
Yoko Ono ist zweifellos die berühmteste Gegenwartskünstlerin der Welt – aber nicht als bildende Künstlerin, sondern als Rockstar. Hunderte Millionen von Menschen kennen ihren Namen; solche Popularitätswerte werden sonst nur von Show-Größen wie Beyoncé und Taylor Swift erreicht. Allerdings ist Yoko Ono viel länger im Geschäft.
Info
Yoko Ono: Music of the Mind
11.04.2025 - 31.08.2025
täglich außer dienstags 12 bis 19 Uhr,
samstags und sonntags 10 bis 19 Uhr
im Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin
Weitere Informationen zur Ausstellung
Yoko Ono: Dream Together
11.04.2025 - 14.09.2025
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Berlin
Weitere Informationen zur Ausstellung
Œuvre wird remixed + neu präsentiert
Während sie die Popcharts knackte, geriet ihr Schaffen als bildende Künstlerin in den Hintergrund. Seit einem Jahrzehnt hat sich das geändert: Da von der mittlerweile 92-jährigen Lennon-Witwe keine weiteren Charttopper zu erwarten sind, wird nun ihr künstlerisches Œuvre remixed und neu präsentiert. Den Anfang machten 2013 Frankfurt und Bilbao; es folgten im Laufe der Jahre große Werkschauen im Museum for Modern Art und in Tokio, Lyon, Leipzig und Oslo. Vorläufiger Höhepunkt: die Retrospektive „Music of the Mind“; sie ist nach Stationen in der Londoner Tate Modern und im Düsseldorfer K20 jetzt im Berliner Gropius-Bau zu sehen.
Impressionen der Ausstellung in der Tate Modern; © Buddywood
Höre Herzschlag + Springe in Pfützen
Die Ausstellung fokussiert klugerweise auf ihre Anfänge: Zwei Drittel der Räume sind ihrem Frühwerk von Ende der 1950er Jahre bis etwa 1970 gewidmet, das folgende halbe Jahrhundert wird rasch abgehandelt. Zurecht: Nach ihrem Umzug von Tokio nach New York wurde Yoko Ono ab 1956 zu einer zentralen Figur der entstehenden Fluxus-Bewegung. Sie machte sich einen Namen mit Projekten für Werke, die entweder der Zufall schaffen sollte oder der Betrachter.
Solche „Instructions“ wurden ihr Markenzeichen, etwa: „Höre einem Herzschlag zu“ oder „Spring in alle Pfützen in der Stadt“ oder „Schlage jeden Morgen einen Nagel in einen Spiegel (…) Nimm außerdem ein Haar, das dir morgens beim Kämmen ausgefallen ist, und binde es um den Nagel.“ Derartige banale oder absurde Aufforderungen waren im damaligen Kunstbetrieb durchaus originell. Ono verband neodadaistische Provokation mit zenbuddhistischer Konzentration auf Schlichtes und Alltägliches.
Nicht-Ereignisse werden zum Ereignis
Im 1964 in Tokio gedrehten Film „Some young people“ hinterließ sie Blumen auf der Straße und bot datierte Glasscherben zum Verkauf an. „Kunst ist nicht Besonderes“, kommentierte sie: „Jeder kann Kunst machen. Wenn alle zu Künstlern würden, verschwände das, was wir ‚Kunst‘ nennen.“ Damit fasste sie die Fluxus-Prinzipien bündig zusammen: Aktionskunst, die mit einfachen Gesten in die Normalität eingreift, um die Aufmerksamkeit auf Ignoriertes zu lenken – das Gewöhnliche ist das Besondere.
Und Nicht-Ereignisse werden zum Ereignis. Für die Performance „Bag Piece“ ließ Ono Darsteller in ein schwarzen Sack schlüpfen, um sich darin aus- und wieder anzuziehen. In „Cut Piece“ saß sie selbst regungslos da; derweil durfte das Publikum beliebig große Stücke aus ihrer Kleidung schneiden. Die Verweigerung gegenüber Konventionen trieb ihre „Strip Tease Show“ auf die Spitze: Drei Stühle auf einer Bühne blieben während der Veranstaltung einfach leer.
200 nackte Hintern in Nahaufnahme
Doch solche Gesten kann man nur einmal machen; ohne Überraschungseffekt sind sie witzlos. Ende der 1960er Jahre ebbte Fluxus ab; sein Potential, zu verstören und Augen zu öffnen, war ausgereizt. Glücklicherweise lernte Ono Ende 1966 Lennon kennen und lieben; fortan konnte sie ihre Strategien mithilfe ihres Megastar-Gatten im Pop-Kontext verbreiten – aus Galerie- und Theater-Auftritten für culturati wurden Massenspektakel.
Mit Schallplatten: erst mit atonalen Urschrei-Gewittern, dann mit eingängigen Weisen à la „Give peace a chance“ zum Mitsingen und -klatschen, während ihr Mann klampfte oder klimperte. Mit Selbstgedrehtem wie „Film No. 4 („Bottoms“)“ von 1966/7; er zeigt 200 nackte Hintern beim Gehen in Nahaufnahme. „Im Grunde geht es in dem Film um Frieden“, behauptete Ono – drunter tat sie es nicht.
Model mit Handkamera verfolgt
Im halbstündigen Film „Fly“ (1970/1) ist eine Fliege zu sehen, die auf einer liegenden, unbekleideten Frau herumkrabbelt. Im Kurzfilm „Freedom“ (1970) versucht Ono, ihren Büstenhalter zu zerreißen. In „Rape“ (1968/9) wird ein Model eine Stunde lang von einer Handkamera durch die Straßen bis in ihre Wohnung verfolgt – kein Wunder, dass die Darstellerin sich belästigt und genötigt fühlt. Alle drei Filme protestieren natürlich gegen die Unterdrückung von Frauen: „Woman is the nigger of the world“.
Kombiniert mit dem Personenkult des Pop-Business wurden die Wortmeldungen des Duos Ono/ Lennon immer plakativer. Etwa mit dem Slogan „War is over! If you want it – Happy Christmas by John & Yoko Lennon“; er erschien erstmals 1969 in ganzseitigen Zeitungsanzeigen in der „New York Times“ – seither von ihr x-mal auf Plakaten und Annoncen bis in jüngste Zeit wiederholt. Nach Lennons Ermordung 1980 verlegte sich Ono zusehends darauf, ihr beschränktes Themen-Repertoire in immer pompöseren Partizipations-Installationen durchzuspielen.
Erinnerungen an Mutter hinterlassen
Was die Ausstellung diskret herunterspielt, indem sie nur zwei Beispiele vorführt. Bei „Add Colour (Refugee Boat)“ von 2016 liegt ein überdimensionales Papierfaltboot in einem weißen Raum. „Hier ist das Publikum aufgefordert, Boot, Wände und Fußboden mit weißer und blauer Farbe zu versehen und dabei über drängende Fragen von Krisen und Vertreibung nachzudenken“, lautet die Anweisung. Sie könnte kaum folgsamer aufgenommen werden, wie das allseitige Gekritzel zeigt – und der Anspruch kaum prätentiöser.
Anders der letzte Raum: In „My Mommy is Beautiful“ (2004) sollen die Besucher „Erinnerungen an eure Mutter oder Fotografien von ihr“ hinterlassen. Da kann jeder mitreden: Die Wände sind mit Notizzetteln übersät. Onos Beitrag dazu: Neun Fotografien von Brüsten und Vulven im Großformat, die am Ausgang von der Decke hängen.
Geschirr kleben wie im Bastelunterricht
Während im Gropius-Bau solche senilen Selbstparodien eher kaschiert auftreten, werden sie in der Neuen Nationalgalerie voll ausgespielt. Die Ergänzungsschau „Dream Together“ ist recht klein geraten und lässt den Verdacht aufkommen, Onos zugkräftiger Name solle kompensieren, dass die derzeitige Hauptausstellung – eine Retrospektive der brasilianischen Konzeptkünstlerin Lygia Clark – weniger Besucher anzieht.
Dagegen lädt die Nebenschau sofort zu Mitmachen ein: Beim „Mend Piece“ können sie zerbrochenes Geschirr wieder zusammenkleben – wie einst im Grundschul-Bastelunterricht. Anschließend bietet eine ganze Tafel voller Schachbretter mit rein weißen Figuren die Möglichkeit zum Schachspielen; solange man den Überblick behält, wer welche Figuren führt.
Gemeinsamer Traum wird Wirklichkeit
Am Ende des Raums stehen Gefäße mit blauen Puzzleteilen; jeder darf „ein Stück Himmel“ mitnehmen. Oder beim Hinausgehen am „Wish Tree“ vor der Nationalgalerie einen Anhänger mit seinem Herzenswunsch hinterlassen. Falls der Platz dort nicht mehr ausreicht, keine Sorge: Im Lichthof des Gropius-Bau stehen neun weitere Bäume für denselben Zweck.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "One to One: John & Yoko" – Doku über u.a. das letzte abendfüllende Konzert von John Lennon 1972 von Kevin Macdonald
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Yoko Ono: Peace is Power" – Retrospektive der größten Rockdiva des Kunstbetriebs im Museum der bildenden Künste, Leipzig
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Nam June Paik: I Expose the Music" – große Retrospektive des Fluxus- und Videokunst-Pioniers im Museum Ostwall im Dortmunder U
und hier einen Bericht über den Dokumentarfilm "Beuys" – Filmporträt des Fluxus-Aktionskünstlers aus Archiv-Material von Andreas Veiel.
Direkter Draht zwischen Idol und Fans
Was wir träumen oder uns vorstellen, ist – schwups! – vorhanden: Man könnte dieses magische Weltbild als liebenswerte Hippie-Naivität belächeln, hätte Ono nicht weiter reichende Ambitionen. „Mit weiblicher Intelligenz und Bewusstsein können wir uns in eine organische, nicht von Konkurrenz geprägte Gesellschaft verwandeln, die auf Liebe statt auf logischem Denken beruht“, sagte sie 1972: So schlicht gestrickt traten einst feministische Revolutionsfantasien auf.
Solche Einlassungen einer schwerreichen Geschäftsfrau sind weniger einfältig denn kalkuliert: Ono überträgt souverän Mechanismen der Musikindustrie auf den Kunstbetrieb. Jeder Star muss seine Fan-Gemeinde bei der Stange halten; das geht am besten mit Interaktionen, die einen direkten Draht zwischen Idol und Bewunderern suggerieren.
Pop-Populismus-Avantgardistin
Friedens- und Frauenfragen beschäftigen immer, heute mehr denn je. Da genügen ein paar Striche oder Wörter auf einem Zettelchen, um den Kunst-Gucker zum -Mitspieler zu machen; was ihm das angenehme Gefühl gibt, sein Scherflein zur Beförderung des Guten beizutragen. Auf diese Weise wird die Fluxus-Greisin wieder zu Avantgardistin: eines vermeintlich linken Pop-Populismus.
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