduldet zu werden?

 

Konfuses Wechselbad der Gefühle

 

Darüber nachzudenken, bleibt keine Zeit, denn der Abend endet unvermittelt in einer Gewaltorgie. Sogenannte „Identitäre“, mit denen sich Hervé eingelassen hat, verprügeln die Anwesenden – was in der nächsten Einstellung wiederum als Ausgangspunkt für zänkisches Geplänkel unter Eheleuten dient. Es ist ein bizarres, irritierendes Wechselbad der Gefühle.

 

Einerseits wirkt die Handlung dieser wohlmeinenden, aber konfusen Dramödie allzu vorhersehbar. Auf der anderen Seite scheint sie seltsam beliebig – es wirkt, als sei jede Idee, die bei einem ersten Brainstorming an die Tafel geschrieben wurde, später auch im Drehbuch gelandet. Doch die Umsetzung lässt zu wünschen übrig.