Kelly Reichardt

The Mastermind

J.B. Mooney (Josh O’Connor) überprüft, wie ein Bild an der Wand befestigt ist. Foto: © 2025, Ryan Sweeney/ Mastermind Movie Inc.
(Kinostart: 16.10.) Als man im Museum einfach Bilder mitgehen lassen konnte: Um 1970 will sich ein Arbeitsloser durch Gemälde-Raub sanieren. Doch so einfach war das auch damals nicht: Regisseurin Kelly Reichardt porträtiert den Amateurdieb mit gnadenlosem Naturalismus und viel Situationskomik.

Eine namenlose Kleinstadt in Massachusetts an der US-Ostküste scheint nicht gerade prädestiniert, Schauplatz eines spektakulären Kunstdiebstahls zu werden. Doch um 1970 herum besucht der arbeitslose Tischler James Blaine ‚JB‘ Mooney (Josh O’Connor) mit seiner Familie das örtliche Kunstmuseum.

 

Er nimmt sich viel Zeit, um die Räumlichkeiten und Sicherheitsvorkehrungen auszukundschaften – und der Film beobachtet ihn dabei in der Anfangssequenz mehrere Minuten lang. Derweil ein Wachmann seine Schicht verschläft, die beiden Kinder zwischen den wenigen anderen Besuchern über die Flure toben und seine Frau Terry (Alana Haim) auf einer Sitzgruppe ausruht, stiehlt der Sohn aus gutem Haus sozusagen probeweise eine Kleinplastik aus einer Schubladenvitrine.

Info

 

The Mastermind

 

Regie: Kelly Reichardt,

110 Min., USA 2025;

mit: Josh O'Connor, Alana Haim, John Magaro

 

Weitere Informationen zum Film

 

 

Kunstraub statt Kriegsdienst

 

Während im ganzen Land junge Männer für den Kriegsdienst in Vietnam eingezogen werden, wogegen Hunderttausende protestieren, ist JB ganz mit seiner Genialität und der eigenen Coolness beschäftigt. Er plant seinen ersten großen Raubzug, der ihm zu finanzieller Unabhängigkeit und einem leichten Leben mit Terry und den beiden Söhnen verhelfen soll.

Offizieller Filmtrailer


 

Vorwürfe + Kredit der Eltern

 

Bislang leidet er darunter, dass er sich an der Sonntagstafel im Haus der Eltern von ihnen fragen lassen muss, warum er weniger erfolgreich ist als seine unbegabteren Verwandten. Doch nie würde er sich dazu herablassen, tagein, tagaus ins Büro zu gehen, um dort als Angestellter für andere zu arbeiten! Dummerweise ist er, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, auf ein Darlehen seiner Mutter angewiesen, das er schon bald zurückzuzahlen verspricht.

 

Zumindest seine Freunde und partners in crime Fred (John Magaro) und Sam (Ryan Homchick) sind halbwegs bereit, sich JB in der Rolle eines Chefstrategen zu fügen. Dennoch steigt Sam bereits am Ende der Vorbereitungen – dem Stehlen des Fluchtwagen – aus.

 

Freunde + Frau ziehen sich zurück

 

So kommt es, wie zu erwarten: Am Tag des Kunstraubs läuft wenig wie geplant. Bald wird JB nicht nur durch zwei unorthodoxe Cops verfolgt, die eigens aus New York City angereist sind, um ihn dingfest zu machen. Darüber hinaus muss er feststellen, dass er sich auf die Loyalität seiner Komplizen nicht verlassen kann.

 

Auch die Beziehung zu Terry, die schon zuvor durch konspirative Treffen mit seinen Freunden im Keller auf die Probe gestellt wurde, bröckelt mit ausbleibendem Erfolg und der einsetzenden Verfolgung; bald sprechen sie kaum noch miteinander. Nur für seinen Sohn Tommy (Jasper Thompson) bleibt JB bis zuletzt ein Vorbild.

 

Heist movie mit niedrigem Tempo

 

„The Mastermind“ ist zweifellos ein heist movie, also ein Thriller über einen Raubüberfall. Doch Regisseurin Kelly Reichardt erzählt ihn mit – im Vergleich zu üblichen Genre-Konventionen – deutlich gedrosseltem Tempo. Wie auch schon im Film „Night Moves“ (2013), in dem das Leben dreier Öko-Terroristen in Oregon nach der erfolgreichen Sprengung eines Staudamms aus dem Ruder lief; oder in „First Cow“ (2019), mit dem sie das Western-Genre gegen den Strich bürstete.

 

Wenn der Protagonist auf seiner Flucht von Wagen am Straßenrand aufgesammelt oder von Überlandbussen befördert wird, begleitet ihn die Kamera dabei ebenso beharrlich wie in schäbige Provinz-Pensionen oder aufs Land zu Freunden von früher. Doch all das hilft dem gejagten Kunsträuber kaum, da die Fahndung nach ihm von allen Medien unterstützt wird.

 

Erst Contenance, dann ohne Anstand

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "First Cow" – geistreiche Demontage klassischer Western-Mythen von Kelly Reichardt mit John Magaro

 

und hier eine Besprechung des Films "Night Moves" – realistischer Ökoterrorismus-Thriller unter US-Aussteigern von Kelly Reichardt mit Jesse Eisenberg

 

und hier einen Beitrag über den Film "Inside" - Psycho-Thriller über einen Kunstdieb in der High-Tech-Falle von Vasilis Katsoupis mit Willem Dafoe

 

und hier einen Bericht über den Film "Trance – Gefährliche Erinnerung" – Psycho-Thriller über Kunstraub unter Hypnose von Danny Boyle.

 

So fesselt den Zuschauer weniger die Frage, ob JB seinen Kopf aus der Schlinge ziehen können wird, die er sich selbst gelegt hat. Eher ist es ergreifend, ihm dabei zuzusehen, wie er sich bemüht, die Contenance zu wahren, obwohl er immer mehr erkennt, dass es mit ihm bergab geht. Doch an keiner Stelle überhöht Regisseurin Reichardt ihren Helden in seiner Überheblichkeit – obwohl er sich wenigstens bemüht, ein guter Ehemann und Vater zu sein.

 

Stattdessen pflegt die Regisseurin einen gnadenlosen Naturalismus, der manchmal zu komischen und rührenden Situationen führt: Etwa, wenn er seiner Frau am Telefon erklärt, er handele nur im Sinne der Familie, sie aber gleichzeitig um Geld bitten muss. Als JB in die Enge getrieben wird, sieht er sich jedoch genötigt, Ehre und Anstand hinter sich zu lassen. Am Ende trägt eine Portion Pech dazu bei, die Abwärtsspirale, in die er sich manövriert hat, zum Abschluss zu führen. Auch das geschieht ohne großes Drama, stattdessen auf plausible Weise eingebettet in eine Szene aus der damaligen US-Gegenkultur.

 

Bei Personen-Suche mitarbeiten

 

Am deutlichsten wird die Handschrift von Regisseurin Reichardt an der Kameraführung erkennbar. Wenn sie die Umgebung tastend absucht, müssen die Zuschauer in oftmals ungewohnten Perspektiven die handelnden Personen erst finden und sich die Szene sozusagen miterarbeiten. Das widerspricht der heutigen, glatten Bildästhetik; wer sich allerdings auf Reichardts Stil und Tempo einlässt, bekommt ein liebevoll ausgearbeitetes Zeitgemälde der USA vor einem halben Jahrhundert geboten, wie es selten im Kino zu sehen ist.