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Kosmos Runge – Der Morgen der Romantik

Philipp Otto Runge (1777-1810): Selbstbildnis (Brustbild; Detail), um 1802. Foto: Hamburger Kunsthalle
Weder süßlich noch erbaulich: Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung zeigt den Romantiker Philipp Otto Runge als Erfinder des Gesamtkunstwerks. «Kosmos Runge» ist die erste Retrospektive seit 33 Jahren.

Kein Museum besitzt mehr Arbeiten von Philipp Otto Runge als die Hamburger Kunsthalle: Mehr als 30 Gemälde, 360 der rund 480 erhaltenen Zeichnungen und fast 80 Scherenschnitte. Diese Bündelung seines Werks an nur einem Ort macht Runge aber zu einem bekannten Unbekannten.

 

Info

Kosmos Runge - Der Morgen der Romantik

 

03.12.2010 - 13.03.2011
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr in der Kunsthalle, Glockengießerwall, Hamburg

 

13.05.2011 - 04.09.2011
täglich 10 bis 20 Uhr in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, München

 

Katalog 40 €

 

Weitere Informationen

Andere deutsche Sammlungen haben nur wenige Blätter von ihm. Das Runge-Haus in seiner Geburtsstadt Wolgast muss sich mit Kopien der Werke in Hamburg begnügen. Ins Ausland sind praktisch keine Originale gelangt. Die letzte ihm gewidmete Retrospektive fand 1977 statt.

 

Tod durch Tuberkulose mit 33 Jahren

 

Zum 200. Todestag des Frühromantikers, der mit nur 33 Jahren an Tuberkulose starb, hat die Hamburger Kunsthalle verschwenderisch ihre Schätze ausgebreitet – diese Ausstellung wandert im Mai nach München. «Kosmos Runge» ist als Titel keineswegs übertrieben: Zu entdecken ist ein Künstler, der hochgespannte Ambitionen mit intensiver Reflexion verband; er korrespondierte mit vielen Geistesgrößen seiner Zeit. Was hätte er noch schaffen können, wenn er länger gelebt hätte?

 

Chronologisch gliedert die Schau Runges Kunst in einzelne Phasen – und macht damit seine schwindelerregend schnelle Entwicklung deutlich. Noch um 1800 ist seine Produktion völlig konventionell: Schwerfällige klassizistische Antiken-Studien, Scherenschnitte als Dekoration für Bürgerhäuser, Umriss-Zeichnungen nach dem Vorbild von Flaxman, die damals groß in Mode waren.


Impressionen der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle


 

Medium für das Universum

 

Dann zieht er 1801 nach Dresden, lernt Ludwig Tieck und Caspar David Friedrich kennen – und wirft alles Bisherige über Bord. Schluss mit der Nachahmung der Antike, weg mit akademischen Kompositionen: «Entsteht nicht ein Kunstwerk nur in dem Moment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem Universum vernehme?», fragt Runge. Der Künstler als Medium für den universellen Gesamtzusammenhang allen Seins: So begründet die Romantik den Genie-Kult und die Kunst-Religion des 19. Jahrhunderts.

 

Runge macht sich fieberhaft an die Ausführung. Der rastlose Zeichner findet binnen kurzem seine eigene Bildsprache. Mit breiten Rahmen-Konstruktionen voller Girlanden und Arabesken: Sie etablieren auf der Leinwand eine zweite Bild-Ebene, die das Hauptmotiv kommentiert. Etwa auf dem Aquarell «Die Freuden der Jagd»: Während das Medaillon in der Mitte eine ruhende Göttin Diana im Wald zeigt, tobt ringsherum eine turbulente Treibjagd.

 

Zyklisches Weltverständnis

 

Ähnlich konstruiert sind die «Zeiten». In diese vier Darstellungen der Tageszeiten packte Runge sein Weltverständnis zyklischer Bewegungen, die im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, Lebens- und Weltalter zum Ausdruck kämen. Von jedem Blatt werden einige Fassungen gezeigt.

 

Er überarbeitete sie mehrmals, bis jedes Detail symbolisch kodiert war und mit den anderen Blättern korrespondierte. Daher ist dieser Zyklus «das wohl komplexeste bildkünstlerische Werk der deutschen Romantik» genannt worden. Seine Verbreitung als Kupferstiche ab 1807 begründeten Runges Ruhm.

 

Kleiner + Großer Morgen

 

Den «Morgen» arbeitete er später zu zwei Gemälden aus, die als seine Hauptwerke gelten: den «Kleinen Morgen» und den «Großen Morgen». Letzterer wurde zerschnitten, später wieder zusammengesetzt und die Leerstellen übertüncht.

 

Selbst als restaurierte Ruine lässt das Bild erkennen, welche malerische Meisterschaft Runge in wenigen Jahren erlangt hatte: Komposition und Farbverläufe sind so subtil wie sonst nur noch bei seinem Freund und Gegenspieler C.D. Friedrich.

 

Revolution der Kindheits-Malerei

 

Auch bei diesen beiden Bildern wird durch Vorzeichnungen und Einzelstudien anschaulich, wie lange Runge an seinen Werken feilte. Auf diese Weise macht die Ausstellung den Schöpfungsprozess Schritt für Schritt nachvollziehbar. Man darf sich von den zahllosen Eroten und Genien nicht täuschen lassen: Sie sind nicht, wie etwa im Barock, dekoratives Beiwerk, sondern Symbol- und Handlungsträger – Platzhalter der conditio humana.

 

Runge sah in Kindern rousseauistisch-romantisch die unschuldigen Künder der Zukunft – und revolutionierte die Darstellung von Kindheit in der Malerei. Das kommt im Gemälde «Die Hülsenbeckschen Kinder» zum Ausdruck. Drei Kleinkinder verschiedenen Alters verkörpern unterschiedliche Lebensphasen: Vom passiven Wahrnehmen über das aktive Handeln bis zum selbstreflexiven Bedenken der Folgen.

 

Erstmals in Süddeutschland ausgestellt

 

Eine Entwicklung, die Runge selbst als Künstler in wenigen Jahren durchlaufen hat. Zu erkennen, welchen Abstraktionsgrad seine Malerei am Ende erreicht hatte, fällt dem heutigen Betrachter schwer: Dieser Bilderkosmos aus Allegorien und Girlanden in süßlichen Farben wirkt arg lieblich.

 

Doch Runge strebte nichts Geringeres an als ein allumfassendes Gesamtkunstwerk – davon zeugt auch sein dreidimensionales Farb-Modell. Zum Verständnis des Werks verhilft der vorzügliche Katalog, der jedes Werk ausführlich kommentiert. Dass die Schau nach München kommt, ist höchste Zeit: In Süddeutschland wurde Runge noch nie ausgestellt.