
Der Prophet gilt wenig im eigenen Land: Als Thomas Olbricht im vergangenen Jahr seinen «me Collectors Room» eröffnete, wurde er von der Presse etwas ungnädig empfangen. Sie nimmt zwar murrend hin, wenn sich Kunstsammler ein Denkmal setzen, indem sie ihre Kollektion öffentlichen Institutionen überlassen und ihnen die Folgekosten aufbürden. Aber dass ein Privatmann auf der Galerien-Meile Auguststraße sein eigenes Museum errichtet und dort ein schillerndes Panoptikum zeigt, ließ manche Kritiker pikiert die Nase rümpfen.
Info
My Paris – Collection
Antoine de Galbert
01.10.2011 - 08.01.2012
täglich außer montags von 12 bis 18 Uhr im "me Collectors Room", Auguststraße 68, Berlin.
Katalog 24,90 €
Ethnografica in der Wunderkammer
Nun ist Antoine de Galbert an der Reihe. Der Nachkomme eines alten Adelsgeschlechts besitzt eine der umfangreichsten privaten Kunstsammlungen in Frankreich mit mehr als 2000 Werken. Seit 2004 veranstaltet er jährlich bis zu sechs Ausstellungen in seiner Pariser Kunsthalle «La Maison Rouge» – im etatistischen Frankreich eine außergewöhnliche Einrichtung. In diesem Herbst gastiert dort Thomas Olbricht mit seinen Schätzen.
Währenddessen zeigt de Galbert Teile seiner Kollektion in Olbrichts Domizil: Rund 60 Werke von 40 zeitgenössischen Künstlern, die meist in Frankreich leben und arbeiten. Die subjektive Auswahl wird ergänzt durch Ethnografica: Schädel, Fetische und andere Kult-Objekte aus Afrika und Ozeanien. Sie passen perfekt zu Olbrichts «Wunderkammer» im Obergeschoss, in der Memento-mori- und Vanitas-Motive seit dem Barock zu sehen sind.
Künstler mit Herkunfts-Gütesiegel
Beide Sammler verbindet ihre Leidenschaft für sinnliche und drastische Darstellungen; theorielastige Konzept-Konstrukte sagen ihnen nicht zu. «Très incarné», also sehr materiell-konkret, seien Arbeiten, die sein Interesse weckten, bekennt de Galbert. Dabei scheren ihn die Kapriolen des Kunstbetriebs wenig: Mal kauft er berühmte Namen, mal unbekannte Künstler und fördert sie dadurch – die Aufnahme in seine Kollektion wertet sie auf.
Der gezeigte Querschnitt ist eine bunte Mischung: Fast alle Medien sind vertreten, von der kleinformatigen Zeichnung und Fotografie bis zur Raum füllenden Installation. Geschaffen vom «Artiste français» mit «appellation d’origine contrôlée», dem Gütesiegel geprüfter Herkunft für Lebensmittel, wie der Belgier Ernest T. auf seinem Druck augenzwinkernd versichert.
Hyäne mit Goldzähnen
Was keinen behaglich-kulinarischen Genuss garantiert. Daneben hängt die Installation «France (burnt/ unburnt)» des Künstler-Kollektivs Claire Fontaine: Frankreichs Fläche en miniature, aus 70.000 Streichhölzern zusammen gesetzt. Ein Funke genügte, um die «grande nation» in Flammen aufgehen zu lassen. Schräg gegenüber ist das Malheur schon passiert: «Au bout du souffle» von Stéphane Thidet besteht aus zersplitterten Glasscheiben in Stahlrahmen.
Dazwischen steht eine ausgestopfte Hyäne, der Nicolas Milhé Goldkronen in den Kiefer implantiert hat. Das Bestiarium des Kapitalismus bereichert Damien Deroubaix, von dem jüngst in Karlsruhe nachtschwarze Bleistift-Zeichnungen zu sehen waren, mit seiner Installation «Control»: Lebensgroße Haie aus Kunstharz kreisen im Raum.
Anus Mundi als Spielzeug-Modell
Sie haben ein Foto-Tableau von Luc Delahaye im Blickfeld: Die Presse-Meute stürzt sich auf Delegierte der 132. OPEC-Konferenz. Dem begegnet Claire Fontaine mit demonstrativer Verweigerung. Ihr mannshoher Schriftzug «Strike» aus Neonröhren erlischt, sobald sich ein Betrachter nähert. Wegradeln unmöglich: Das Fahrrad von Richard Fauguet ist mit Dutzenden von Schlössern fixiert.
Gleichfalls unübersehbar sind die enormen Holz-Stempel des Kameruners Barthélémy Toguo: Ihr Abdruck entscheidet, ob man mit Visum nach Europa einreisen darf oder nicht. Nach der Abschiebung könnte man sich an einem Ort wieder finden, den Gilles Barbier von der Pazifik-Insel Vanuatu als Modell aufgebaut hat. Links Slum-Hütten, rechts Müllkippe, dazwischen eine rosig-glatte Vertiefung: «Le monde trou du cul» («Die Welt Arschloch»).
Zebrafinken spielen E-Gitarre
Weniger obszön, aber gleichfalls explizit mokiert sich Didier Faustino über die Gegenwart: Sein «Body in transit» ist ein handlicher Kunststoff-Container zum Transport menschlicher Körper. Ihre gewöhnlichen Aufbewahrungsorte führt Mathieu Pernot nüchtern vor: Wohnsilos aus der banlieue von Paris, einst auf Postkarten angepriesen, heute gesprengt und abgeräumt.
Frei bewegen können sich nur Zebrafinken. Sie fliegen in der begehbaren Riesen-Voliere umher, die Céleste Boursier-Mougenot ihnen eingerichtet hat. Landen die Vögel auf einer E-Gitarre, werden die Saiten ohrenbetäubend verstärkt: Zufalls-Musik, an der John Cage seine Freude hätte.
Illustrationen für De-Sade-Werkausgabe
All das ist leicht zugänglich. Etwas dezenter kommen die pastellfarbenen Mischwesen auf dem Ölbild «Les désaxées» von Valérie Favre daher. Doch im Obergeschoss geht es weiter ohne Umschweife zur Sache: Die Iranerin Elika Hedayat fertigt surreal-sexuelle Zeichnungen an, mit der man eine De-Sade-Werkausgabe illustrieren könnte.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Lumière noire - Neue Kunst aus Frankreich" mit Werken von Damien Deroubaix
und hier die kultiversum-Besprechung einer Ausstellung von Valérie Favre in der Galerie Barbara Thumm
und hier einen Bericht über die Eröffnungs-Ausstellung "Passion Fruits" des me Collectors Room im April 2010.
Niemals dekorativer Nippes
Die Kunst-Schau als Monströsitäten-Kabinett – und damit als Abbild der sie umgebenden Außenwelt. Noble Zurückhaltung ist kein Markenzeichen von de Galberts Kollektion. Doch sein Blick für das herausfordernd Abseitige hält Schritt mit den Sehgewohnheiten einer Gesellschaft, die mit immer stärkeren Reizen bombardiert wird. Als dekorativer Nippes taugen diese Artefakte niemals – doch intensive Eindrücke gewähren sie gewiss.