Stanisław Mucha

Manche mögen’s falsch

ZHOU – Der Spezialist für Sonnenblumen. Foto: W-Film
(Kinostart: 6.11.) Fünf Kilo Van Gogh, bitte: Im südchinesischen Dafen kopieren Tausende von Malern in Handarbeit Meisterwerke der westlichen Kunstgeschichte. Regisseur Stanisław Mucha erkundet im Direct-Cinema-Stil die analoge Parallelwelt des Künstlerdorfes – ein erhellender Besuch trotz Schwächen.

Ist das Kopieren von Kunst eine Form der Hommage oder geistiger Diebstahl? Wo verlaufen die Grenzen? Um diese Fragen wird immer wieder gestritten, nicht selten vor Gericht. Mal geht es um Sampling in der Popmusik, mal um Plagiatsvorwürfe in der Literatur. Die Maler aus dem chinesischen Künstlerdorf Dafen, die im Dokumentarfilm „Manche mögen’s falsch“ auftreten, würden über derartige Diskussionen wohl nur milde lächeln.

 

Info

 

Manche mögen's falsch

 

Regie: Stanisław Mucha,

90 Min., Deutschland 2025;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ihr Geschäftsmodell besteht darin, in Handarbeit, teils in Arbeitsteilung, die Werke großer Meister zu kopieren. Ihre Einstellung zur Frage des geistigen Eigentums ist entsprechend locker; zumal die Grenzen zwischen Kopien, die als solche erkennbar sind, und wirklichen Fälschungen fließend sind. Tatsächlich wird in Dafen auch „richtig gefälscht“.

 

Unhinterfragtes aus der Gerüchteküche

 

Doch zumindest eine Behauptung, die in dem Dokumentarfilm „Manche mögens falsch“ kolportiert wird, stammt wohl aus der Gerüchteküche. So heißt es, das gleiche Caravaggio-“Original“ hinge in gleich zwei europäischen Museen; tatsächlich sollen aber beide Versionen aus Dafen stammen. Regisseur Mucha übernimmt diese Legende, ohne sie zu hinterfragen.

Offizieller Filmtrailer


 

Wem gehört Kunst?

 

Dafür spricht sein Film Bedenkenswertes eher unterschwellig an. Da wäre zunächst die Frage, wem Kunst gehört: den Superreichen, die es sich leisten können, teure Originale zu kaufen? Oder jedem, den sie anspricht? Entfaltet ein Werk nicht sowieso erst im Auge des Betrachters seinen eigentlichen Wert? Es verwundert kaum, dass sich Gemälde aus Dafen auch hierzulande wie warme Semmeln verkaufen.

 

Zu den Kunden gehören Hotelketten und Arztpraxen, aber auch Privatpersonen, die sich einen Rembrandt oder Gerhard Richter über ihr Sofa hängen wollen. Angeblich fünf Millionen Bilder im Jahr malen die etwa 12.000 Künstler, die in Dafen arbeiten. Während man für einen großformatigen Rembrandt 1000 Euro hinlegen muss, gibt es Richters Bild einer brennenden Kerze namens „Das Licht“ bereits für 50 Euro. Für die höchsten Umsätze sorgt jedoch Vincent Van Gogh; in Ölgemälde-Supermärkten gibt es seine Werke sogar zum Kilopreis.

 

Direct Cinema in dörflicher Atmosphäre

 

Dafen ist nur ein paar Kilometer von Hongkong entfernt und ging in den letzten Jahrzehnten in der rapide expandierenden Millionenstadt Shenzhen auf. Trotz rund 300 Werkstätten und mehr als 1.100 Ladengeschäften auf gerade einmal vier Quadratkilometern herrscht hier noch eine entspannte, fast dörfliche Atmosphäre. Mucha nimmt sich Zeit, sie einzufangen und den Künstlern bei der Arbeit zuzuschauen.

 

Der deutsch-polnische Regisseur gilt als Vertreter des Direct Cinema, das eine unverstellte Darstellung der Realität anstrebt, ohne sie durch Inszenierung zu beeinflussen. Mit “Absolut Warhola“ (2001) gelang ihm ein Überraschungserfolg: Auf seiner Spurensuche besuchte er Andy Warhols Verwandtschaft im Dreiländereck Polen-Slowakei-Ukraine, aus dem die Vorfahren des Pop-Künstlers einst in die USA auswanderten.

 

Einblicke ohne Kontext

 

Seither bereiste Mucha immer wieder Osteuropa, um rare Einblicke in dortige Lebenswelten zu vermitteln – mal mehr, mal weniger überzeugend. Oft kranken seine Filme an zu viel Klischee und zu wenig Kontext. An Hintergrund-Wissen und theoretischem Überbau fehlt es auch diesmal: Weder erfährt der Zuschauer etwas über die Motivation der Kunstkäufer, noch schürft der Filmemacher besonders tief in der moralischen und juristischen Grauzone, in der sich die Künstler bewegen.

 

So macht es auch nach chinesischem Recht durchaus einen Unterschied, ob ein Künstler noch lebt oder sein Werk schon „gemeinfrei“ ist – es also nicht mehr unter Urheberrechtsschutz steht. In Europa ist das 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers der Fall, in China nach 50 Jahren.

 

Ein Ort für Außenseiter

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Beltracchi – Die Kunst der Fälschung" über den erfolgreichen En-gros-Fälscher von Werken der Klassischen Moderne von Arne Birkenstock

 

und hier ein Interview mit Regisseur Arne Birkenstock zu seiner Doku über den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi

 

und hier eine Besprechung des Films "Ecce Homo – Der verlorene Caravaggio" – Doku über das Auftauchen eines unbekannten Barock-Gemäldes von Álvaro Longoria

 

und hier ein Beitragg über den Film "Wettermacher" – Doku über die Bewohner einer isolierten russischen Polarstation von Stanisław Mucha

 

und hier einen Bericht über den Film "Tristia − Eine Schwarzmeer-Odyssee" – Doku über eine Umrundung des Schwarzen Meeres von Stanisław Mucha.

 

Trotz derartiger Leerstellen gelingen Mucha in „Manche mögen’s falsch“ unterhaltsame, bisweilen erhellende und oft erstaunliche Einblicke in eine einzigartige Parallelwelt. Hier arbeitet eine skurrile Künstlergemeinschaft im Akkord und ist dennoch mit Hingabe bei der Sache. Vor allem die Biographien, auf die Mucha stößt, erweisen sich als ergiebig.

 

Sie legen nahe, dass Dafen auch als eine Art Hafen für soziale Außenseiter fungiert. So wurde die studierte Kunsterzieherin Fu wegen ihrer schweren Verbrennungen, die sie als Kind erlitten hatte, bei der Jobsuche immer wieder abgewiesen. Dank ihres Kopiertalents fand sie in Dafen ein Auskommen; trotzdem wäre sie lieber kreativ tätig.

 

Spaziergang mit Van Gogh

 

Der Van-Gogh-Spezialist Zhao beschreibt dagegen anschaulich, wie ihm sein niederländischer „Lehrmeister“ regelmäßig im Traum erscheint. Neben seiner Kopiertätigkeit malt Zhao Bilder, die ihn, quasi als Zeitreisenden, in Van Goghs Lebenswelt transportieren. Sie zeigen, wie er mit ihm über Felder spaziert oder von ihm instruiert wird. Im wahren Leben teilt Zhao sein Wissen lediglich mit seiner Tochter. Die hatte genug von ihrem Job als Webdesignerin und geht nun bei ihrem Vater in die Lehre.

 

Auch dafür steht Dafen: Es ist eine Insel des Analogen inmitten einer stetig wachsenden Flutwelle digitaler Bilder. Die Diskussion um geistiges Eigentum entwickelt derweil angesichts der sich rapide entwickelnden Künstlichen Intelligenz neue Dynamik und Brisanz. Wie wird Dafen wohl in 20 Jahren aussehen? Gut, dass sein heutiger Zustand festgehalten für einen Film, der trotz kleiner Schwächen durchaus sehenswert ist.