Cécile de France

Die Bonnards – Malen und Lieben

Pierre Bonnard (Vincent Macaigne) in seinem Atelier. Foto: Prokino
(Kinostart: 5.6.) Sie küssten sich (oft) und sie schlugen sich (selten): Der Nabis-Künstler Pierre Bonnard und seine Partnerin Marthe de Méligny waren ein unzertrennliches Paar. Das zeigt Regisseur Martin Provost so stimmungsvoll wie undramatisch – indem er seinen Film an Bonnards Malweise angleicht.

“Malen und Lieben” scheint ein recht trivialer Untertitel für ein Biopic über ein Künstler-Ehepaar zu sein; im französischen Original lautet er noch banaler “Pierre et Marthe” nach den Vornamen der Protagonisten. Doch im Lauf des Films entpuppt er sich als eigentümlich treffend. Noch passender wäre “Lieben und Malen” gewesen, denn die Liebe steht an erster Stelle – das Malen ist sozusagen eine von ihr abgeleitete Funktion.

 

Info

 

Die Bonnards – Malen und Lieben

 

Regie: Martin Provost,

123 Min., Frankreich/ Belgien 2023;

mit: Cécile de France, Vincent Macaigne, Stacy Martin

 

Weitere Informationen zum Film

 

1893 spricht der aufstrebende Maler Pierre Bonnard (1867-1947) in Paris eine junge Frau auf der Straße an und bittet sie, ihm Modell zu stehen – anschließend landen beide, wenn man dem Film glauben darf, sofort im Bett. Sie nennt sich Marthe de Méligny (1869-1942) und behauptet, adliger italienischer Abstammung zu sein. Tatsächlich kommt sie aus einfachen Verhältnissen, arbeitet als schlecht bezahlte Näherin und heißt Maria Boursin – was er erst 32 Jahre später bei ihrer Heirat erfahren wird.

 

Nabis war mehr Haltung als Stil

 

Bonnard gehört seit fünf Jahren der Künstlergruppe „Les Nabis“ („Die Propheten“) an, der man das wolkige Etikett “postimpressionistisch” aufklebt. Tatsächlich malen ihre führenden Vertreter wie Édouard Vuillard, Félix Valotton, Maurice Denis und Paul Sérusier sehr unterschiedlich; sie eint weniger ein Stil als vielmehr eine Geisteshaltung. Ihre Sujets finden sie in der Welt des saturierten Großbürgertums im fin de siècle: Stillleben und Interieurs, Garten- und Park-Landschaften mit Figuren bei alltäglichen Beschäftigungen. Derlei halten sie in flächigen Kompositionen und gebrochenen Farben fest, oft inspiriert von den kühnen Perspektiven japanischer Farbholzschnitte.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Ménage à trois-Experiment scheitert

 

Marthe hat davon keine Ahnung. Sie fremdelt mit den Künstlerkreisen, in die Pierre sie einführt; insbesondere die flamboyant auftretende Salondame Misia Sert (Anouk Grinberg) schreckt sie ab. Als Merthe bei einem Ausflug am Unterlauf der Seine eine leer stehende Villa bei Vernon entdeckt, überzeugt sie Pierre, das Haus zu mieten und sich aufs Land zurückzuziehen; hier werden sie viele Jahre bleiben. Ohne zu vereinsamen: Im nahen Giverny wohnt etwa Ober-Impressionist Claude Monet mit seiner Frau Alice; beide kommen zuweilen im Ruderboot für üppige Picknicks vorbei.

 

Diese geruhsame Idylle wird durch die US-Amerikanerin Renée (Stacy Martin) gestört. Pierre verliebt sich in seine Kunststudentin; das Experiment einer ménage à trois in der Vernon-Villa geht schief. Renée überredet Pierre, heimlich mit ihr nach Rom zu reisen, um dort zu heiraten. Doch drei Tage vor dem Hochzeitstermin besinnt er sich und kehrt reumütig zu Marthe zurück. Die hat mittlerweile begonnen, selbst zu malen, und stellt ihre Werke auch aus. Wieder versöhnt, zieht das Paar später in ein Haus nahe Cannes an der Côte d’Azur zurück; Licht und leuchtende Farben des Südens werden Pierres Alterswerk prägen.

 

Filmbilder wie Bonnard-Gemälde

 

Es ist eine im Grunde – von zeitweiligen Gefühlsaufwallungen abgesehen – ereignisarme und beschauliche Künstlerpaar-Existenz, die Regisseur Martin Provost schildert. Er hat bereits in Biopics über die naive Malerin Séraphine Louis (2008) und die Schriftstellerin Violette Leduc (2013) zwei Künstlerinnen aus respektvoller Distanz porträtiert, ohne zu dramatisieren. Auch diesmal gelingt ihm das Kunststück, stimmungsvolle Szenen für die Reize der Normalität zu finden, die den Zuschauer für das Gezeigte einnehmen.

 

Indem Provost seinen Film so weit wie möglich an Bonnards Malweise angleicht. Mal posieren die Akteure direkt für eines seiner berühmten Gemälde, etwa “L’homme et la femme” (1900) oder “Weiblicher Akt in der Badewanne” (1937). Oder der Regisseur arrangiert seine Bilder wie Leinwände des Malers: aus exzentrischen Blickwinkeln, mit starken Kontrasten zwischen Vorder- und Hintergründen, Blicken durch Fenster und Türen oder Details in Nahaufnahme.

 

Frauengestalt mit unerkennbarem Antlitz

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Violette" – einfühlsames Biopic über die Schriftstellerin Violette Leduc von Martin Provost

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Matisse – Bonnard: "Es lebe die Malerei!" – umfassender Vergleich der beiden Künstler im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung  "Magie des Augenblicks: Van Gogh, Cézanne, Bonnard, Vallotton, Matisse" mit Werken von Pierre Bonnard in Halle/Saale + Stuttgart

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900" – grandioser Epochen-Überblick in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung des Films "Münter & Kandinsky" – furioses Biopic über Gabriele Münter + Wassily Kandinsky, das Traumpaar des deutschen Expressionismus, von Marcus O. Rosenmüller.

 

Dabei kommt ihm zugute, dass Bonnards Motivkreis begrenzt ist: vor allem Innenräume und Gärten, die er in subtil variierten Ansichten umkreist. Oft steht eine Frauengestalt im Mittelpunkt; auf einem Drittel seines Gesamtwerks von rund 2000 Gemälden soll Marthe dargestellt sein. Aber fast immer als Silhouette oder Figur mit abgewandtem oder unerkennbarem Gesicht; ihrem Mann ging es nicht um Porträtähnlichkeit oder Psychologie, sondern um das Verhältnis von Körpern und Oberflächen im Raum. Deshalb lässt er häufig Objekte durch Farbgebung oder getüpfelte Muster ineinander fließen.

 

Was Regisseur Provost kongenial imitiert: durch Lichtstreifen und -reflexe an Wänden, flirrende Sonnenflecken auf Waldpfaden oder sich kräuselnde Wellen auf dem Wasser – ohnehin spielen viele bedeutsame Szenen am Seinefluss, in dem die Akteure ausgiebig schwimmen und planschen.

 

Gewöhnlichkeit eines Genies

 

Das könnte ins gefällig Dekorative abgleiten, würde nicht die eigentliche Hauptfigur souverän dagegenhalten. Céline de France bringt wunderbar schnoddrig zum Ausdruck, dass ihre Marthe einerseits der Fixstern ist, um den sich Pierres Leben dreht – und andererseits ein Emporkömmling, die ein Doppelleben führt: Ihre armen Verwandten hält sie lange vor ihm geheim.

 

Diese untergründige Spannung lässt den Maler blass aussehen: Der knuffige Vincent Macaigne – der bizarrerweise im französischen Kino gern als feuriger Liebhaber besetzt wird, etwa in “Tagebuch einer Pariser Affäre” (2022) oder “Zwischen den Zeilen” (2018) – ist als Pierre ein braver, leicht teigiger Biedermann des Kunstbetriebs. Emsig feilt er an seiner persönlichen Handschrift, die ihm Anerkennung und einen Ehrenplatz in der Kunstgeschichte einbringt – aber als Charakter wirkt er völlig belanglos. Vielleicht ist dies das größte Verdienst des Films: die Gewöhnlichkeit eines Genies vorzuführen.