
Sein Name ist vielen geläufig, sein Werk fast keinem: Rabindranath Tagore war der erste shooting star der Weltliteratur. Als der 51-jährige Bengale 1912 nach London reiste, kannte ihn im Westen niemand. Der polyglotte Spross einer angesehenen Bramahnen-Familie übersetzte rund 100 seiner Gedichte ins Englische; für ihre Veröffentlichung sorgte William Butler Yeats. Ihre nie gehörte Metaphorik faszinierte das Publikum: 1913 erhielt er als erster nichteuropäischer Autor den Nobelpreis.
Info
The Last Harvest:
Rabindranath Tagore –
98 Meisterwerke in Berlin
02.09.2011 - 30.10.2011
täglich außer montags 10 - 18 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr im Museum für Asiatische Kunst, Lansstraße 8, Berlin-Dahlem
Seine Natur-Mystik und Aufrufe zur Versöhnung von westlichem mit östlichem Denken trafen den Nerv einer Zeit, die von Weltkrieg und Revolutionen erschüttert und von Lebensreform-Ideen beseelt war. Tagore schlug seine Zuhörer in Bann, wie es als nächstem Inder erst wieder Shree Rajneesh alias Bhagwan gelingen sollte.
Dichter der Nationalhymne
1930 besuchte Tagore zum letzten Mal Deutschland; da flaute seine Popularität allerdings schon ab. Eine Ausstellung seiner Bilder in Berlin, Dresden und München nahm die Kritik wohlwollend, aber verhalten auf. Danach gerieten seine Schriften allmählich in Vergessenheit; erst in jüngster Zeit wurden einige von ihnen neu übersetzt.
In Indien ist sein Rang bis heute unumstritten: Eines seiner Lieder dient als Nationalhymne. Er gilt als kultureller Lehrmeister, dessen bildungs- und sozialreformerische Visionen immer noch wegweisend sind. Zum 150. Geburtstag Tagores schickt daher die indische Regierung eine Auswahl seiner Gemälde auf Welt-Tournee; davon sind 98 nun im Museum Dahlem zu sehen.
Impressionen der Ausstellung
Der Universalgelehrte, der zahlreiche Romane, Dramen und Essays verfasste, Musikstücke komponierte und eine Universität gründete, fand erst spät zur bildenden Kunst: Er begann 1928, mit Tusche und Wasserfarben zu malen. In seinen verbleibenden 14 Lebensjahren schuf er ein gewaltiges Œuvre von rund 2.500 Arbeiten. Alle ließ er unbetitelt; sie sollten unmittelbar auf die Anschauung wirken.
Eigen- wie einzigartiger Stil
Tagore war mit der Weltkunst seiner Epoche vertraut. Er lernte im Ausland sowohl die so genannten Primitiven wie die Ismen der Moderne kennen und begeisterte sich für die flächige Ästhetik japanischer Farbholzschnitte. Solche Einflüsse verschmolz er zu einem so eigen- wie einzigartigen Stil, dem seine Herkunft kaum anzumerken ist.
Sein stets gegenständliches Motiv-Spektrum beschränkt sich auf Lebewesen und Landschaften. Die Farbgebung ist karg bis zur Monochromie oder durch mehrfache Übermalung irisierend. Wenige Elemente kombiniert Tagore zu variantenreichen Konstellationen, die raffiniert archaisch erscheinen: Gestalten sind verschattet oder auf sparsame Akzente reduziert, die Flächen wirken plan und zugleich durch exzentrische Linienführung rhythmisiert.
Radikale Absetzbewegung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine kultiversum-Rezension der Neuübersetzung von Tagores Dichtung.
Nur eines sind diese Bilder auf keinen Fall: traditionell indisch. Tagore lehnte die bengalische Malschule seines Neffen Abanindranath, die sich am bunt-narrativen Mogul-Stil orientierte, als rückwärtsgewandt und steril ab. Seine Absetzbewegung war radikal: Wie mit seinen Texten beschritt er auch als Maler einen ureigenen Weg in die Moderne. Vielleicht sind diese unauslotbar vieldeutigen Bilder Tagores bleibender Beitrag zur Weltkultur.