Marianne Elliott

Der Salzpfad

Raynor (Gillian Anderson) und Moth Winn (Jason Isaacs) wärmen sich am Feuer. Foto: British Broadcasting Corporation und Number 9 Films Salt Path Limited 2024
(Kinostart: 17.7.) Der Weg ist das Ziel: Die Bestseller-Verfilmung um ein verarmtes Ehepaar auf Wanderschaft fängt die Atmosphäre der Romanvorlage erfolgreich ein. Die Aufregung um deren Wahrheitsgehalt scheint angesichts der harmlosen Erbauungsgeschichte jedoch übertrieben.

Das Haus ist gepfändet, der Ehemann unheilbar krank, die Familie insolvent: Es läuft nicht gut für Raynor Winn (Gillian Anderson), und man sieht es ihr an. Mit zerzausten Haaren und besorgtem Blick sitzt sie neben ihrem Gatten Moth (Jason Isaacs) im Bus auf dem Weg an die Südwest-Küste Englands. Sie zählt das Geld, das ihnen bleibt, und dreht dabei sorgsam jeden Penny einzeln um.

 

Info

 

Der Salzpfad

 

Regie: Marianne Elliott,

115 Min., Großbritannien 2024;

mit: Gillian Anderson, Jason Isaacs, James Lance

 

Weitere Informationen zum Film

 

Weil sie ihr Erspartes in das Geschäft eines Freundes investiert haben, das krachend gescheitert ist, sind die Winns nun obdach- und so gut wie mittellos. Aus Mangel an Optionen wählen sie die Flucht nach vorn. Ihr Plan ist es, den mehr als 1000 Kilometer langen South West Coast Path abzuwandern. Englands längster, auch „Salzpfad“ genannter Wanderweg führt von Somerset über Devon und Cornwall bis nach Dorset.

 

Schwerkrank auf Wanderschaft

 

Dafür sind sie kaum hinreichend ausgerüstet. Ihr wackeliges Zelt und die amateurhaft gepackten, viel zu schweren Rucksäcke sind das eine Problem. Das andere ist Moths hinkendes Bein. Mühsam zieht er es bei jedem Schritt hinter sich her. Er leidet an der seltenen neurologischen Erkrankung CBD, die Gleichgewichtsstörungen und Lähmungen hervorruft.

Offizieller Filmtrailer


 

Pilgerdasein ohne Alternative

 

Als Moth seine Frau darauf hinweist, dass er möglicherweise auf einer Klippe umkippen könnte, erwidert sie nüchtern: „Was haben wir denn für eine Alternative?“. Während die Winns ihre ersten Kilometer in Richtung einer unsicheren Zukunft zurücklegen, enthüllen Rückblenden, was vorher geschah: wie die Gerichtsvollzieher an die Tür ihres Bauernhauses hämmerten, oder Moth im Krankenhaus die erschütternde Diagnose erhielt.

 

Der Fokus der britischen Regisseurin Marianne Elliott liegt jedoch auf dem Kampf der Eheleute mit der Natur und gegen die Armut. In einer Mischung aus Stolz, Verzweiflung und Scham stellen sie sich bedingungslos dem Pilgerdasein, leben zusammen von 40 Pfund pro Woche, essen abends verkochte Spaghetti oder in örtlichen Suppenküchen.

 

Gnadenlose Natur + gütige Mitmenschen

 

Zwischendurch lässt die malerische Küstenlandschaft ihren rauen Charme deutlich spüren. Ohne Gnade: Regen und Sturm, Sonnenbrand und nächtliche Kälte, steile Grasdünen und verästelte Waldwege – Raynor und Moth bleibt auf ihrer Wanderung nichts erspart. Daneben gibt es jedoch genügend versöhnliche Momente.

 

„Der Salzpfad“ ist ein Film voller Hoffnung; wie der autobiografische Bericht, auf dem er beruht. Immer wieder ist das Ehepaar auf die Güte und das Mitgefühl der Menschen angewiesen, die ihnen begegnen. Einmal bietet ihnen eine junge Kellnerin eine Kanne mit heißem Wasser für ihre Teebeutel an. Sie ahnt, dass sich ihre Gäste nichts auf der Karte leisten können.

 

Ohne Bitterkeit oder Sentimentalität

 

Von solchen Szenen des unverhofften kleinen Glücks zehrt Rebecca Lenkiewiczs Drehbuch. Die britische Autorin ist international vor allem für ihre Vorlage zu Maria Schraders Metoo-Drama „She Said“ über den Fall Harvey Weinstein bekannt. Ihr eigenes Regie-Debüt „Hot Milk“ läuft derzeit im Kino. Regisseurin Elliott dagegen kommt vom Theater; diese Buch-Adaption ist ihr Spielfilmdebüt.

 

Sie erzählt die physische und spirituelle Reise ihrer beiden Protagonisten mit viel Geduld und Sympathie, ohne allzu sentimental oder bitter zu werden. Allerdings bleiben durch die Konzentration auf die Beschwerlichkeiten ihres Wegs einige Plot-Elemente auf der Strecke. Nebenfiguren wie ihre beiden mittlerweile studierenden Kinder oder Raynors Freundin Polly (Hermione Norris) werden kurz vorgestellt, aber sie tragen wenig zur dramatischen Spannung bei.

 

Zweifel am Wahrheitsgehalt der Romanvorlage

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Auf dem Weg - 1300 Kilometer zu mir" – französisches Wanderungs-Epos von Denis Imbert

 

und hier eine Besprechung des Films "Ich bin dann mal weg" – Adaption des Bestsellers von Hape Kerkeling über seine Jakobsweg-Wanderung durch Julia von Heinz 

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der grosse Trip – Wild" – beeindruckendes US-Fernwanderungs-Epos von Jean-Marc Vallée mit Reese Witherspoon

 

und hier einen Bericht über den Film "She said" - spannendes Dokudrama über den Weinstein-Skandal als Auslöser der #MeToo-Bewegung von Maria Schrader, Skript von Rebecca Lenkiewicz.

 

 

Für mehr Aufregung sorgt dagegen ein vermeintlicher Skandal um Winns Buch, über den seit kurzem britische Medien berichten. Auf der Insel wurde die Verfilmung nach dem Kinostart Ende Mai schnell zum dritterfolgreichsten britischen Film des Jahres. Nun hat die britische Tageszeitung „The Observer“ den Wahrheitsgehalt der Vorlage in Frage gestellt, was die Pleite der Winns und Moths Krankheitsbild betrifft.

 

Besetzung verdient Anerkennung

 

Aus filmischer Sicht sind derartige Enthüllungen einigermaßen unerheblich; vielleicht steigern sie sogar das Publikumsinteresse. Zumal Elliotts Film nicht der erste, der sich auf ein zweifelhaftes Original stützt. Gegen den 2018 von Regisseurin Sam-Taylor Johnson verfilmten Bestseller „A Million Little Pieces“ wurden ähnliche Vorwürfe erhoben.

 

Bedauerlich ist, dass das Skandälchen die Leistung der Besetzung schmälert. Gillian Anderson und Jason Isaacs geben als Raynor und Moth alles, um sich weder vom trotzigen Wetter noch von dem tollkühnen eigenen Anspruch an sich selbst unterkriegen zu lassen. Ihre schauspielerische Leistung verdient Anerkennung – trotz aller dramaturgischen Schwächen.