Berlin

Berlin Art Week 2014: abc – art berlin contemporary + Positions Berlin Art Fair

Kristof Kintera: My light is your light, 2013, Installationsansicht; Galerie Schleicher/Lange. Foto: Stefan Korte/ abc
Gier frisst Freiheit: Die Berlin Art Week mutiert zum Monster-Spektakel, bei dem alle auf ihre Kosten kommen – nur nicht die Kunst. Die abc-Messe floriert auch ohne Ideen, die frühere Preview-Messe konzentriert sich als Positions aufs Wesentliche.

Wann kommt Hakenkreuz-Plastik von Meese?

 

Man muss die letzten 20 Jahre verschlafen haben, um derlei „spannend“ und „aufwühlend“ zu finden, wie zwei Lieblingsfloskeln der Branche lauten. Oder so naiv oder verblendet sein wie Fernando Bryce aus Peru: Er zeigt eine mannshohe Hammer-und-Sichel-Skulptur aus Draht mit Tusche-Porträt von Willi Münzenberg, dem KP-Pressemogul in der Weimarer Republik. Zur Erinnerung: In den 1980er Jahren starben im Guerillakrieg gegen die Maoisten vom „Leuchtenden Pfad“ rund 70.000 Peruaner. Wann kommt die erste Hakenkreuz-Plastik samt Goebbels-Porträt?

 

Die würde man Jonathan Meese zutrauen, doch seine vier taufrischen Ölgemälde wirken ausgelaugt und ratlos (Krinzinger). Ohnehin sind nur wenige Superstars des Kunstbetriebs vertreten – und wenn, dann fad. Walter Dahn, Ex-Hitzkopf der „Neuen Wilden“, bietet blasse Abklatsche einstiger Bilderstürmereien (Sprüth Magers).

 

Newcomer-Werke von 1967

 

Ein Kontrapunkt von Martin Eder mit altmeisterlich gemalten Fantasy-Kriegerinnen wirkt so anachronistisch wie ein Mittelalter-Jahrmarkt (Eigen + Art). Die Galerien Mehdi Chouakri und Konrad Fischer haben Vierkant-Rohre von Charlotte Posenenske mitgebracht – die Minimalistin schuf ihr letztes Werk 1967 und starb 1985.

 

In diesem Sammelsurium ginge sie als newcomer durch. Hier sind Schwerpunkte, Tendenzen oder Innovationen nicht auszumachen; déjà vu dominiert. Was einem reinen Warenumschlagplatz nicht vorzuwerfen wäre; da ist eben zu sehen, was die Händler mitbringen. Doch die abc startete vor sieben Jahren mit dem Anspruch, Reflexion und Debatten über Kunst befördern. Davon scheint nichts mehr übrig: business as usual.

 

Neue Messe im Jugendstil-Kaufhaus

 

Dann lieber eine Verkaufsmesse, die nicht mehr sein will als das – wenn sie so ausfällt wie „Positions“. Noch 2013 firmierte sie als „Preview“, doch die Macher trennten sich. Kristian Jarmuschek hat seine Neuschöpfung im früheren Jugendstil-Kaufhaus Jandorf untergebracht: eines der letzten Wahrzeichen Ostberlins, das immer noch leer steht.

 

Dass die letzte „Preview“ aus allen Nähten platzte, wurde korrigiert. Auf zwei Etagen verteilen sich 52 Aussteller auf einem Parcours, dessen weiträumige Kojen genug Platz bieten. Und die Auswahl der Teilnehmer ist homogener geworden: Schräge Experimente mit Spektakel-Schlagseite fehlen ebenso wie Anbieter allzu gefälliger Dekorations-Kunst.

 

Organisch schwellende Küchen-Plastik

 

Manche Preview-Veteranen sind abermals dabei. Die weiteste Anreise dürfte wohl Frantic Gallery aus Tokio hinter sich haben: Sie zeigt monumentale Muster- und Blüten-Grafiken von Macoto Murayama. Mit Konstruktions-Hilfslinien macht er deutlich, wie kompliziert diese filigranen Gebilde sind.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der “Berlin Art Week 2013″  – abc art berlin contemporary + Preview Berlin Art Fair in Berlin

 

und hier eine Besprechung der “Berlin Art Week 2012” – mit der abc art berlin contemporary in Berlin

 

und hier einen Beitrag über das “Gallery Weekend 2012” in Berlin

 

und hier einen Bericht über die Kunst-Messe “art berlin contemporary 2011” in Berlin.

 

Ebenfalls organisch mit schwellenden Rundungen wirken die abstrakten „Kitchenplastics“ von Anke Eilergerhard: Was aussieht wie der feuchte Traum eines 3D-Druckers, spritzt sie in langwieriger Handarbeit aus buntem Silikon (2.500 bis 25.000 Euro; Art Felicia, Liechtenstein).

 

Zivilisations-Ruinen in Malerei bannen

 

Liu Guangyun verwandelt dagegen Natur in Plastik: Fotoporträts von Frauen nach Schönheitsoperationen beschichtet er mit Kunststoff, bis sie cyborgs ähneln (850 bis 5.000 Euro). Was das kostet, verdeutlicht Oliver Czarnetta: Seine lebensgroße Samurai-Rüstung besteht aus Geistergeld, das in China bei Begräbnissen verbrannt wird. Dazu passen Stefan Hoenerlohs fotorealistisch menschenleere Renaissance-Veduten à la Piranesi. (Schmalfuss).

 

Morbides findet sich vielfach; als wollten etliche Teilnehmer die Ruinen der Zivilisation in Malerei bannen. Nirgends ist das Ende näher als in der Tschernobyl-Geisterstadt Pripyat. Das dortige Riesenrad hat der Ire Brian Duggan maßstabsgetreu nachgebaut: ein gespenstisches Spielzeug (Balzer, Basel). Mit zerstäubter Technik-Euphorie spielt dagegen Daniel Schüßler. Seine Falschfarben-Landschaften sind von science fiction-Trümmern übersät (Ambacher).

 

Freiheit mit kleiner Münze

 

Aparter Niedergang und malerischer Verfall, wohin man schaut: Ob es an der Abbruch-Ästhetik des Ausstellungsortes liegt, dass solche Untergangsvisionen dem Kunst-Boom Hohn sprechen? Jedenfalls erinnert Ralf Kopp daran, worum es bei der „Art Week“ geht. Am Eingang hat er auf dem Gehsteig mit zahllosen Ein-Cent-Münzen das Wort „Freiheit“ ausgestreut. Nun wartet er ab, was Passanten damit machen – unter dem Titel: „Gier frisst Freiheit“.