Berlin

Yoko Ono: Music of the Mind + Dream Together

Werbeplakat für die Ausstellung vor dem Martin-Gropius-Bau. Foto: ohe
Für Frauen und Frieden in der Welt: Yoko Ono hat in der Gegenwartskunst eine Ausnahmestellung. Die Retrospektive im Gropius-Bau konzentriert sich auf ihre Anfänge als Fluxus-Avantgardistin – die Neue Nationalgalerie setzt auf schlichte Mitmach-Aktionen für gutes Bauchgefühl.

Yoko Ono ist zweifellos die berühmteste Gegenwartskünstlerin der Welt – aber nicht als bildende Künstlerin, sondern als Rockstar. Hunderte Millionen von Menschen kennen ihren Namen; solche Popularitätswerte werden sonst nur von Show-Größen wie Beyoncé und Taylor Swift erreicht. Allerdings ist Yoko Ono viel länger im Geschäft.

 

Info

 

Yoko Ono: Music of the Mind

 

11.04.2025 - 31.08.2025

täglich außer dienstags 12 bis 19 Uhr,

samstags und sonntags 10 bis 19 Uhr

im Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Yoko Ono: Dream Together

 

11.04.2025 - 14.09.2025

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Berlin

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Seit ihren ersten Aufnahmen 1968 mit ihrem künftigen Ehemann John Lennon hat sie etliche Platten herausgebracht. Bis zur Jahrtausendwende vorwiegend mit konventionellen Pop- und Rocksongs, danach meist als beat-lastige Remixe ihrer Stücke; bis 2015 hatte sie elf number one hits in den Billboard-Dance-Charts. Außerdem interpretierte sie altes Material mit bekannten Musikern von „Sonic Youth“ bis Iggy Pop neu. Damit hat Ono ihr künstlerisches Prinzip höchst erfolgreich in die Popmusik übertragen: einen überschaubaren backcatalogue endlos zu variieren und auszuschlachten.

 

Œuvre wird remixed + neu präsentiert

 

Während sie die Popcharts knackte, geriet ihr Schaffen als bildende Künstlerin in den Hintergrund. Seit einem Jahrzehnt hat sich das geändert: Da von der mittlerweile 92-jährigen Lennon-Witwe keine weiteren Charttopper zu erwarten sind, wird nun ihr künstlerisches Œuvre remixed und neu präsentiert. Den Anfang machten 2013 Frankfurt und Bilbao; es folgten im Laufe der Jahre große Werkschauen im Museum for Modern Art und in Tokio, Lyon, Leipzig und Oslo. Vorläufiger Höhepunkt: die Retrospektive „Music of the Mind“; sie ist nach Stationen in der Londoner Tate Modern und im Düsseldorfer K20 jetzt im Berliner Gropius-Bau zu sehen.

Impressionen der Ausstellung in der Tate Modern; © Buddywood


 

Höre Herzschlag + Springe in Pfützen

 

Die Ausstellung fokussiert klugerweise auf ihre Anfänge: Zwei Drittel der Räume sind ihrem Frühwerk von Ende der 1950er Jahre bis etwa 1970 gewidmet, das folgende halbe Jahrhundert wird rasch abgehandelt. Zurecht: Nach ihrem Umzug von Tokio nach New York wurde Yoko Ono ab 1956 zu einer zentralen Figur der entstehenden Fluxus-Bewegung. Sie machte sich einen Namen mit Projekten für Werke, die entweder der Zufall schaffen sollte oder der Betrachter.

 

Solche „Instructions“ wurden ihr Markenzeichen, etwa: „Höre einem Herzschlag zu“ oder „Spring in alle Pfützen in der Stadt“ oder „Schlage jeden Morgen einen Nagel in einen Spiegel (…) Nimm außerdem ein Haar, das dir morgens beim Kämmen ausgefallen ist, und binde es um den Nagel.“ Derartige banale oder absurde Aufforderungen waren im damaligen Kunstbetrieb durchaus originell. Ono verband neodadaistische Provokation mit zenbuddhistischer Konzentration auf Schlichtes und Alltägliches.

 

Nicht-Ereignisse werden zum Ereignis

 

Im 1964 in Tokio gedrehten Film „Some young people“ hinterließ sie Blumen auf der Straße und bot datierte Glasscherben zum Verkauf an. „Kunst ist nicht Besonderes“, kommentierte sie: „Jeder kann Kunst machen. Wenn alle zu Künstlern würden, verschwände das, was wir ‚Kunst‘ nennen.“ Damit fasste sie die Fluxus-Prinzipien bündig zusammen: Aktionskunst, die mit einfachen Gesten in die Normalität eingreift, um die Aufmerksamkeit auf Ignoriertes zu lenken – das Gewöhnliche ist das Besondere.

 

Und Nicht-Ereignisse werden zum Ereignis. Für die Performance „Bag Piece“ ließ Ono Darsteller in ein schwarzen Sack schlüpfen, um sich darin aus- und wieder anzuziehen. In „Cut Piece“ saß sie selbst regungslos da; derweil durfte das Publikum beliebig große Stücke aus ihrer Kleidung schneiden. Die Verweigerung gegenüber Konventionen trieb ihre „Strip Tease Show“ auf die Spitze: Drei Stühle auf einer Bühne blieben während der Veranstaltung einfach leer.

 

200 nackte Hintern in Nahaufnahme

 

Doch solche Gesten kann man nur einmal machen; ohne Überraschungseffekt sind sie witzlos. Ende der 1960er Jahre ebbte Fluxus ab; sein Potential, zu verstören und Augen zu öffnen, war ausgereizt. Glücklicherweise lernte Ono Ende 1966 Lennon kennen und lieben; fortan konnte sie ihre Strategien mithilfe ihres Megastar-Gatten im Pop-Kontext verbreiten – aus Galerie- und Theater-Auftritten für culturati wurden Massenspektakel.

 

Mit Schallplatten: erst mit atonalen Urschrei-Gewittern, dann mit eingängigen Weisen à la „Give peace a chance“ zum Mitsingen und -klatschen, während ihr Mann klampfte oder klimperte. Mit Selbstgedrehtem wie „Film No. 4 („Bottoms“)“ von 1966/7; er zeigt 200 nackte Hintern beim Gehen in Nahaufnahme. „Im Grunde geht es in dem Film um Frieden“, behauptete Ono – drunter tat sie es nicht.

 

Model mit Handkamera verfolgt

 

Im halbstündigen Film „Fly“ (1970/1) ist eine Fliege zu sehen, die auf einer liegenden, unbekleideten Frau herumkrabbelt. Im Kurzfilm „Freedom“ (1970) versucht Ono, ihren Büstenhalter zu zerreißen. In „Rape“ (1968/9) wird ein Model eine Stunde lang von einer Handkamera durch die Straßen bis in ihre Wohnung verfolgt – kein Wunder, dass die Darstellerin sich belästigt und genötigt fühlt. Alle drei Filme protestieren natürlich gegen die Unterdrückung von Frauen: „Woman is the nigger of the world“.

 

Kombiniert mit dem Personenkult des Pop-Business wurden die Wortmeldungen des Duos Ono/ Lennon immer plakativer. Etwa mit dem Slogan „War is over! If you want it – Happy Christmas by John & Yoko Lennon“; er erschien erstmals 1969 in ganzseitigen Zeitungsanzeigen in der „New York Times“ – seither von ihr x-mal auf Plakaten und Annoncen bis in jüngste Zeit wiederholt. Nach Lennons Ermordung 1980 verlegte sich Ono zusehends darauf, ihr beschränktes Themen-Repertoire in immer pompöseren Partizipations-Installationen durchzuspielen.

 

Erinnerungen an Mutter hinterlassen

 

Was die Ausstellung diskret herunterspielt, indem sie nur zwei Beispiele vorführt. Bei „Add Colour (Refugee Boat)“ von 2016 liegt ein überdimensionales Papierfaltboot in einem weißen Raum. „Hier ist das Publikum aufgefordert, Boot, Wände und Fußboden mit weißer und blauer Farbe zu versehen und dabei über drängende Fragen von Krisen und Vertreibung nachzudenken“, lautet die Anweisung. Sie könnte kaum folgsamer aufgenommen werden, wie das allseitige Gekritzel zeigt – und der Anspruch kaum prätentiöser.

 

Anders der letzte Raum: In „My Mommy is Beautiful“ (2004) sollen die Besucher „Erinnerungen an eure Mutter oder Fotografien von ihr“ hinterlassen. Da kann jeder mitreden: Die Wände sind mit Notizzetteln übersät. Onos Beitrag dazu: Neun Fotografien von Brüsten und Vulven im Großformat, die am Ausgang von der Decke hängen.

 

Geschirr kleben wie im Bastelunterricht

 

Während im Gropius-Bau solche senilen Selbstparodien eher kaschiert auftreten, werden sie in der Neuen Nationalgalerie voll ausgespielt. Die Ergänzungsschau „Dream Together“ ist recht klein geraten und lässt den Verdacht aufkommen, Onos zugkräftiger Name solle kompensieren, dass die derzeitige Hauptausstellung – eine Retrospektive der brasilianischen Konzeptkünstlerin Lygia Clark – weniger Besucher anzieht.

 

Dagegen lädt die Nebenschau sofort zu Mitmachen ein: Beim „Mend Piece“ können sie zerbrochenes Geschirr wieder zusammenkleben – wie einst im Grundschul-Bastelunterricht. Anschließend bietet eine ganze Tafel voller Schachbretter mit rein weißen Figuren die Möglichkeit zum Schachspielen; solange man den Überblick behält, wer welche Figuren führt.

 

Gemeinsamer Traum wird Wirklichkeit

 

Am Ende des Raums stehen Gefäße mit blauen Puzzleteilen; jeder darf „ein Stück Himmel“ mitnehmen. Oder beim Hinausgehen am „Wish Tree“ vor der Nationalgalerie einen Anhänger mit seinem Herzenswunsch hinterlassen. Falls der Platz dort nicht mehr ausreicht, keine Sorge: Im Lichthof des Gropius-Bau stehen neun weitere Bäume für denselben Zweck.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "One to One: John & Yoko" – Doku über u.a. das letzte abendfüllende Konzert von John Lennon 1972 von Kevin Macdonald

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Yoko Ono: Peace is Power" – Retrospektive der größten Rockdiva des Kunstbetriebs im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Nam June Paik: I Expose the Music" – große Retrospektive des Fluxus- und Videokunst-Pioniers im Museum Ostwall im Dortmunder U

 

und hier einen Bericht über den Dokumentarfilm "Beuys" – Filmporträt des Fluxus-Aktionskünstlers aus Archiv-Material von Andreas Veiel.

 

Derlei erinnert an pädogisch wertvolle Spiele im Kindergarten. Dazu passen Aussagen von Yoko Ono wie: „Ein Traum, den man allein träumt, ist nur ein Traum. Ein Traum, den man gemeinsam träumt, wird Wirklichkeit.“ Oder: „Zuerst ist da eine Idee, und dann stellen wir uns diese Idee als Wirklichkeit vor. Durch die Vorstellungskraft werden Dinge Wirklichkeit – physische Wirklichkeit.“

 

Direkter Draht zwischen Idol und Fans

 

Was wir träumen oder uns vorstellen, ist – schwups! – vorhanden: Man könnte dieses magische Weltbild als liebenswerte Hippie-Naivität belächeln, hätte Ono nicht weiter reichende Ambitionen. „Mit weiblicher Intelligenz und Bewusstsein können wir uns in eine organische, nicht von Konkurrenz geprägte Gesellschaft verwandeln, die auf Liebe statt auf logischem Denken beruht“, sagte sie 1972: So schlicht gestrickt traten einst feministische Revolutionsfantasien auf.

 

Solche Einlassungen einer schwerreichen Geschäftsfrau sind weniger einfältig denn kalkuliert: Ono überträgt souverän Mechanismen der Musikindustrie auf den Kunstbetrieb. Jeder Star muss seine Fan-Gemeinde bei der Stange halten; das geht am besten mit Interaktionen, die einen direkten Draht zwischen Idol und Bewunderern suggerieren.

 

Pop-Populismus-Avantgardistin

 

Friedens- und Frauenfragen beschäftigen immer, heute mehr denn je. Da genügen ein paar Striche oder Wörter auf einem Zettelchen, um den Kunst-Gucker zum -Mitspieler zu machen; was ihm das angenehme Gefühl gibt, sein Scherflein zur Beförderung des Guten beizutragen. Auf diese Weise wird die Fluxus-Greisin wieder zu Avantgardistin: eines vermeintlich linken Pop-Populismus.