Jan Komasa

The Change

Paul (Kyle Chandler) und Ellen (Diane Lane) feiern ihren 25. Hochzeitstag. Foto: © Tobis Film
(Kinostart: 6.11.) Lagerkampf im Familienkreis: Im ersten US-Film des polnischen Regisseurs Jan Komasa rächt sich die Autorin eines neo-autoritären Bestsellers bei Verwandten ihres Mannes. Gedacht als Studie über Ideologie und Machtmissbrauch, fehlt es dem Drama völlig an Tiefe, Spannung und Raffinesse.

Es gibt Bücher, die alles verändern – solch eine durchschlagende Wirkung hat auch „The Change“. Zwar erfährt der Zuschauer nichts Konkretes über seinen Inhalt, doch das Sachbuch der jungen Autorin Elizabeth Nettles, genannt Liz (Phoebe Dynevor), ist offenbar so brisant, dass es sich allein in den USA 10 Millionen Mal verkauft hat. Was macht diesen Band zum Mega-Bestseller? Die Antwort gibt der gleichnamige Film von Jan Komasa recht umständlich und scheibchenweise.

 

Info

 

The Change 

 

Regie: Jan Komasa,

112 Min., USA 2025;

mit: Kyle Chandler, Diane Lane, Phoebe Dynevor, Dylan O’Brian 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die Handlung setzt zwei Jahre vorher ein: bei der Silberhochzeit von Ellen (Diane Lane) und Paul Taylor (Kyle Chandler). Das liberale Paar aus der oberen Mittelschicht genießt ein gutes Leben: Er betreibt ein schickes Restaurant, sie arbeitet als Professorin an der Georgetown University in Washington. Ihre Jubiläumsfeier richten die Eheleute im eigenen Garten aus. Neben Freunden und Bekannten sind auch ihre vier Kinder gekommen.

 

Rechte Schrift für die Massen

 

In der ausgelassenen Stimmung erkennt Ellen die junge Frau an der Seite ihres einzigen Sohnes Josh (Dylan O’Brien) zunächst nicht wieder. Erst gegen Abend dämmert es ihr: Joshs adrette Begleiterin ist ihre ehemalige Studentin Liz Nettles. Deren antidemokratische Theorien hat Ellen bereits bei der Promotion stark kritisiert. Nun schenkt Liz der alarmierten Gastgeberin ein Exemplar ihres frisch gedruckten Buches „The Change“: Darin hat sie ihre Weltanschauung für ein Massenpublikum aufbereitet.

Offizieller Filmtrailer


 

Rache-Thriller mit politischer Dimension

 

Vergeblich versucht die besorgte Ellen, ihren Sohn vor Liz zu warnen; selbst Gatte Paul findet die Reaktion seiner Frau übertrieben. Ihren drei Töchtern dagegen ist Liz‘ Auftreten ebenfalls suspekt. „Sie blinzelt nicht“, stellt Cynthia fest. Anna, der kreative Freigeist der Taylors, legt es darauf an, die seltsam zugeknöpft wirkende junge Frau mit spitzen Bemerkungen aus der Reserve zu locken. Später werden deren Anhänger ihr das bitter heimzahlen.

 

„The Change“ entwickelt sich zunächst wie ein typischer Rache-Thriller. Jan Komasa legt Wert darauf, die politische Dimension der Geschichte erst allmählich preiszugeben. Allerdings bleiben dabei entscheidende Fragen ungeklärt: vor allem, wie die Autorin einer provokativen Streitschrift eine extremistische Bewegung ins Leben rufen konnte, die binnen kürzester Zeit scheinbar unaufhaltsam die Massen mobilisiert hat. 

 

Paranoia, Streit + Kompromisse

 

Stattdessen konzentriert sich der Regisseur auf den Mikrokosmos Familie. Der eigentliche Konflikt, der sich relativ rasch zuspitzt, ist der zwischen Josh und seinen Verwandten. Erst heiratet er Liz, dann wird sie mit Zwillingen schwanger – währenddessen wird ihr Buch zum Bestseller. Das einst geordnete Familienleben der Taylors versinkt derweil zusehends in moralischen Kompromissen, Streit, Paranoia und Verzweiflung.

 

Nicht nur Josh, auch Cynthias Ehemann Rob sympathisiert bald mit Liz‘ Denkweise. Und selbst Nesthäkchen Birdie, ein stilles Wissenschaftsgenie, gerät in Versuchung, als Liz ihr ein Praktikum bei der mysteriösen Firma verspricht, die hinter der Veröffentlichung ihres Buches steht.

 

Nicht so klug wie „Corpus Christi“

 

Es geht Komasa in seinem Film offensichtlich um die Gefahr eines neuen Autoritarismus, der auch vor persönlicher Vendetta nicht zurückschreckt. Doch seine Auffassungen über den wahren Charakter von Demokratie trägt der Film allzu plakativ vor sich her. Anfangs erinnert die Inszenierung an den suspense-Großmeister Alfred Hitchcock, doch dieser Reiz geht schnell verloren – nicht zuletzt, weil das Drehbuch keine Zeit mit spannungssteigernden Wendungen verschwendet.

 

Leider fehlen diesem Film von Jan Komasa völlig die Tiefe, Präzision und kluge Beobachtungsgabe, die sein Vorgängerwerk „Corpus Christi“ von 2019 auszeichnete. Darin erzählte er mitreißend die Geschichte eines jungen Mannes, der sich nach seiner Entlassung aus einer Jugendstrafanstalt in einer abgelegenen Dorfgemeinde als Priester ausgibt – bis ihn die eigene Vergangenheit einholt. Man möchte meinen, der Ortswechsel in die USA hat dem polnischen Regisseur nicht gut getan. 

 

Kein Raum für Nuancen

 

Hintergrund

 

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„The Change“ präsentiert sich oberflächlich als politisches Statement – als Reflexion über Propaganda, extreme Ideologien und Macht-Dynamik. Dabei versäumt der Film, Konstellation und Geschehen plausibel zu machen, um auf diese Weise zum Wesentlichen vorzudringen. Alle sind radikalisiert, alle sind korrumpiert; da bleibt kein Raum für emotionale Nuancen oder menschliche Makel und Sensibilitäten. 

 

So werden Ellen und Anna zu den Gesichtern des Widerstands gegen Liz’ politischen Feldzug, doch für ihre lauteren Überzeugungen müssen sie entsprechend büßen. Das Wohl des Landes liegt nun auf den Schultern von wenigen Leuten, die alle miteinander verwandt sind. Trotz der Dominanz einiger großer, einflussreicher Familien im US-Politikbetrieb – glaubhaft ist das nicht.

 

Stilisierter Schrecken ohne dramatische Kraft

 

Die Unfähigkeit des Films, mit erzählerischer Raffinesse das Publikum zum Nachdenken anzuregen, mindert seine Wirkung. Diese neo-autoritäre Dystopie, die Komasa entwirft, erscheint künstlich und stilisiert. Selbst wenn Ellen und Paul von zwei diabolischen Vertreterinnen der neuen, von Liz’ Schrift inspirierten „Einheitsbewegung“ in die Mangel genommen werden, lässt ihr Verhör den Betrachter ziemlich kalt.

 

Einzig die Radikalisierung von Josh erzeugt eine halbwegs eindrucksvolle düstere Stimmung. Dylan O’Brien spielt den abtrünnigen Sohn als einen von Minderwertigkeitskomplexen geplagten Entrepreneur, der sich zunehmend an der Verachtung seiner Mitmenschen aufrichtet. Aber auch seine plausible Darstellung kann auf die Dauer wenig ausrichten: Komasas Film fehlt schlichtweg die nötige Qualität.