Berlin

Irma Stern – eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt

Irma Stern: Young Mpondo Woman (Detail), 1935, Öl auf Leinwand, Privatsammlung © Irma Stern Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2025 Foto: Courtesy of Strauss & Co. Fotoquelle: Brücke-Museum
Deutsche Expressionistin in Südafrika: Irma Stern war in beiden Kulturen zuhause und erfolgreich – sie porträtierte Menschen aller Hautfarben. Ihrem vielseitigen Werk widmet das Brücke-Museum eine etwas knapp gehaltene Retrospektive; umso mehr Platz beanspruchen politisch korrekte Kommentare.

Wandlerin zwischen den Welten: Irma Stern (1894-1966) war auf zwei Kontinenten aufgewachsen und mit beiden bestens vertraut. Worauf sie sehr geschickt ihre künstlerische Karriere gründete: In Deutschland trat sie als Afrika-Kennerin auf, welche die Sehnsucht nach Exotik bediente. Und in Südafrika galt sie als erste ‚moderne‘ Künstlerin, mit den neuesten Tendenzen der Avantgarden Europas im Gepäck. Globalisierung, Kreolisierung, Hybridisierung: Viele Trends, die den aktuellen Kunstbetrieb prägen, sind im Werk von Irma Stern schon angelegt.

 

Info

 

Irma Stern –
eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt

 

13.07.2025 - 02.11.2025

täglich außer dienstags

11 bis 17 Uhr

im Brücke-Museum,
Bussardsteig 9, Berlin

 

Katalog 39 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Daher ist es höchst verdienstvoll, dass das auf Expressionismus spezialisierte Brücke-Museum ihr Schaffen ausführlich vorstellt – in der ersten Irma Stern gewidmeten Werkschau hierzulande seit 1996 in Bielefeld. Wobei es sich um eine Wiederentdeckung handelt: In den 1920er Jahren wurden ihre Arbeiten in Deutschland sehr geschätzt, bis das NS-Regime sie nach 1933 als ‚entartet‘ verfemte. Nichtsdestoweniger wurden sie im europäischen Ausland weiter ausgestellt, ebenso nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

Star-Künstlerin in Südafrika

 

Ihre größten Erfolge feierte sie aber in ihrem Heimatland. In Südafrika stieg sie zur Star-Künstlerin auf, deren Werke in allen Kunstmuseen gezeigt und teuer gehandelt wurden. Was zu tadeln diese Ausstellung nicht müde wird: Damit habe sie nolens volens dazu beigetragen, das rassistische Menschenbild des Apartheid-Regimes zu befestigen. Bei dieser nachholenden Gesinnungsprüfung kommt die Diskussion der künstlerischen Qualitäten ihres Werks leider etwas zu kurz.

Feature über die Ausstellung; © Ulrich Krumb


 

Zwischen Südafrika und Berlin

 

Ihre wechselhafte Biographie wird jedoch ausführlich dargestellt. Um 1890 waren Irma Sterns jüdische Eltern nach Südafrika ausgewandert, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Rasch wurden sie als Farmer und Händler wohlhabend, was der Familie einen großbürgerlichen Lebensstil ermöglichte. Im Zweiten Burenkrieg nahmen britische Truppen den Vater fest; die Mutter floh mit beiden Kindern nach Kapstadt. Nach des Vaters Haftentlassung zog die Familie 1901 wieder nach Berlin.

 

In den 1910er Jahren pendelt sie zwischen häufig zwischen Südafrika und Berlin; dort beginnt Irma Stern 1912 ihre künstlerische Ausbildung, meist an privaten Kunsthochschulen. Mit ihrem Lehrer Martin Brandenburg, einem symbolistischen Maler, entzweit sie sich wegen ihres Gemäldes „Das ewige Kind“ von 1916, weil er es „zu expressionistisch“ findet – es ist in dieser Schau zu sehen.

 

Mitgründerin der „Novembergruppe“

 

1917 schließt sie mit dem arrivierten Expressionisten Max Pechstein eine Künstlerfreundschaft. Er vermittelt ihr wichtige Kontakte: So zählte Ende 1918 die erst 24-Jährige als einzige Frau zu den Gründungsmitgliedern der „Novembergruppe“. Diese gemäßigt linke Gruppe ist eine der führenden Künstlervereinigungen in der Weimarer Republik; sie ermöglicht ihr die Teilnahme an den „Großen Berliner Kunstausstellungen“. 1919 richtet die renommierte Galerie Gurlitt ihre erste Einzelschau mit 100 Werken aus; weitere umfangreiche Präsentationen folgen.

 

Zugleich etabliert sich Irma Stern in Südafrika: Ihr gemäßigter Modernismus ist gefragt, ihre Bilder verkaufen sich glänzend. Auf Reisen durch die verschiedenen Landesteile und später durch diverse Regionen in ganz Afrika sammelt sie neue Motive, die vor allem beim europäischen Publikum gut ankommen. 1926 heiratet sie ihren früheren Hauslehrer; die Ehe hält acht Jahre. 1927 kauft sie sich ein Haus in einem Vorort von Kapstadt; hier wird sie bis an ihr Lebensende wohnen. Fotos aus dieser Zeit zeigen eine beleibte, elegant gekleidete Dame, die selbstbewusst zwischen ihren Bildern oder in ihrem Garten auftritt.

 

Bruch mit allem Deutschen

 

Nach der NS-Machtübernahme bricht sie mit allem Deutschen. Sie spricht kaum noch Deutsch, stellt alle Kontakte nach Deutschland ein und kehrt nur noch ein einziges Mal dorthin zurück: 1955 für eine Galerie-Schau. Dagegen erlebt sie zur gleichen Zeit in Südafrika den Höhepunkt ihres Ansehens: Fast jährlich finden in Großstädten Ausstellungen ihrer Werke statt. Zudem vertritt sie ihre Heimat als Kulturbotschafterin im Ausland; allein vier Mal in den 1950er Jahren bei der Biennale in Venedig und einmal 1947 auf der São Paulo Biennale in Brasilien.

 

Fünf Jahre nach ihrem Tod wird in ihrem früheren Wohnhaus ein Museum eröffnet, das ihren Nachlass pflegt und zeigt. In der angelsächsischen Welt sind ihre Bilder unvermindert beliebt; bei Auktionen erlösen sie zuweilen Millionenbeträge. Doch im Land ihrer Vorfahren geraten sie – ausgenommen die erwähnte Werkschau 1996 – weithin aus dem Blick. Trotz der Popularität der expressionistischen Malerei, und trotz ihrer beachtlichen Erfolge in der Zwischenkriegszeit. Woran mag das liegen?

 

Markante Porträts nach Schema F

 

Beim Rundgang fällt zunächst die spezifische Motivwahl von Irma Stern auf. Sie malte vor allem Porträts; dieses Genre lag ihr am meisten. Ihre Landschaften sind oft plane Arrangements, bei denen sie Farbflächen aneinander reiht – wer argwöhnen will, mag darauf den südafrikanischen Mythos jungfräulich leerer Landstriche bebildert sehen, die erst von weißen Siedlern in Besitz genommen wurden. Ihre Stillleben fallen sehr unterschiedlich aus – manche farblich und motivisch kontrastreich, manche fad und beliebig. Doch ihre Porträts erscheinen durchweg markant.

 

Was nicht bedeutet, dass sie heutzutage sämtlich noch gelungen wirken; dafür ist ihr Strickmuster zu einheitlich. Irma Stern lässt ihre Modelle frontal posieren, manchmal direkt den Betrachter ansehen, häufiger aber sinnend zur Seite ins Leere schauen. Blickfang ist häufig ein aufwändiger Ornat oder prächtiger Kopfputz; seltener tragen die Dargestellten Alltags- oder Berufskleidung. Der Hintergrund ist meist einfarbig neutral; gelegentlich deutet die Künstlerin Wände oder Möbel an. Kurzum: Diese Bildnisse folgen traditionellen Würdeformeln, angereichert mit folkloristischen Akzenten.

 

Weiße haben Namen, Schwarze nicht

 

Das wirft die Ausstellung ihr vor: Sie habe die Abgebildeten typisiert, entindividualisiert und ungleich behandelt – während die Porträts weißer Personen in Südafrika deren jeweiligen Namen tragen, sind die Bilder dunkelhäutiger Afrikaner meist nur mit ihrer Ethnie oder Berufsbezeichnung betitelt. Als gäbe es in der abendländischen Kunsttradition nicht ebenfalls unzählige Bildnisse von anonymen Gestalten als Repräsentanten ihrer sozialen Gruppe, und als seien die nicht häufig schematisiert – auch Konterfeis von Barock-Fürsten mit Allonge-Perücken ähneln einander sehr.

 

Obwohl Irma Stern ihren bevorzugten Sujets treu bleibt, wandelt sich ihr Malstil im Lauf der Zeit merklich. In den 1920/30er Jahren probiert sie experimentierfreudig diverse Spielarten des Expressionismus aus; dabei gelingt es ihr oft eindrucksvoll, mit wenigen Formen und Strichen ihre Kompositionen und Figuren prägnant zu umreißen. Danach wiederholt sie eher ihr eingeübtes Formenvokabular; die Körperhaltungen sind nachlässig eingefangen, die Pinselführung wird fahrig. Solch einen routinierten Spätstil findet man auch bei anderen Expressionisten, etwa Oskar Kokoschka oder Karl Schmidt-Rotluff – deren Alterswerk heute gleichfalls wenig beachtet wird.

 

Stickbilder vom Gegenwartskünstler

 

Diese Entwicklung ist schwer zu erkennen, weil die luftig gehängten Exponate weniger chronologisch als thematisch angeordnet sind. Und weil die Werkauswahl mit rund 40 Gemälden und Grafiken recht schmal ausfällt. Im Katalog sind mehr als 20 weitere Arbeiten abgebildet; sie ebenso auszustellen, könnte die verschiedenen Werkphasen anschaulicher und verständlicher machen. Doch dafür war offenbar kein Platz, denn Kuratorin Lisa Hörstmann und Brücke-Museumschefin Lisa Marei Schmidt wollten in der Schau noch mehr unterbringen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "The True Size of Africa" – ambitionierte Überblicks-Schau über Geschichte + Kunst des Kontinents in der Völklinger Hütte

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "When We See Us – Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei" – große Themen-Schau im Kunstmuseum Basel

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Max Pechstein – Künstler der Moderne" – solide Werkschau des Expressionisten im Bucerium Kunst Forum, Hamburg

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Dada Afrika – Dialog mit dem Fremden" zur außereuropäischen Inspiration der Klassischen Moderne in der Berlinischen Galerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Five Themes" – große Werkschau der Grafik + Filme von William Kentridge, dem bedeutendsten südafrikanischen Gegenwartskünstler, in der Albertina, Wien.

 

Nicht nur exotisierende Grafiken und Bilder von Hausheiligen wie Pechstein oder Schmidt-Rotluff, sondern auch raumgreifende Beiträge von Athi-Patra Ruga. Der südafrikanische Gegenwartskünstler kopiert bekannte Motive von Irma Stern als Stickbilder; sehr aufwändig und rein epigonal. Am Eingang hat Ruga überdies ein wandfüllendes Fensterbild installiert. Es zeigt eine schwarze Malerin, deren Werke denen von Irma Stern ähneln sollen: „Jedoch war Gladys Mgudlandlu aufgrund der rassistischen Gesetze Sudafrikas eine vergleichbare Karriere verwehrt.“ Was vermutlich auf viele Künstlerinnen zutrifft, auch ohne staatliche Diskriminierung.

 

Rechthaberei ist trivial

 

Am meisten Platz beanspruchen aber Texttafeln, auf denen schwarze Kunstkenner dem weißen Publikum erklären, wie Irma Sterns Bilder verstanden werden sollten. Pardon – Schwarze Kenner dem weißen Publikum, heißt es in der Ausstellung. Nicht die einzige typographische Besonderheit: „Gemäß aktueller, dekolonisierender Schreibweisen, die von rassismuserfahrenen Communities in Deutschland verwendet werden, nutzen wir unverzichtbare Begriffe wie race [Rasse], streichen sie jedoch durch“, verkündet Kuratorin Hörstmann im Katalog.

 

Es hat etwas penetrant Rechthaberisches, in gefühlt jeder zweiten Bildlegende einer Malerin ihre privilegierte Stellung vorzuhalten, weil ihre Werke nicht den hochgezüchteten Ansprüchen heutiger identitätspolitischer Korrektheit genügten. Natürlich genügen sie ihnen nicht; Kunst entsteht stets als Produkt ihrer Zeit. Dies wortreich zu brandmarken, ist trivial.

 

Interessant wird Irma Sterns Schaffen, wenn man es als spezifischen Ausdruck seiner Epoche begreift: Eine Künstlerin mit Wurzeln im deutschen Expressionismus erschließt sich sukzessive einen außereuropäischen Motivkosmos. Damit wurde sie nicht nur zur Pionierin der so genannten globalen Moderne, sondern auch zur Anregerin für etliche zeitgenössische Afrikaner, die figurativ malen.