
Gut, dass es Generalsanierungen gibt: Sie bringen Meisterwerke auf Reisen. Das Museum Langmatt in Baden nahe Zürich wird zwei Jahre lang bis zum Frühling 2026 renoviert. Dadurch kann seine bedeutende Kollektion impressionistischer Kunst erstmals andernorts gezeigt werden, an je einer Station in drei Ländern. Nach dem Auftakt in Lausanne ist die Sammlung derzeit im Wallraf-Richartz-Museum (WRM) zu sehen; im Herbst wandert sie ins Wiener Belvedere.
Info
Schweizer Schätze
28.03.2025 - 27.07.2025
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr
im Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Köln
Katalog 32 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Cézanne, Monet, Renoir – Französischer Impressionismus aus dem Museum Langmatt
25.09.2025 - 08.02.2026
täglich 10 bis 18 Uhr
im Unteren Belvedere, Rennweg 6, Wien
Weitere Informationen zur Ausstellung
Vater war britischer Ingenieur
Das Museum Langmatt beherbergt den Nachlass des Ehepaars Jenny und Sidney Brown. Dieser – der seinen wenig helvetischen Namen vom Vater erhielt, einem britischen Ingenieur, der in die Schweiz eingewandert war – trat 1891 in die Firma „Brown, Boveri & Cie.“ (BBC) ein, die sein Bruder Charles mitgegründet hatte. Das Elektrotechnik-Unternehmen wurde zur Weltmarke, bis es 1988 mit einem schwedischen Wettbewerber zur „Asea Brown Boveri“ (ABB) fusionierte
Dieser Erfolg erlaubte dem Paar, 1901 eine geräumige Jugendstil-Villa bei Baden zu beziehen und sie großzügig mit Kunst auszustatten. Auf ihrer Hochzeitsreise nach Paris erwarben beide 1896 ihr erstes Gemälde: „Wäscherinnen am Ufer der Touques“ vom Proto-Impressionisten Eugène Boudin. Die eher spröde Rückenansicht von Arbeiterinnen am Fluss ist in der Ausstellung zu sehen.
Impressionen der Ausstellung
40 Gemälde in elf Jahren erworben
Es war der Auftakt zu einer regen Ankaufstätigkeit – zunächst von Bildern der Münchener Sezession. Unter dem Einfluss des Künstlers Carl Montag aus Winterthur wandelte sich das nach 1908: Die Browns stießen die Sezessionisten wieder ab und wandten sich den französischen Impressionisten zu. In nur elf Jahren legten sie sich 40 Gemälde zu – das war möglich, weil diese Stilrichtung noch sehr umstritten und ihre Werke günstig zu haben waren. Dieser Grundstock der Kollektion blieb unverändert erhalten; „Zeitkapsel Langmatt“ nennt ihn Markus Stegmann im Katalog.
13 Venedig-Veduten von 1743/44
Ab 1919 bevorzugte das Paar ältere Kunst; zudem schränkte die Wirtschaftslage ihren finanziellen Spielraum ein. Das Paar hatte drei Söhne, die kinderlos blieben. Nach dem Tod des letzten, John Alfred Brown, ging der gesamte Besitz an die Stadt Baden über – unter der Auflage, eine Stiftung samt Museum einzurichten. Es wird zurzeit umfassend erneuert; derweil kommt die Sammlung Impressionismus-Liebhabern im deutschsprachigen Raum entgegen.
Wobei der Auftakt im Wallraf-Richartz-Museum weit zurückspringt. 1743/44 schuf ein anonymer venezianischer Maler, vermutlich Apollonio Domenichini, 13 Veduten der Serenissima – solche Stadtansichten waren damals beliebte Souvenirs für Venedig-Touristen. Die Browns kauften sie en bloc; warmes Licht, abgetönte Farben und ein gewisses sfumato geben ihnen ein einheitliches Gepräge. Es wird aufgelockert durch eine Canal-Grande-Ansicht von Bernardo Bellotto und zwei Seestücke von Francesco Guardi, die das WRM beisteuert.
Impressionismus fiel nicht vom Himmel
Auch im nächsten Saal zur Freiluft-Malerei wirken die Schweizer Leih- und die WRM-Beigaben komplementär. Vom Hauptvertreter der „Schule von Barbizon“, Camille Corot, sind nicht nur geläufig tonige Landschaften zu sehen, sondern auch zwei prägnante Frauenbildnisse – eines aus Baden, das zweite aus Köln. Ebenso paritätisch verteilt sind die Gemälde von Eugène Boudin: Seine Gruppen-Porträts in aufgelösten Formen unter freiem Himmel könnten als rein impressionistisch gelten, hätte er nicht die später bei Puristen verpönte Farbe Schwarz benutzt.
Im Camille Pissarro gewidmeten Raum lässt sich an seinem Werk anschaulich die Veränderung seiner Malweise studieren: Der Impressionismus fiel nicht vom Himmel, sondern entwickelte sich ganz allmählich aus realistischen und pleinair-Ansätzen heraus. Eine ausladende Ansicht der „L’Hermitage bei Pontoise“ von 1867 könnte mit ihren gedeckten Farben auch von Corot stammen; die komplexe Staffelung von Gebäude-Quadern erinnert an Cézanne. 1899 malte Pissarro hingegen eine „Wiese in Éragny im Herbst“ als derart wildes Getüpfel, dass es nahezu pointilistisch anmutet.
Rosig-fleischige Nackedeis von Renoir
Ähnlich verhält es sich bei Pierre-Auguste Renoir, dem mit 33 Exponaten am häufigsten vertretenen Maler. Aus Baden kommt „Der Zopf“ (1886/7): die klare Frontalansicht einer jungen Frau mit ruhiger Linienführung und ausgewogenem Kolorit gemahnt an den Klassizisten Ingres. Doch wenige Jahre zuvor waren lichttrunkene Farbschlachten wie „Das Boot“ (1878), das Plakatmotiv der Schau, oder „Am Ufer der Seine bei Argenteuil“ (1879) entstanden – von den rosig-fleischigen Nackedeis und pin-up girls, die Rodin jahrzehntelang fleißig pinselte, ganz abgesehen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Monet. Orte" – opulente Impressionismus-Retrospektive im Museum Barberini, Potsdam
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Magie des Augenblicks" mit Werken von Impressionisten und Postimpressionisten aus der Schweizer Privatsammlung Hahnloser-Bühler in Halle (Saale) + Stuttgart
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Cézanne – Metamorphosen" – ambitionierte Thesen-Schau in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Pissarro – Der Vater des Impressionismus" – umfassende Retrospektive im Von Der Heydt-Museum, Wuppertal
und hier einen Kritik des Films "Meine Zeit mit Cézanne" – Künstlerbiographie über Paul Cézanne + Émile Zola von Danièle Thompson
und hier einen Beitrag über den Film "Renoir" – Biopic über den Maler Auguste Renoir und seinen Sohn, Filmregisseur Jean Renoir, von Gilles Bourdos.
Fototapeten mit historischer Hängung
Der aufschlussreichste Saal ist hingegen Edgar Degas gewidmet. Dazu steuert das Museum Langmatt nur drei Kleinformate in Öl und einen Pastell-Akt aus gewagter Perspektive bei. Das WRM hingegen Grafiken mit berühmten Tänzerinnen-Motiven und Kleinbronzen: Solche Plastiken unbekleideter Frauen in ungewöhnlichen Posen benutzte Degas als Vorlagen bei seiner Malerei.
Der größte Saal der Schau wartet mit einer Überraschung auf: Fototapeten aus stark vergrößerten historischen Aufnahmen zeigen, wie die Werke früher in der Jugendvilla angeordnet waren. Diese Hängung wird an den Wänden ringsum nachempfunden: ein kunterbuntes Potpourri von Motiven und Genres, bei dem wohl ausschlaggebend war, wo noch Platz war und ob die Rahmen zueinander passten. Wie unbekümmert die Browns ihre Schätze vorführten, ist wohltuendes Gegengift gegen den Pseudo-Perfektionismus heutiger Kuratoren und Galeristen.
Kulinarisch im besten Sinne
Überhaupt: Diese Schau wirkt wie eine Zeitreise in eine vergangene Epoche großbürgerlicher Sammlungskultur, als Kunstwerke für ihre Besitzer noch Mitbewohner und keine Spekulationsobjekte waren. Das WRM präsentiert die Langmatt-Leihgaben so überlegt wie dezent, ohne sie konzeptionell zu überfrachten. Steile Thesen oder enzyklopädischen Ehrgeiz darf man nicht erwarten, aber einen hochkarätigen Impressionismus-Genuss – eine kulinarische Ausstellung im besten Sinne.