
Am Werk von Franz Kafka (1883-1924) haben sich bereits etliche Regisseure abgearbeitet. Seine Stoffe wurden von Autorenfilmern wie Orson Welles, Michael Haneke, Jean-Marie Straub und Danièle Huillet verfilmt; es gibt eine russische Adaption seiner Erzählung „Die Verwandlung“ (2002) und eine japanische von „Ein Landarzt“ als Animationsfilm (2007). Von Biopics über ihn ganz zu schweigen: So ließ US-Regisseur Steven Soderbergh 1991 in „Kafka“ den Prager Autor durch sein eigenes Werk stolpern.
Info
Franz K.
Regie: Agnieszka Holland,
127 Min., Tschechien/ Polen/ Deutschland 2025;
mit: Idan Weiss, Peter Kurth, Jenovéfa Boková
Weitere Informationen zum Film
Alles hängt mit allem zusammen
Von „Hitlerjunge Salomon“ (1990) bis zuletzt „Green Border“ (2023) hat sie 22 Spielfilme und TV-Serien gedreht. Ihr Film „Franz K.“ dürfte der bisher umfassendste Versuch sein, Kafkas Biografie und Werk unter einen Kino-Hut zu bringen. Allerdings erweist sich Hollands Anspruch, alles mit allem in Beziehung zu setzen, als echte Prüfung für das Publikum, dessen Aufmerksamkeit sehr gefordert wird.
Offizieller Filmtrailer
Hauptdarsteller ist passend besetzt
Der Film beginnt mit Kafka als kleinem Knaben, dem sein Vater (Peter Kurth) symbolträchtig die Haare schneidet. Ein Schwenk, ein Schnitt, und aus dem still leidenden Kind ist ein hypersensibler, lärmempfindlicher junger Mann geworden. Für diesen komplexen Charakter ist Idan Weiss eine gute Besetzung: spindeldürr und linkisch, mit einem Hang zu unkontrollierten emotionalen Aufwallungen, aber auch mit verschmitztem Witz.
Kafka lebt im Haus seiner Eltern und arbeitet in gehobener Position bei der „Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen“. Er hat eine rege Einbildungskraft und schreibt nachts seine seltsamen Fantasien nieder. Als er eine davon vor Publikum vorliest, verlässt der Film erstmals das liebevoll rekonstruierte historische Prag.
Insekten auf Familien-Esstisch
Um Kafkas frühe Erzählung „In der Strafkolonie“ zu visualisieren, wird eine monströse Bestrafungsmaschine in einer wüstenartigen Einöde gezeigt – sie durchlöchert schonungslos einen Verurteilten. Auf das Prager Auditorium macht der Text enormen Eindruck; die Hälfte der Zuhörer verlässt den Saal. Doch bei denen, die dableiben, hat der schüchterne Autor Interesse geweckt.
Die Szene aus der Strafkolonie bleibt eine grelle Ausnahme. Weitere ausführliche Ausflüge ins Werk unterbleiben, dafür wimmelt es von Andeutungen, etwa Insekten auf dem Esstisch der Familie. Der arme Kafka wird nicht allein von Verwandlungsfantasien, Kindheitstraumata und nächtlichen Schattenspielen heimgesucht, sondern auch von der Zukunft: Kaum hat er erste Texte veröffentlicht, springt der Film in die Gegenwart.
Unnötige Auflösung der Handlungsebene
Im heutigen Prag ist Kafka ein Besucher-Magnet. Der Film verwendet nun etliche Minuten auf inszenierte Dokumentarfilm-Passagen: etwa japanische Touristen, die sich an Kafkas liebster Badestelle niederlassen. Eine Fremdenführerin vergleicht die von Kafka selbst verfasste Textmenge mit der Textmasse, die darüber posthum geschrieben wurde: Das Verhältnis beträgt 1:10 Millionen. Gut zu wissen, aber für den Erzählfluss des Films ist dieser Verfremdungseffekt nicht förderlich.
Unnötigerweise durchbrechen die Figuren nun öfter die vierte Wand zum Zuschauer: In Handlungspausen geben Kafkas Schwester und Onkel oder seine Freunde wie der Schriftsteller Max Brod und der blinde Organist Oskar Baum ihre Erinnerungen an Kafka wieder. Auch Kafka selbst löst zahlreiche Szenen auf, indem er vielsagend ins Publikum blickt.
Dreiecksverhältnis als kleine soap opera
Von den eigenen Metaebenen derart rhythmisch aus dem Konzept gebracht, entwickelt Regisseurin Holland zumindest bei der biografischen Handlung ihren eigenen Stil, indem sie immer wieder den Stil wechselt. So wird das Dreiecksverhältnis zwischen Kafka und seinen Brieffreundinnen Felice Bauer (Carol Schuler) und Grete Bloch (Gesa Schermuly) exzellent als kleine soap opera inszeniert. Das Berliner Hotel „Askanischer Hof“, in dem Bauer und Bloch über Kafka „zu Gericht“ sitzen, erscheint dabei als expressionistische Zitadelle – es sollte im Zweiten Weltkrieg zerstört werden.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Herrlichkeit des Lebens" – einfühlsames Biopic über Kafkas letzte Liebesbeziehung von Georg Maas + Judith Kaufmann
und hier eine Besprechung des Films "Green Border" – ergreifendes Dokudrama über die Flüchtlingskrise 2012 an der polnisch-belarussischen Grenze von Agnieszka Holland
und hier einen Bericht über den Film "Charlatan" – beeindruckendes Porträt eines tschechischen Kräuterheilers, verfolgt von NS + KP, von Agnieszka Holland
und hier einen Beitrag über den Film "Megalopolis" – einzigartiges Kino-Gedankenspiel über New York als antikes Rom von Francis Ford Coppola.
Alle Werkaspekte miteinander verbunden
Dieses bittere Ende bereitet die Regisseurin sorgfältig vor, zum Beispiel durch die Gewalt in der „Strafkolonie“-Sequenz. Der Schlussakkord versöhnt zwar nicht mit den vorausgehenden Stilbrüchen, aber er demonstriert, wie wichtig Holland es ist, alle Aspekte von Kafkas Werk miteinander in Verbindung zu setzen. Fantastisches steht dabei gleichberechtigt neben Realistischem; so ist der Gebrauch von Deutsch und Tschechisch im damaligen Prag durchgehend korrekt motiviert.
Ähnlich wie Francis Ford Coppola in seinem sperrig genialischen Alterswerk „Megalopolis“ (2024) hat Agnieszka Holland mit „Franz K.“ ihrem Herzen und Intellekt freien Lauf gelassen – wobei sie offensichtlich nicht bequem sein wollte. Folglich kam ein ziemlich unbequemer Film dabei heraus: Die Bildsprache ist häufig roh, manche Dialoge sind hölzern oder werden genuschelt; viele Symbole wirken überdeutlich, dagegen ist die Handlung mitunter ein Rätsel. Am Ende überwiegen knapp die gelungenen Momente; dabei beeindruckt am meisten die kühne Konstruktion des Films.
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