Fatih Akin

Amrum

Nanning (Jasper Billerbeck) muss mitanpacken – zum Beispiel beim Fischen mit Sam Gangsters. Foto: © Warner Bros. Pictures Germany
(Kinostart: 9.10.) Ein Königreich für ein Honigbrot: Fatih Akins Verfilmung einer Idee des Filmemachers Hark Bohm ist eine Liebeserklärung an seinen Mentor und das Kino der Emotionen. Leider verläuft sich der Film in der Schönheit der Nordseeinsel-Landschaft und watet dabei am Rand des Kitsches.

Die Nordseeinsel Amrum in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs: „Der Russe steht“, wie eintreffende Flüchtlinge berichten, „50 Kilometer vor Berlin“. Alliierte Bombergeschwader, die mit Kurs aufs Festland über die Köpfe der Bewohner hinweg ziehen, stellen hier keine wirkliche Bedrohung mehr dar. Dennoch ist das Leben angesichts des allgemeinen Mangels nicht leicht.

 

Info

 

Amrum

 

Regie: Fatih Akin,

93 Min., Deutschland 2025;

mit: Jasper Billerbeck, Laura Tonke, Diane Kruger, Detlev Buck

 

Weitere Informationen zum Film

 

Auch der zwölfjährige Nanning (Jasper Billerbeck) muss auf dem Feld und beim Sammeln von Treibholz mit anpacken. Er und seine Mutter Hille (Laura Tonke) haben sich auf die Insel gerettet, nachdem ihr Haus im Feuersturm nach der Bombardierung Hamburgs abgebrannt ist. Obwohl Hille ursprünglich von Amrum kommt, wird Nanning von den anderen Jugendlichen nicht als Einheimischer anerkannt, sondern schikaniert wie die übrigen Geflüchteten.  

 

Mutter denunziert Arbeitgeberin

 

Damit könnte er leben. Schwierig wird seine Lage allerdings, als Hille, eine hundertprozentige Nationalsozialistin, die Bäuerin Tessa (Diane Kruger) anzeigt, für die er arbeitet. Tessa hat über das nahe Kriegsende gesprochen, was als „Wehrkraftzersetzung“ gilt und streng bestraft wird. Damit verliert Nanning zugleich eine Vertraute und einen wichtigen Zugang zu Nahrungsmitteln.

Offizieller Filmtrailer


 

Einziger Wunsch: ein Honigbrot

 

Als im Volksempfänger-Radio Hitlers Tod verkündet wird, verfällt Hille in eine tiefe Depression. Ihr einziger Trost wäre, wie sie Nanning sagt, ein Weißbrot mit Honig. Das ist jedoch angesichts der Versorgungslage nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, sondern auch der eigentliche Auslöser der Handlung in Fatih Akins „Amrum“.

 

Im Vorspann heißt es, „Amrum“ sei ein „Hark Bohm Film von Fatih Akin“. Tatsächlich geht die Geschichte des Jungen, der alles Menschenmögliche versucht, um seiner Mutter ihren einzigen Wunsch zu erfüllen, auf eine Kindheitserinnerung zurück, die der Filmemacher Hark Bohm als autobiografische Episode in seinem Drehbuch zu „Amrum“ verarbeitet. 

 

Lehrer, Mentor + Ko-Autor

 

Bohm wurde 1976 mit seinem vierten Film „Nordsee ist Mordsee“ als Regisseur bekannt. Schon vorher hatte er in einigen Filmen von Rainer Werner Fassbinder mitgespielt; seitdem ist er als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor fest im deutschen Autorenkino verwurzelt. Zunächst wollte er „Amrum“ als letztes eigenes Werk selbst inszenieren. Das ließ jedoch sein Gesundheitszustand nicht zu, so dass er sich Akin als Regisseur wünschte. Zuvor hatte er bereits an den Drehbüchern zu dessen Filmen „Tschick“ (2016) und „Aus dem Nichts“ (2017) mitgearbeitet.

 

Akin, der sein Regie-Handwerk an der Hamburger Hochschule für bildende Künste auch bei Hark Bohm gelernt hat, nennt für seine Herangehensweise zwei Vorbilder: den Klassiker des italienischen Neorealismus „Fahrraddiebe“ (1948) von Vittorio De Sica und Rob Reiners rührseliges Coming-of-Age-Drama „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ (1986). Wie diese sollte sein Film in seiner Fabel möglichst einfach, aber in der Wirkung möglichst emotional sein.

 

Ambivalente Hauptfigur

 

Tatsächlich erweist sich die Verengung der Story auf Nannings Versuch, die Mutter glücklich zu machen, als gute Idee; sie verhilft „Amrum“ zu einem klaren, parabelartigen Plot. Jasper Billerbeck, der hier erstmals vor der Kamera steht, verleiht der Hauptrolle die nötige Ambivalenz. Im Gegensatz zu seinem einzigen Freund Hermann (Kian Köppke), der durchweg freundlich und zugewandt auftritt, wirkt Nanning mit seinem Mangel an Rücksicht gegen sich und andere recht unsympathisch.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Rheingold" gelungenes Biopic eines Gangsta-Rappers von Fatih Akin

 

und hier eine Besprechung des Films  "Der Goldene Handschuh" – Adaption des Romans von Heinz Strunk über einen Serienmörder durch Fatih Akin

 

und hier einen Bericht über den Film "Aus dem Nichts" – mitreißendes Rachedrama zur NSU-Affäre von Fatih Akin mit Diane Kruger

 

und hier einen Beitrag über den Film "Tschick" – herrlich anarchische Adaption des Jugendbuch-Bestsellers von Wolfgang Herrndorf durch Fatih Akin.

 

Das passt zu seiner Lage: Als Kind überzeugter Nazis muss seinen Weg in den Frieden und in eine Gesellschaft, die nichts mehr als Normalität ersehnt, erst finden. Die übrigen Figuren treten vor allem als Träger ihrer jeweiligen Funktion in der einfachen Geschichte auf – obwohl sie mit einem who is who der deutschen Schauspielzunft besetzt sind.

 

Der Insel-Schönheit erlegen

 

Dazu zählt auch Detlev Buck als etwas märchenonkelhaft wirkender Sam Gangsters. Er versorgt Nanning mit „Amrumgeld“ – geräucherten Schollen – und vermittelt ihm eine erste Vorstellung von den Verbrechen seiner Eltern. Ein Kurzauftritt von Matthias Schweighöfer, der Nanning als Onkel aus New York im Traum erscheint, hilft weder der Handlung noch dem Film sonderlich weiter.

 

Letztlich scheitert der Regisseur aber vor allem daran, dass er zu sehr den landschaftlichen Reizen des Schauplatzes erliegt. Durchgängig bemühen sich Fatih Akin und sein Kameramann Karl Walter Lindenlaub, Amrums spröde Schönheit aus Sanddünen und Seegras in große Kinobilder umzusetzen.

 

Unbelehrbare Nazis

 

Das gerät teilweise zum Werbefilm für Ferien auf dem Nordsee-Eiland. Da die Filmmusik arg ins Romantische spielt und im Finale schnell noch jede Konfliktlinie geglättet werden muss, gerät der Film an den Rand des Kitsches. Einzige Ausnahme sind die von Laura Tonke und Jan Georg Schütte gespielten, unbelehrbaren Nazis in Nannings Familie: Sie bleiben bis zum Ende uneinsichtig.