
Dürers Hase ist überall. Vor der Albertina steht auf Stelen ein ganzes Rudel Spalier. An den Treppenstufen zum Hauptportal klebt ein monumentaler Mümmelmann. Ein überlebensgroßes Exemplar bewacht auch den Ausstellungs-Eingang; im Museumsshop ist es als Nippesfigur in allen Farben zu haben. Und auf der Website mutierte der Cursor zeitweise zum Langohr-Profil: Die PR-Leute schlachten den flauschigen Sympathie- und Werbeträger bis zum letzten Pelzhaar aus.
Info
Dürer, Michelangelo, Rubens - Die 100 Meisterwerke der Albertina
14.03.2014 - 29.06.2014
täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr in der Albertina, Albertinaplatz 1, Wien
Top-Motive locken mehr
Wohl kaum. Eher dürften magere Besucherzahlen die Verantwortlichen zur Umbenennung bewogen haben: Anfänge eines Museums locken weniger als legendäre Motive, die jeder kennt. Den Etikettenwechsel kann die Ausstellung verkraften; sie tritt ohnehin als Doppelpack auf. Zwar breitet sie 100 Original-Zeichnungen von Weltstars der Kunstgeschichte aus, von denen manche lange nicht gezeigt wurden, doch eingebettet in – oder eher: umzingelt von – 300 anderen Exponaten.
Impressionen der Ausstellung
K.u.k.-selige Ausstattungsorgie
Im Zentrum der Schau stehen nämlich weder die Entstehung der Albertina noch ihre Kollektion, sondern Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738-1822) und seine Gemahlin Erzherzogin Marie Christine von Österreich (1742-1798). Leben und Werdegang der hochherrschaftlichen Eheleute werden episch mit solcher Freude an Pomp und Anekdoten nacherzählt, wie es außerhalb der Ex-Donaumonarchie undenkbar wäre.
Ein willkommener Anlass, die ganzen Ölschinken, Kleinodien und Prunkgeschirre aus dem Hofmobiliendepot wieder hervorzuholen und auszubreiten! Selbst die Räume sind mit an Damast erinnernden Tapeten in wechselnden Farben bespannt. Diese k.u.k.-selige Ausstattungsorgie hat durchaus Charme: Die Biographien des nicht unwichtigen Fürstenpaars werden sehr anschaulich – eine Sternstunde für Adelsnostalgiker.
Heirat mit Tochter von Tante
Herzog Albert war Sohn des sächsischen Kurfürsten und Enkel von August dem Starken; seine Frau eine Tochter von Kaiserin Maria Theresia, die zugleich Alberts Tante war. Nach ihrer Liebesheirat finanzierte Marie Christine eine standesgemäße Hofhaltung: Ihr Privatvermögen betrug umgerechnet mehr als 60 Millionen Euro. Beide waren gebildet und schätzten Kunst; ab 1776 trug Albert systematisch Grafik zusammen.
Als Statthalter der Österreichischen Niederlande in den 1780er Jahren sammelte er im großen Stil weiter. Nach der Französischen Revolution floh das Paar nach Wien und bezog 1794 das Palais auf der Augustinerbastei, das Albert erweitern ließ – die heutige Albertina. Vier Jahre später starb seine Gattin; er überlebte sie um 24 Jahre. In seinem Testament vererbte er seine Grafiksammlung an seinen Adoptiv-Sohn Erzherzog Carl, der 1826 festlegte, dass sie die Albertina nie verlassen dürfe.
Original-Dreispitz von Napoleon
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der grandiosen Ausstellung "Dürer. Kunst - Künstler - Kontext" im Städel Museum, Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Michelangelo - Zeichnungen eines Genies" in der Albertina, Wien
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Schönste der Welt" zum 250. Geburtstag der Bildergalerie Friedrichs des Großen im Park Sanssouci, Potsdam
und hier eine Kritik der Ausstellung "Glanzlichter des Schlosses Esterházy" im Schloss Esterházy, Eisenstadt, Österreich.
Zum besseren Verständnis und höheren Ruhme Alberts, aber zu Lasten der Meisterwerke: Die gehen in der historischen Materialschlacht fast unter. Erst wenn die Besucher durch Goldlitzen, Silberkaraffen und Rokoko-Schnörkel ermüdet sind, dürfen sie endlich Dürer, Michelangelo und Rubens bewundern.
Mesalliance aus Marketing-Kalkül
Darunter sind nicht nur populäre Motive wie Dürers „Betende Hände“ oder Rubens‘ Sohn „Nikolaus mit Korallenschnur“, sondern auch weniger bekannte: etwa der drastisch-dynamische „Hexensabbat“ von Hans Baldung gen. Grien oder wunderbar luftige Porträts und Landschaften der Franzosen Boucher und Fragonard.
Doch diese chef d’œuvres scheinen nur eine Nebenrolle zu spielen in einem überbordenden Defilee leicht verblichenen Habsburger-Glanzes – als wäre die Albertina der Strahlkraft der benachbarten Hofburg erlegen. Oder hinter der mesalliance dieser Doppel-Ausstellung, von denen die eine in der anderen verborgen ist, steckt Marketing-Kalkül. Dann wäre ein Titel passender gewesen, der beide Aspekte verbindet: „Die Gründung (des Publikumserfolgs dieser Historien-Schau) der Albertina auf 100 Meisterwerken“.