Die Literaturskandale, die Genets Werk in den 1950/60er Jahren auslöste, sind heute unverständlich. Damals erschien kein Roman, wurde kein Stück uraufgeführt, ohne dass es zu Verboten, Anklagen und Geldbußen kam. Passé – seine expliziten Schilderungen von Homosexualität, Gewalt und Verbrechen kann unsere Zeit, die ganz anderes gewohnt ist, zwanglos integrieren. Und ihren Autor ignorieren.
Info
Jean Genet - Hommage
zum 100. Geburtstag
07.12.2010 - 07.03.2011
täglich außer dienstags 14 - 18 Uhr, samstags bis 19 Uhr im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Berlin
168 Zitate aus 1000-seitiger Sartre-Studie
Mit einer Ausstellung, die so sinnestrunken wie ihr Gegenstand ist. Kaum Erstausgaben oder andere Flachware; stattdessen Wände voller Collagen mit Momenten aus Genets Leben, Szenenbildern seiner Theaterstücke und ihm gewidmeten Kunstwerken. Sowie Zitat en gros: Allein 168 aus Sartres 1000-seitiger Studie «Saint Genet. Komödiant und Märtyrer», die ihn zum Helden einer marxistischen Psychoanalyse verklärte.
Impressionen der Ausstellung
1950 drehte Genet den Film «Un chant d´amour»
Plus einer Wand voller Kommentare von Weggefährten – die halbe Nachkriegs-Intelligenzija ist hier vertreten. Dabei bildet die Schau alle Lebensphasen Genets ab: Seine kriminelle Jugend, der schnelle Ruhm, seine Vorbildfunktion für die Schwulenbewegung, das Engagement für Entrechtete weltweit und der traurige Tod 1986.
Ausstellungen über Literaten sind oft blutleer – diese nicht. Kurator Wolfgang Theis hat die Bleiwüsten von und über Genet zu anregenden Text-Bild-Konglomeraten verarbeitet und mit Filmen angereichert: mit Fassbinders «Querelle»-Version von 1981 und Genets eigenem Film «Un chant d´amour», einer Rarität von 1950. Die Schau macht Lust, seine Werke wieder zu lesen – das Beste, was einem Autor passieren kann.