Berlin

Camille Claudel und Bernhard Hoetger – Emanzipation von Rodin

Camille Claudel: La Valse (Der Walzer) (Detail), 1889 –1905 (Guss um 1905), Bronze, 43 × 33 × 18,5 cm, Paris, Lucile Audouy Collection. Foto: Thomas Hennocque
Wiedersehen nach 120 Jahren: 1905 wurden Skulpturen von Camille Claudel und Bernhard Hoetger in einer Pariser Galerie ausgestellt, nun rekonstruiert die Alte Nationalgalerie diese Schau. Sie vereint zwei Hauptvertreter des Impressionismus in der Bildhauerei – Plastiken voller Schwung und Dynamik.

Wieder eine Künstlerin? Und noch dazu eine, die sich emanzipiert? Solche Konstellationen ziehen sich derzeit in fast schon inflationärer Weise durch die Ausstellungs-Landschaft. Doch in diesem Fall gilt gender mainstreaming: Auch der weitgehend in Vergessenheit geratene deutsche Bildhauer Bernhard Hoetger (1874-1949) emanzipierte sich von Auguste Rodin (1840-1917). Nachdem sich Hoetgers Weg erstmals 1905 mit dem von Camille Claudel (1864-1943) kreuzte, treffen die beiden jetzt erneut in der Alten Nationalgalerie aufeinander.

 

Info

 

Camille Claudel und Bernhard Hoetger – Emanzipation von Rodin

 

06.06.2025 - 28.09.2025

 

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

in der Alten Nationalgalerie, Bodestr. 1-3, Museumsinsel, Berlin

 

Katalog 29,90 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Unter einer riesigen grünen Welle aus Onyx tollen drei kleine Frauenfiguren aus Bronze herum. Im nächsten Moment könnten die Wassermassen die unbekümmerten Badenixen verschlingen: Camille Claudels Skulptur „La Vague“ (1897) hält eine äußerst bedrohliche Situation fest. Ihr gelang es auch, in der Kleinplastik „La Valse“ die dynamische Bewegung eines Walzer tanzenden Paars einzufangen, das in seiner Umarmung in eine bizarre Schräglage gerät.

 

Zehn Jahre Modell, Schülerin + Geliebte

 

Eine Meisterleistung; das musste selbst ihr Mentor Auguste Rodin anerkennen. „Ich habe ihr gezeigt, wo Gold zu finden ist. Aber das Gold, das sie findet, gehört ihr ganz alleine“, soll er gesagt haben. 1883 hatte die damals 19-jährige Claudel den Übervater der modernen Bildhauerei kennengelernt. Anschließend war sie einige Jahre sein Modell, zugleich Schülerin, Gehilfin und Geliebte, bis sie 1893 das Verhältnis beendete.

Feature zur ersten Station der Ausstellung in Bremen. © Museum Böttcherstraße


 

30 Jahre ab 1913 in der Psychiatrie

 

Als die beiden oben genannten Skulpturen – und zehn weitere – 1905 in einer Ausstellung des Pariser Galeristen Eugène Blot präsentiert wurden, hatte Claudel nicht nur Rodin längst verlassen, sondern war auch als Künstlerin aus seinem Schatten herausgetreten. In diesem Jahr war sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, der sich aber zugleich als Endpunkt erwies: Sie zeigte Symptome von akuter Paranoia und begann, viele ihrer eigenen Werke zu zerstören. 1913 ließen ihre Mutter und ihr Bruder, der Dichter Paul Claudel, sie in die Psychiatrie einweisen; in solchen Anstalten verbrachte sie von ihrer eigenen Familie ignoriert den Rest ihres Lebens.

 

Ganz anders erging es dem deutschen Bildhauer Bernhard Hoetger, von dem Galerist Blot 33 Bronzeplastiken sowie Gipsarbeiten und Zeichnungen präsentierte. Er war 1900 nach dem Studium in Düsseldorf als Nobody ohne Geld und Französisch-Kenntnisse nach Paris gekommen, damals das unbestrittene Zentrum der europäischen Kunstwelt.

 

Eigenwillige Präsentation wie um 1900

 

Nachdem er sich mit Kleinplastiken an der Seine einen Namen gemacht hatte, ging er 1911 zurück nach Deutschland, wurde Professor in Darmstadt und übersiedelte drei Jahre später nach Worpswede. Dort prägte er die Ortsmitte des Künstlerdorfes mit seinen Bauten. 1927 schuf er im Auftrag des Mäzens Ludwig Roselius in der Bremer Böttcherstraße das „Paula Modersohn-Becker Museum“ – es hat als erste Station diese Ausstellung gezeigt, die anschließend ins „Musée Camille Claudel“ südlich von Paris wandert.

 

1905 trafen also in der Galerie Blot zwei völlig unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten aufeinander. Nun sind fast alle Exponate von damals wieder vereint zu sehen, ergänzt um Leihgaben und impressionistische Malerei aus dem Bestand der Alten Nationalgalerie. Die Plastiken werden eigenwillig präsentiert: auf hohen schmalen Sockeln zwischen Grünpflanzen in Töpfen, die auf Teppichen stehen – wie es um 1900 im Galeriebetrieb üblich war.

 

Bewegte Oberflächen, unfertiger Charakter

 

Dennoch gibt es zwischen den Skulpturen zum Teil frappierende Ähnlichkeiten. Sowohl Claudel bei „La Valse“ als auch Hoetger bei „Der Sturm“ („La Tempête“, 1901) lassen Körper und Kleider in einer wirbelnden Bewegung verschmelzen. In solchen Werken werde deutlich, so die These der Ausstellung, dass sich beide Künstler von ihrem Vorbild Rodin gelöst haben; heutzutage gelten sie als Hauptvertreter des Impressionismus in der Bildhauerei.

 

Worin genau besteht der Unterschied zu dessen Werken wie dem berühmten „Denker“? Die bewegte Modellierung der Oberfläche haben sich beide ebenso von Rodin abgeguckt wie den Charakter des Unfertigen – er ließ häufig Zonen seiner Skulptur völlig unbearbeitet. Daher sprach Eugène Blot von Hoetger als dem „Rodin de l’Allemagne“, also einem deutschen Rodin, und ließ eine Plastik von Claudel nachträglich mit „Rodin“ signieren – beides sollte die Preise hochtreiben.

 

Personal wie in Romanen von Zola

 

Nicht zu Rodin passt hingegen der sozialkritische Unterton von Hoetgers frühen Werken. Zunächst stellt er Terrakotten von Obdachlosen, Arbeitslosen und Lumpensammlern her, dann Bronzen von Fischern, Bergarbeitern, einer Ährenleserin, einer Schnitterin oder einem Tauzieher bzw. Treidler; alle Arbeiten porträtieren schwer arbeitende Menschen in Alltagskleidung. Womit er wohl den Geschmack von Eugène Blot traf, der erklärter Fan der naturalistischen Romane von Émile Zola war.

 

Hoetgers Büste „Fruchtbarkeit“ („Fécondité“, 1904) bezieht sich sogar ausdrücklich auf das gleichnamige Werk des Schriftstellers, in dem es um Bergarbeiter und Prostituierte geht. „Man muss das Leben selbst erfassen, so wie es die Maler tun“, proklamierte er: „Die Plastik ist weit zurück, sie lebt nur noch in antiken Dingen, spricht von Monumentalität und vergisst das Lebendige.“ Allerdings wandte sich der Bildhauer mit zunehmendem Erfolg rasch anderen Sujets zu: Der beinahe zeitlos klassische „Elbersfelder Torso“ von 1905 wirkt wesentlich gesetzter und bewegt sich in Richtung einer neuen Monumentalität.

 

Mythologie statt Sozialkritik

 

Auch Camille Claudel lässt sich beim Flanieren von Straßenszenen zu ihren frühen Arbeiten inspirieren; danach fixiert sie im Atelier ihre Eindrücke in Ton und Wachs. So entstehen ihre „Schwätzerinnen“ („Les Bavardes“, 1893), die „Alte Helene“ („La Vieille Hélène“, 1882-85) oder „Vor dem Kamin“ („Au Coin du Feu“, 1899-1905): Eine weibliche Figur lehnt sich verträumt an einen marmornen Kamin. Doch Claudels Alltagsszenen schlagen keine sozialkritischen Töne an.

 

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Bernhard Hoetger – Zwischen den Welten" – große Retrospektive zum 150. Geburtstag in drei Häusern in Worpswede

 

und hier eine Besprechung des Films "Bernhard Hoetger – Zwischen den Welten" – informatives Dokudrama über den Bildhauer von Gabriele Rose

 

und hier einen Beitrag über den Film "Auguste Rodin" – ausgezeichnetes Biopic über ihn + Camille Claudel von Jacques Doillon

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "En Passant: Impressionismus in Skulptur" – facettenreiche Themenschau im Städel Museum, Frankfurt am Main.

 

Stattdessen greift sie später vor allem mythologische Figuren auf: die auch „Sirene“ genannte „Flötenspielerin“ („La Sirène“ 1905) oder „Perseus und Gorgo“ („Persé et la Gorgone“, 1905). Auch ihrer pathetischen „Hingabe“ („L’Abandon“, 1905), bei der die weibliche Figur dem Verlangen des vor ihr knieenden Mannes nachgibt, liegt ein antiker Mythos zugrunde. Hoetger erwarb diese Plastik, gestaltete jedoch seine auf den ersten Blick ganz ähnliche Skulptur „Abschied“ („Les Adieux“, 1904) als schlichten, innigen Moment zwischen Mann und Frau.

 

Beziehungsdrama als Monumental-Plastik

 

Ihm dürfte es wesentlich leichter gefallen sein, sich von Rodin zu lösen, als Claudel, die etliche Jahre mit ihrem Mentor und Geliebten zusammengearbeitet hatte. Selbst wenn sie andere Motive auswählte: Das Pathos, das etliche ihrer Arbeiten kennzeichnet, verweist noch auf sein Vorbild. Wobei sie die Auseinandersetzung mit ihm produktiv umsetzte; etwa in der aus drei Figuren bestehenden Monumental-Plastik „Das reife Alter“ („L’Âge mur“, 1899).

 

Diese Leihgabe aus dem Pariser „Musée d’Orsay“ stellt eine beeindruckende Allegorie auf die drei Lebensphasen Jugend, Reife und Tod dar. Während eine junge Frau auf Knien einen älteren Mann anfleht, der ihr seine Hand entzieht, wird er selbst durch die Umarmung einer Greisin – womöglich einer Personifikation des Todes – davongezogen. In der jungen Frau soll sich Claudel selbst in Szene gesetzt haben, der Mann verkörpert Rodin; so soll es der Bildhauer verstanden und sich darüber geärgert haben. Zumindest ist aus ihrem Beziehungsdrama, das in Romanen und Filmen schon mehrfach durchgespielt wurde, ein Meisterwerk der Bildhauerei hervorgegangen.