
Trilogie der Meisterdenkerinnen: Hannah Arendt (1906-1975), Simone de Beauvoir (1908-1986) und Susan Sontag (1933-2004). Von den drei bedeutendsten weiblichen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, denen die Bundeskunsthalle je eine Ausstellung ihrer verdienstvollen Reihe gewidmet hat, steht Sontag unserer Gegenwart wohl am nächsten.
Info
Susan Sontag:
Sehen und gesehen werden
14.03.2025 - 28.09.2025
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr
in der Bundeskunsthalle, Helmut-Kohl-Allee 4, Bonn
Begleitband 18 €
Weitere Informationen zur Ausstellung
Zeitloser Stargast mit signature look
De Beauvoir und Arendt gehörten in ihrem Auftreten einer vergangenen Epoche an. Sontag dagegen kultivierte mit ihrem minimalistischen Kleidungsstil und heller Strähne im halblang dunklen Haar einen signature look, der zeitlos wirkt. Sie sah blendend aus und wusste das; sie ließ sich oft fotografieren und verstand es, die von ihr analysierten Massenmedien für ihre PR-Zwecke einzusetzen. Noch heute wäre sie ein Stargast für jedes Podium oder Symposium.
Feature zur Ausstellung. © Bundeskunsthalle
Lebensphasen eines Wunderkinds
Ihre Blickfang-Qualitäten sind den Kuratorinnen der Ausstellung bewusst. Und sie setzen diese virtuos ein: Nüchterne Raumteiler sind mit Porträt-Aufnahmen und anderen Fotografien geradezu gepflastert. Was darauf zu sehen ist, erläutern pointierte Begleittexte; beide Elemente ergänzen einander zu einem umfassenden, aber kompakten Überblick über Leben und Werk. Wer es verstehen will, muss konzentriert tun, was Susan Sontag zeitlebens ausgiebig tat: Bilder betrachten und lesen.
Denn die Schau beschränkt sich nicht auf die highlights ihrer Vita, sondern geht ausführlich auf alle Phasen ein. Trotz turbulenter familiärer Verhältnisse war Susan Sontag ein Wunderkind – zumindest stilisierte sie sich später dazu –, das Bücher verschlang, Klassen übersprang, mit 16 Jahren zu studieren begann und mit 20 ihren ersten Dozenten-Job hatte. Nach Stationen an US-Elite-Unis und einem Harvard-Masterabschluss in Philosophie zog sie nach Paris; dort tauchte sie in la vie de Bohème ein, was sie nach ihrer Rückkehr in New York fortsetzte.
It-Girl des Ostküsten-Kunstbetriebs
Nach einem verquasten Debütroman erlebte sie 1964 ihren Durchbruch mit „Notes on ‚Camp’“; zwei Jahre später folgte „Against Interpretation“. In diesen Essays riss sie quasi die Grenze zwischen Hoch- und Populärkultur ein, indem die schräge Revuen oder queere Subkulturen als ironische und artifizielle Ästhetisierung der Welt, aber auch Aktions- und Performance-Kunst als neue Formen von Erfahrung aufwertete: Man sie solle sie unvoreingenommen erleben, anstatt gleich ein Deutungs-Raster überzustülpen. Damit lieferte sie dem kulturellen Aufbruchsgeist der 1960er Jahre die Stichworte.
Im Nu wurde Sontag zum It-Girl des Ostküsten-Kunstbetriebs, tourte von einer Konferenz zur nächsten, protestierte gegen den Vietnam-Krieg, reiste nach Nordvietnam und Kuba, pries danach die dortigen Regime – das volle Programm engagierter Intellektueller jener Tage. 1967 wurde sie in nach Cannes in die Festival-Jury eingeladen, 1969 und im Folgejahr drehte sie in Schweden zwei verkopfte Spielfilme, die beide floppten. Danach griff sie nur noch für zwei Dokus zur Kamera.
Fotografieren als aggressiver Akt
Sontags zweiter Volltreffer war 1977 der Essayband „On Photography“. Zu dieser Zeit wurde Fotografie als Kunstform allmählich anerkannt, aber die theoretische Beschäftigung mit dem Medium war noch unterentwickelt. Diese Leerstelle füllte Sontag glänzend, indem sie die Ambivalenz des Fotografierens hervorhob.
Es sei kein neutrales Beobachten, betonte sie, sondern gleichsam ein aggressiver Akt, bei dem der Fotograf sein Gegenüber der eigenen Perspektive unterwerfe. Nicht von ungefähr werden Fotos ‚geschossen‘: Wer den Auslöser drückt, hat die Macht. Zugleich drohe massenhaftes Aufnehmen das Abgelichtete zu banalisieren und die Betrachter abzustumpfen. Der Fotograf kolonialisere die Welt und halte sie zugleich auf Distanz.
US-Version des uomo universale
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gisèle Freund – Fotografische Szenen und Porträts" – umfassende Retrospektive der Intellektuellen-Fotografin in der Akademie der Künste, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Richard Avedon – Wandbilder und Porträts" – Werkschau der Zeitgeschichte-Aufnahmen des US-Fotografen im Museum Brandhorst, München
und hier einen Bericht über den Film "Mapplethorpe: Look at the Pictures" – Doku über den queeren New Yorker Skandal-Fotografen von Fenton Bailey + Randy Barbato
und hier einen Artikel über die Ausstellung "SHOOT! – Fotografie existenziell" über die Gewaltmetaphorik des Mediums in der Galerie C/O Berlin
und hier einen Beitrag über den Film "Hannah Arendt" – beeindruckendes Biopic über die Philosophin + Machttheoretikerin von Margarete von Trotta mit Barbara Sukowa.
Sontag hat noch zahlreiche andere Themen und Projekte aufgegriffen; von mehreren Romanen und etlichen Essay-Sammlungen bis zu einer Theater-Inszenierung im belagerten Sarajewo während des Bosnien-Kriegs. Daneben meldete sie sich oft zu politischen Ereignissen zu Wort. Wie etwa Bernard-Henri Levy (geb. 1948) in Frankreich oder hierzulande Hans-Magnus Enzensberger (1929-2022) verkörperte sie einen Intellektuellen-Typ, der im Aussterben begriffen ist: den allseitig informierten uomo universale, der stets Gehör findet, weil er/sie zu allem etwas Bedenkenswertes zu sagen hat.
Sontags Film-Kanon entschwindet
Wobei auch solches Weltwissen Patina ansetzt; das zeigt anschaulich ein Kabinett am Ende der Schau. In diesem Kinosaal laufen Ausschnitte aus den Lieblingsfilmen der begeisterten Cineastin; dazu hört man Sontags Kommentare. Ihre Analysen von Bildaufbau und Inszenierung sind unverändert gültig, aber deren Gegenstand entschwindet. Wer außer Filmhistorikern hat je „Queen Christina“ (1933) von Rouben Mamoulian mit Greta Garbo oder „Der Teufel ist eine Frau“ (1935) von Josef von Sternberg mit Marlene Dietrich gesehen?
Dass sich eine zeitgebundene Denk- und Schreibweise nicht einfach konservieren lässt, demonstriert auch der Begleitband zur Ausstellung. Darin will ein halbes Dutzend Autorinnen Aspekte von Sontags Schaffen in deren komprimiertem Kurzessay-Stil beleuchten, doch die meisten Texte erschöpfen sich in Redundanz und politisch korrekter Zeitgeist-Prosa. Da erfährt man in der Schau selbst wesentlich mehr über sie.
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