In Deutschland ist der 1902 in Ungarn geborene Marcel Breuer vor allem als Möbeldesigner bekannt. In den Wohnungen der Bildungsbürger-Bohème stehen entweder Stühle von Breuer oder von Charles Eames – oder beiden.
Info
Marcel Breuer:
Design und Architektur
01.06.2012 - 31.10.2012
täglich von 10 bis 18 Uhr im Bauhaus Dessau, Gropiusallee 38, Dessau-Roßlau
Begleitband 7,90 €
Welt-Tournee aus Weil am Rhein
Die Ausstellung im Bauhaus Dessau ist die erweiterte Version einer Schau, die vom Vitra Museum in Weil am Rhein konzipiert wurde und seit fast zehn Jahren um die Welt tourt. Nun ist sie endlich an ihrem ideellen Ursprungs-Ort angekommen; hier werden jetzt beide Aspekte seines Schaffens gleichberechtigt vorgestellt.
«Wahrscheinlich ist der entscheidendste Faktor für die Formgebung eines Gebäudes seine sichtbare Struktur, das Zusammenspiel von stützenden und tragenden Elementen – ein Zutagetreten von Spannungs-Zuständen in toter Materie», formulierte Breuer 1966 sein Credo: wie er es am Bauhaus in Weimar gelernt und später am Bauhaus in Dessau gelehrt hatte.
Mit 23 Jahren Leiter der Möbel-Werkstatt
Walter Gropius ernannte Breuer 1925 als «Jungmeister» zum Leiter der Möbel-Werkstatt des Bauhauses. Breuer hatte zwar eine Tischler-Ausbildung absolviert, doch hätte er sich lieber als Leiter der Architektur-Klasse gesehen – das empfand er als seine Berufung. Dennoch nahm der 23-Jährige die neue Aufgabe an.
Ein Sessel, den er bereits im Alter von 19 Jahren für die Ausstattung des Hauses Sommerfeld in Berlin entworfen hatte, zeigt seine Herangehensweise deutlich. Sehr architektonisch gedacht, präsentiert sich das Sitzmöbel als robust eckiges Tragwerk aus Holz und Leder-Polstern. Der Latten-Stuhl «ti 1 a» wirkt noch kubistisch: Er ist aus massiven Kirschholz-Leisten zusammengesteckt. Doch die Polsterung ist schon einer leichten Stoffbespannung gewichen; die Rückenlehne besteht nur noch aus schmalen Gurten.
Schwingendes Stahlrohr-Skelett mit flachen Häuten
Furore machte Marcel Breuer dann aber ein Jahr später mit dem Club-Sessel «Modell Nr. B3»; auch Wassily-Sessel genannt, denn er war für seinen Bauhaus-Kollegen Kandinsky bestimmt. Breuer gestaltete den Sessel als elegant schwingendes Stahlrohr-Skelett mit flachen Häuten zum Sitzen und Lehnen. Solche archetypisch modernen Stahlrohr-Möbel wirken heute noch so zeitgemäß wie ehedem.
Die Gebäude, die Breuer ab Mitte der 1930er Jahre vornehmlich in Amerika errichtet hat, stehen seinen Möbel-Ikonen in keiner Weise nach, sondern sind echte Entdeckungen. In der Kirche «St. Francis de Sales» von 1964 in Muskegon, Michigan, überfing er den trapezförmigen Grundriss mit einer selbsttragenden Konstruktion aus vertikal gerippten Wand- und Deckenflächen. Dadurch konnte er die beiden nicht tragenden Seitenwände gewagt hyperboloid verdrehen.
Gewagte Kirchen-Konstruktionen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Donald Judd: A good chair is a good chair" mit minimalistischen Möbeln im Bauhaus-Stil in der Pinakothek der Moderne, München
und hier eine Rezension der Ausstellung "Feininger aus Harvard – Zeichnungen, Aquarelle und Fotografien" mit Bauhaus-Arbeiten von Lyonel Feininger in Berlin + München
und hier einen kultiversum-Beitrag über die Ausstellung "Laszlo Moholy-Nagy: Kunst des Lichts" mit Bauhaus-Kunst im Martin-Gropius-Bau, Berlin
Gelungene Fassaden-Gliederungen
Wesentlich sachlicher sind Breuers Entwürfe für Einfamilien-Häuser: Dabei setzt er die Funktions-Lehren des Bauhauses um. In so genannten Zwei-Zellen-Häusern sind halb öffentliche Wohn-Bereiche wie Küche oder Speisezimmer von privaten wie Schlafzimmern oder Bädern getrennt. Auskragende Balkone und Vordächer, raumteilende Vorhänge und Glaswände, liegende Rechtecke und Band-Strukturen setzt Breuer selbstbewusst als Errungenschaften der Moderne ein.
Besonders gelungen gliedert er monumentale Fassaden und Volumina wie im Hörsaal «Begrisch Hall» der New York University oder dem Whitney Museum for American Art: Schalungsmuster werden zum Ornament. Fenster verstecken sich in kristallinen Mulden; pyramidale Erker falten sich aus der Wand. Form und Funktion wollen sich voneinander lösen: Architektur wird Skulptur.