
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, sogar in der Porno-Branche. Das suggeriert „Diva Futura“ – mit einer Beerdigung. Tinta, die Haus-Python in den Büroräumen der gleichnamigen Erotikmodel-Agentur, ist gestorben und wird von der Belegschaft ordentlich bestattet. Agenturchef Riccardo Schicchi (Pietro Castellitto) vergießt sogar ein paar Tränen – und sorgt dann dafür, dass Fotos vom Begräbnis sofort an alle Klatschblätter geschickt werden. Schlagzeilen sind in seiner Branche alles.
Info
Diva Futura
Regie: Giulia Louise Steigerwalt,
125 Min., Italien 2024;
mit: Pietro Castellitto, Denise Capezza, Barbara Ronchi
Weitere Informationen zum Film
Pasta-Essen beim Porno-Dreh
Derweil ist Schicchi glänzend im Geschäft, trotz exzentrischer Vorlieben – in einem Büroraum hält er Dutzende von Katzen und Kaninchen – und turbulenter Geschäftsführung. Seine Sexfilme sind zwar hardcore, doch zugleich fantasievoll und kunterbunt ausgestattet. Und auf liebenswerte Weise amateurhaft: Wenn mittags die Pasta für das Filmteam fertig ist, werden dafür die Dreharbeiten unterbrochen. „Ich will verblüffen, nicht demütigen“, sagt Schicchi; die menschenverachtenden Methoden mancher Porno-Produzenten sind ihm zuwider. Lieber lässt er sein Personal als verführerische Stripperinnen in glamourösen „Diva Futura“-Nachtclubs auftreten.
Offizieller Filmtrailer
Darstellerinnen als Talkshow-Dauergäste
Dieses Glückskind, dem zeitweise alles zu gelingen scheint, spielt Pietro Castellitto unwiderstehlich charmant als schlaksigen und leicht verschusselten großen Jungen. Er führt sein Unternehmen wie eine pikante Pyjama-Party samt Wasserpistolen-Schlachten – und hat zugleich ein goldenes Händchen beim Füttern der Massenmedien. Seine Top-Darstellerinnen sind Dauergäste in den Trash-Talkshows der Privatsender von Silvio Berlusconis „Mediaset“-Holding; dort plaudern sie bereitwilig über Silikonbrüste, den Alltag am Pornodreh-Set und ihre Träume von Anerkennung ihrer Arbeit.
Konsequenterweise führt Regisseurin Giulia Louise Steigerwalt die vier wichtigsten Frauen in Schicchis Leben mit balkengroßen Zwischentiteln ein. Neben Cicciolina, die nach zehn Minuten verschwindet und nur als Racheengel widerkehrt, sind dies Moana Pozzi (Denise Capezza), in Italien als Pornostar ebenso populär. Sie tritt zwei Mal als Kandidatin für das Bürgermeisteramt von Rom an, scheitert beide Male – und stirbt 1994 mit nur 33 Jahren an Leberkrebs.
Gatten-Schulden mit Pornos abtragen
Sowie die Ungarin Éva Henger (Tesa Litvan), die Schicchi heiratet; sie versucht sich ab 1997 gleichfalls als Pornodarstellerin, um Schulden ihres Gatten abzutragen. Aber vor allem Debora Attanasio (Barbara Ronchi) als seine Sekretärin, die das kreative Chaos organisiert; auf ihren als Buch veröffentlichten Erinnerungen basiert der Film. Doch der frivole Spaß ist nach einer Dreiviertelstunde vorbei.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Pleasure" – anschauliches Dokudrama über die US-Porno-Branche von Ninja Thyberg
und hier das Interview "Sex-Athleten bei Kampfsportarten" mit Ninja Thyberg + Sofia Kappel über den Film "Pleasure"
und hier eine Besprechung des Films "La Maison – Haus der Lust" – einfühlsam-realistisches Dokudrama über Bordellbetrieb aus weiblicher Sicht von Anissa Bonnefont
und hier einen Bericht über den Film "Hustlers" – Hochglanz-Tragikomödie über betrügerische Striperinnen von Lorene Scafaria mit Jennifer Lopez
und hier einen Beitrag über den Film "Loro – Die Verführten" – monumentales Biopic über Silvio Berlusconi von Paolo Sorrentino
und hier eine Kritik des Films "Jeff Koons: A Private Portrait" – schönfärberisches Porträt des US-Starkünstlers samt dem Sorgerechts-Streit mit Cicciolina von Pappi Corsicato.
Praktisch ohne Nacktszenen
Warum die Justiz plötzlich zuschlägt, erklärt Regisseurin Steigerwalt ebenso wenig wie vieles andere. Sie hat das Drehbuch selbst verfasst, was wohl ein Fehler war: Mit einem halben Dutzend Zeitsprüngen binnen zwei Dekaden zerfasert sie das Beziehungsgeflecht, was Einfühlung in die Figuren verunmöglicht. Stattdessen tippt das Skript lauter Aspekte des Milieus an, ohne sie auszuformulieren: Eifersucht trotz Libertinage und Toleranz; erlittene Traumata bei manchen Porno-Akteuren, die sie mit Grenzerfahrungen überwinden wollen; ihre Neigung zu autoritären und gewalttätigen Denk- oder Verhaltensmustern und ähnliches. Da boten manche Vorgängerfilme über die Branche deutlich mehr.
Den kollektiven Katzenjammer nach rauschhaften Höhenflügen hat Paul Thomas Anderson 1997 in „Boogie Nights“ mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle drastisch ausgebreitet. Wie heutzutage die Fließbandproduktion fürs Internet alle Beteiligten auslaugt, hat die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg 2021 in „Pleasure“ geradezu aufreizend unspektakulär vorgeführt. Im Vergleich dazu wirkt „Diva Futura“ wie ein gefühlig-redseliges Erotik-Melodram – das obendrein praktisch ohne Nacktszenen auskommt, ähnlich wie die verquasselte Netflix-Miniserie „Supersex“ (2024) über den Werdegang des italienischen Pornostars Rocco Siffredi.