Jeff Bieber + Chana Gazit

Hannah Arendt – Denken ist gefährlich

Hannah Arendt: Denken ist gefährlich. Courtesy of Hannah Arendt Bluecher Literary Trust Art Resource, NY. Foto: 2025 Progress Filmverleih
(Kinostart: 18.9.) Banalität des Guten: Die Doku des Regie-Duos Bieber/ Gazit über die streitbare und wirkungsmächtige politische Philosophin bebildert vor allem Human-Interest-Aspekte ihrer Biographie, unter besonderer Berücksichtigung jüdischer Belange. Zentrale Begriffe ihres Denkens kommen dagegen kaum vor.

Drei Wörter, die die Geisteswelt bewegten: Mit ihrer Formel von der “Banalität des Bösen” im Untertitel ihres Buches “Eichmann in Jerusalem” über den Prozess 1961 gegen einen der Hauptverantwortlichen des Holocaust löste Hannah Arendt (1906-1975) eine heftige Kontroverse aus. Kritiker warfen ihr vor, sie verharmlose die NS-Verbrechen und verhöhne die Opfer – zumal sie hervorhob, dass die von den Nazis eingerichteten Judenräte bei der Organisation der Massenvernichtung mitgeholfen hatten, allerdings unter Zwang.

 

Info

 

Hannah Arendt –
Denken ist gefährlich

 

Regie: Jeff Bieber + Chana Gazit,

86 Min., USA/ Deutschland 2025;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Auch das US-Regie-Duo Jeff Bieber und Chana Gazit widmet dem Verfahren gegen Adolf Eichmann und dem Wirbel um Arendts Augenzeugenbericht eine volle Viertelstunde, samt ausgedehnten Archivaufnahmen aus dem Gerichtssaal. Da prallen Thesen, Schlagworte und Polemik mit Wucht aufeinander. Es wirkt wie der Einbruch der realen Welt und ihrer Konflikte in eine Doku, die zuvor wohltemperiert vor sich hinplätscherte, wie im Schonraum eines Schulfilms – obwohl das Leben der Protagonistin von Beginn an sehr bewegt war.

 

Heideggers Kniefall vor Studentin

 

Als Wunderkind, das bereits mit 14 Jahren Kant und Kierkegaard las, schien Hannah Arendt eine glänzende akademische Karriere vorbestimmt. Ab 1924 studierte sie Philosophie bei Martin Heidegger, Edmund Husserl und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte – doch ihr Doktorvater, mit dem sie eine lebenslange enge Freundschaft verband, bleibt im Film unerwähnt. Stattdessen schmücken Bieber und Gazit ihre kurze Liebesbeziehung zu Heidegger mit der Szene seines Kniefalls vor seiner Studentin aus: “Ihr war immer bewusst, dass Lieben bedeutet, sich vollkommen hinzugeben.”

Offizieller Filmtrailer


 

Alle Aussagen plakativ illustriert

 

Mit ähnlich pompös trivialen Sentenzen beschreibt der Film ihre Jahre vor der Emigration. Da wird Existentialismus definiert, er “bedeute, dass es nichts Äußeres gibt, was uns hält, nur das, was wir aus uns selbst machen”. Oder eine Literaturwissenschaftlerin zitiert Arendts vermeintliche Sicht auf Kant: “Er sagt uns, dass wir denkende Menschen sind. Wie wir denken, hat Folgen für andere Menschen.” Wer sich mit solchen Platitüden begnügt, ignoriert offenbar auch leicht historische Eckdaten. So wird die Weltwirtschaftskrise ab 1929 als “Hyperinflation” beschrieben: “Die Reichsmark ist wertlos”. Das geschah bereits sechs Jahre vorher.

 

Während es auf der Tonspur zuweilen drunter und drüber geht, klebt das Gezeigte peinlich genau am Gesagten, indem alle Aussagen mit plakativen Archiv-Bildern illustriert werden. Ist von Geburten die Rede, wird ein Baby eingeblendet. Geht es um die Arbeit an Texten, klappert stets eine mechanische Schreibmaschine. Und wird beschrieben, wie Arendt nach langer Trennung ihren zweiten Ehemann Heinrich Blücher wiedertraf, sind irgendwelche Zeitgenossen zu sehen, die sich jubelnd umarmen.

 

Ausgiebige Zitate aus Gaus-Interview

 

Dieser leichtfertige Umgang mit Arendts Biographie wird nach einer halben Stunde ernsthafter, sobald es um ihre Flucht 1933 aus Deutschland und die Folgen geht. Etwa durch die Schilderung der wenig bekannten Episode, wie sie in Paris jüdischen Jugendlichen aus Deutschland zur Auswanderung nach Palästina verhalf. In ihren eigenen Worten: mit Auszügen aus dem berühmten TV-Interview “Zur Person”, das sie 1964 Günter Gaus gab. Dieses lange, legendäre Gespräch dient der Doku ohnehin als ausgiebig zitierte Rückversicherung für Authentizität.

 

Dass Arendt im US-Exil ab 1941 eine rege publizistische Tätigkeit entfaltet, wird ebenfalls mit dem Fokus auf jüdische Belange geschildert; etwa ihren Beiträgen zur Debatte über Zionismus und Israels Staatsgründung 1948. Mit ihrer umfassenden, 1951 publizierten Studie über “Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft”, die sie schlagartig bekannt machte, kommt das Regie-Duo endlich auf zentrale Begriffe und Thesen ihres Denkens zu sprechen.

 

McCarthy-Ära + Watergate-Affäre

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Hannah Arendt" – brillantes Biopic mit Barbara Sukowa als Philosophin von Margarete von Trotta

 

und hier das Interview "Denken ohne Geländer" über den Film "Hannah Arendt" mit Regisseurin Margarete von Trotta

 

und hier das Interview "Hart am Gedanken bleiben" über den Film "Hannah Arendt" mit Hauptdarstellerin Barbara Sukowa

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Susan Sontag: Sehen und gesehen werden" – kompakte und kompetente Porträt-Schau der einflussreichen US-Kulturtheoretikerin in der Bundeskunsthalle, Bonn.

 

Beispielsweise die Feststellung, dass totalitäre Regime ständig Lügen verbreiten, bis niemand mehr etwas glaubt – was ihren Untertanen begründete politische Meinungen verunmöglicht, so dass nur besinnungslose Gefolgschaft bleibt. Oder die Beobachtung, dass totale Herrschaft alle herkömmlichen sozialen Bindungen zerstört, um atomisierte Individuen in jeder Hinsicht abhängig und kontrollierbar zu machen.

 

Doch Arendts zweites Hauptwerk “Vita activa oder Vom tätigen Leben” von 1958, in dem sie ihre Positionen in der philosophischen Tradition seit der Antike verankert, wird unterschlagen. Stattdessen breitet die Doku Arendts Stellungnahmen zum politischen Tagesgeschehen in ihrer US-Wahlheimat aus, von der McCarthy-Ära der frühen 1950er Jahre über die Bürgerrechts-Bewegung und Studenten-Proteste der 1960er Jahre bis zur Watergate-Affäre. Durchaus interessant, aber arg zeitgebunden.

 

Launiger Abriss statt Abstraktion

 

Natürlich ist ein Film kein Uni-Seminar; abstrakte Überlegungen sind schwierig zu visualisieren. Wie es dennoch gelingt, hat Regisseurin Margarethe von Trotta 2012 in ihrem glänzenden Biopic über Hannah Arendt gezeigt: mit einem hinreißenden Schlussplädoyer, in dem Barbara Sukowa als Titelheldin ihre Überzeugungen schlüssig darlegt.

 

Das versuchen Bieber und Gazit gar nicht erst; sie reihen lieber Schlagworte aneinander. Als launiger Abriss von Arendts Vita mag das genügen. Wer ihr Denken kennenlernen will, erfährt wesentlich mehr aus dem Interview mit Gaus 1964, das bei Youtube verfügbar ist.