Berlin

13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst – das flüchtige weitergeben

Chaw Ei Thein: Artists’ Street, 2025, Self-Portrait as Stuffed Doll 2004–08, installation view, 13th Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 2025. © Chaw Ei Thein; image: Eberle & Eisfeld
Südasien-Sonderschau mit Schwerpunkt Myanmar: Die Berlin Biennale will diesmal so leichtfüßig, wendig und listig auftreten wie Füchse, doch das gelingt ihr kaum – wie gewohnt überwiegen bierernste Materialschlachten. Da hilft nur: Gewünschte Gegenwartskunst künftig selbst bestellen und bezahlen.

Die Berlin Biennale hat es nicht leicht. In den 27 Jahren ihres Bestehens ist es ihr nie geglückt, sich als maßgebliches Forum des Kunstbetriebs zu etablieren, das die Coolness des Standorts mit einem Sinn für wegweisend Neues verbindet. Und die geistige Lage der Zeit in einem Motto bündelt, dessen Facetten eine tour d’horizon durch die aktuelle Kunstproduktion aufschlüsselt. Wie es den beiden großen mitteleuropäischen Vorbildern – der Biennale in Venedig und der documenta in Kassel – trotz Formschwankungen doch meist gelingt.

 

Info

 

13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst – das flüchtige weitergeben

 

14.06.2025 - 14.09.2025

 

täglich außer dienstags 11 bis 19 Uhr,

im KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69;

 

+ Sophiensaelen, Sophienstraße 18;

 

+ Ehemaliges Gerichtsgebäude, Lehrter Straße 60;

 

+ täglich außer montags 10 bis 18 Uhr im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50, Berlin.

 

Ausstellungsbegleiter 12 €

 

Website zur Ausstellung

 

Dagegen schlingert die Berlin Biennale seit ihren Anfängen zwischen verschiedenen Konzepten hin und her. Nun ist Berlin nicht mehr sexy, aber immer noch arm, so dass sich auch die seit 2004 von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Biennale bescheiden muss. Zählten zu den Ausstellungsorten früher die premium locations Gropiusbau und Akademie der Künste, wird nun ein ehemaliges Gerichtsgebäude genutzt. Die einst im Stadtbild omnipräsenten Reklameplakate sind verschwunden. Kurze Werbespots, die in Programmkinos laufen, wirken hektisch und planlos zusammengeschnitten. Und das Medienecho bleibt überschaubar.

 

Hälfte der Exponate älter als 10 Jahre

 

Aus dieser verringerten Sicht- und Wirksamkeit will Kuratorin Zasha Colah eine Tugend machen: mit engagierter Kunst, die sich aber nicht festnageln lässt, sondern irgendwie wendig und ungreifbar bleibt. So sei der Titel „das flüchtige weitergeben“ zu verstehen: „Flüchtige Inhalte werden weitergegeben, das Publikum empfängt diese kulturellen Beweisstücke. Nun sind die Besucher*innen aufgerufen, selbst flüchtig zu werden – mit diesen Beweisstücken zu verschwinden, sie weiterzugeben oder verborgen zu halten, bis sie übertragbar und sagbar sind.“

 

Kunst als Kassiber und das Publikum als klandestine Vereinigung, die sie an repressiven Mächten vorbei schmuggelt: Solch subversives Selbstverständnis wirkt in der anything-goes-Öffentlichkeit westlicher Demokratien wie seltsames Kokettieren mit radical chic. Nötig ist es hingegen in autoritär oder diktatorisch regierten Ländern – von dort kommt ein Großteil der mehr als 60 Teilnehmer. Allerdings zu Lasten der Aktualität: Rund die Hälfte der 170 Exponate ist älter als zehn Jahre, manche bis zu 50, was der Biennale-Definition Hohn spricht, Zeitgenössisches zu zeigen.

Impressionen der Ausstellung im KW Institute for Contemporary Art, den Sophiensaelen + dem Ehemaligen Gerichtsgebäude Lehrter Straße


 

Myanmar-Schwerpunkt ohne Vorwissen

 

Dass die gebürtige Inderin Colah, die meist in Italien arbeitet, vor allem Künstler aus Südasien ausgewählt hat, verwundert nicht. Seitdem die 10. Biennale 2018 nichtwestliche Kunst als Ressourcen-Fundus entdeckt hat, kommt bei jeder Ausgabe eine andere Weltgegend dran: 2020 war es Lateinamerika, 2022 die arabische Welt und Vietnam. Schwerer wiegt Colahs Fixierung auf Myanmar, über dessen von Repression gebeutelte Kulturszene sie ihre Doktorarbeit geschrieben hat.

 

Allein zehn Teilnehmer stammen aus dem südostasiatischen Vielvölkerstaat, der seit Jahrzehnten unter einer grausamen Militärdiktatur leidet. Ihre Strategien, trotz brutaler Unterdrückung kreativen Widerstand zu leisten, verdienen gewiss Aufmerksamkeit und Würdigung. Bloß: Wie soll das im Rahmen einer Biennale möglich sein; bei einem Publikum, das wenig bis kein Vorwissen mitbringt? Zumal das benachbarte „Haus der Kulturen der Welt“ seit zwei Jahren ähnliche Ausstellungen ausrichtet – wesentlich ansprechender inszeniert und von ausführlichen Informationen begleitet.

 

Damen-Slips gegen Diktatoren

 

Doch trotz solcher Defizite der Präsentation sind die burmesischen Beiträge zweifellos die stärksten. Allen voran die Gemälde von Htein Lin, die zurecht zwei Räume im Ex-Gerichtsgebäude füllen. Man muss die Leidensgeschichte des Oppositionellen mit mehrfacher Haft und Folter nicht kennen, um von seinen Bildern zutiefst beeindruckt zu sein. Auf Gefängnislaken gemalt, umkreisen sie todtraurige Sujets wie ausgemergelte Körper so fantasievoll und ausdrucksstark, dass es einem den Atem verschlägt. Seine überbordende Vorstellungskraft ließ Htein Lin auch sinnliche Tanzszenen und Allegorien schaffen, in denen zuweilen sardonischer Witz mitschwingt.

 

Eine wahnwitzig sarkastische und zugleich charmante Idee liegt auch dem Treiben der Gruppe „Panties for Peace“ zugrunde. Scheinbar gilt in Myanmar der Aberglaube, dass männliche Macht („hpoun“) bei der Berührung von weiblicher Unterwäsche geschwächt wird. Also organisieren die Aktivisten allerlei Schabernack, bei der die herrschenden Militärs mit Damen-Slips bombardiert werden: auf Postern, Aufklebern oder in Videospielen. Ihre „Lanna-Panty-Partei“ würde gern bei Wahlen antreten.

 

Partizipations-Video gegen Mars-Raubbau

 

Ähnlich parodistisch wirken die Textilskulpturen von Figuren und Gebäuden, die Chaw Ei Thein genäht hat – doch ihr Hintergrund ist ernst. Sie porträtieren Akteure und Situationen bei diversen Massenprotesten gegen die Junta; teils waren sie als Festumzüge in einer „Artist’s Street“ deklariert, so der Titel dieser Arbeit. Die Symbolik – etwa blutbeschmierte Zeitungsseiten oder solche, bei denen wegen Zensur die Hälfte aller Artikel fehlt – ist für hiesige Betrachter leicht zu entschlüsseln.

 

Angesichts der existentiellen Bedrohung, unter der diese Werke entstanden sind, wirken jene aus gemäßigteren Breiten leicht frivol. Etwa die partizipative Videoinstallation „Liberate Mars“ des Kollektivs „Etcétera“ aus Buenos Aires – Assistenzkuratorin Valentina Viviani ist Argentinierin. „Etcétera“ lässt Astronauten über nackte Felsen und einen ausgetrockneten Salzsee stolpern, wobei sie gegen die Gewinnung von Lithium wettern; via Greenscreen-Technik soll der Betrachter mithelfen, zumindest den Mars von Raubbau freizuhalten. Alles sehr aufwändig, albern und aussichtslos.

 

Fuchs als Wappentier zieht nicht

 

Genauso bemüht komisch ist ein Film von Gernot Wieland aus Österreich, in dem Karl Marx und Walter Benjamin als Knetfiguren gemeinsam Musik hören. Oder ein Videoclip des Hamburgers Simon Wachsmuth, in dem er den berühmten „Preußischen Erzengel“ als Schwein in Offiziersuniform, den John Heartfield und Rudolf Schlichter 1920 auf der ersten „Dada-Messe“ unter die Decke hängten, von einem Richter verhören lässt. Da hat das Pseudo-Kochtutorial der schwarzen Südafrikanerin Helena Uambembe, die mit der Zubereitung von Schlammkuchen irgendwie Nationalismus und Landraub anklagen will, wenigstens dilettantischen Reiz.

 

Tja, Humor ist auch im Kulturbetrieb Geschmackssache. Kuratorin Zasha Colah hat Füchse zu den Wappentieren dieser Biennale gekürt, weil sie geschickt Widerständen ausweichen und sie wühlend unterwandern. Ein hübscher PR-Einfall: Kleintiere und -kinder funktionieren immer. Aber die Leichtigkeit und List, die man mit diesen Pelztieren verbindet, stellt sich in der Ausstellung kaum ein. Im Gegenteil: Wie mittlerweile üblich, dominieren Materialschlachten – je wuchtiger, desto bierernster.

 

Monumental-Treppe aus Exterritorial-Steinen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "12. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst – Still Present!" in Berlin 2022

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "11. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst – Der Riss beginnt im Inneren" in Berlin 2020

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst – We don’t need another hero" in Berlin 2018

 

und hier einen Beitrag über der Ausstellung "9. Berlin Biennale – The Present in Drag" in Berlin 2016

 

und hier einen Artikel über die "8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst" in Berlin 2014

 

und hier eine Kritik der "7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst" – Agitprop-Ausstellung in den KunstWerken Berlin 2012.

 

Armin Linke reproduziert Anton von Werners Historiengemälde des Berliner Kongresses von 1878 auf sechs mannshohen Foto-Paneelen – was Bismarck damals einfädelte, erfährt man aber nicht. Margherita Moscardini aus Italien hat 560 Ziegelsteine in alle Welt verschenkt und sie danach zurück „spenden“ lassen, um aus diesem „exterritorialen“ Material eine monumentale Treppe im Erdgeschoss der KW Institute for Contemporary Art zu errichten; das sorgt wenigstens für Trittsicherheit.

 

Proteste ungarischer Studenten gegen die Gleichschaltung ihrer Hochschule 2020 füllen gleich vier Monitore – doch ihre 71-tägige Blockade scheiterte. In gleich zwei Räumen breitet Milica Tomić aus Belgrad Dokumente und Materialien zum Massaker von Srebrenica 1995 aus – für ein Blockseminar gut geeignet, für eine Biennale kaum. In zwei simulierten Schau-Prozessen vor einem „People’s Tribunal“ werden Gewalttaten im Sudan und auf den Philippinen von Menschenrechtsgruppen angeprangert.

 

Systemrelevanz selbst finanzieren

 

Diese Gruppen-Performance gäbe es ohne die Berlin Biennale nicht: Sie wurde von ihr ebenso in Auftrag gegeben und (ko-)produziert wie 39 weitere Arbeiten. Also knapp ein Viertel des Gezeigten; ein derart hoher Anteil liefert einen Fingerzeig für eine erfolgversprechende Neuausrichtung.

 

Anstatt aktuellen Kunst-Trends hinterherzuhecheln und sie doch nicht kompetent einzufangen, sollte die Berlin Biennale einfach sämtliche Exponate, die gezeigt werden sollen, selbst bestellen und bezahlen. Damit schüfe sie ihre eigene Gegenwartskunst, und dann stellte sich auch die Frage nach ihrer Existenzberechtigung nicht mehr. Denn Kunst ist systemrelevant – sagen die Kulturbürokraten, die von ihr leben.