
Die „kunst.licht gallery“ ist neu in Berlin. Sie wirkt, als hätten die Gründer Sven Müntel und Yun Lin, die eine Galerie in Shanghai betreiben, ihre deutsche Zweigstelle per Telefon einrichten lassen. Im Niemandsland hinter dem monströsen Neubaukomplex für den BND, durch Baustellen vom Durchgangsverkehr abgeschnitten, sieht der frisch gestrichene Raum fast noch unberührt aus.
Info
What a Wonderful World
21.02.2015 - 19.04.2015
mittwochs - freitags
14 bis 20 Uhr,
am Wochenende
12 bis 18 Uhr
in der kunst.licht gallery, Scharnhorststr. 24, Berlin
Märchenhafte Nutzlosigkeit
Am deutlichsten wird das in der Serie „No Where There“ von Tang Jing; sie ist vermutlich auch Stichwortgeber für den Titel der Ausstellung. Das Wundersame an diesem Nirgendwo, das sich dennoch an einem konkreten Ort („there“) befindet, ist seine märchenhafte Nutzlosigkeit. Tang Jing fotografiert chinesische Neubauten, die europäische Stile oder Sehenswürdigkeiten imitieren.
Impressionen der Ausstellung
Sammelbecken für Kapitalanlagen
Sein Venedig liegt in der Nähe von Shanghai: Die Rialto-Brücke spannt sich bonbonfarben über einen Kanal – in eine reale Stadtlandschaft eingefügt, doch unbenutzt und unbegehbar. Der Eiffelturm steht mitten im Schilf und lässt im Hintergrund unbewohnte Luxuswohnungen erahnen, welche die Champs Élysées in Paris nachahmen.
Genauso zweckfrei ist die Londoner Tower Bridge in ihrer chinesischen Version: Resultat von skurrilem Renommierbedürfnis wie ausufernder Bauspekulation. Da chinesische Sparer wenig Anlagemöglichkeiten haben, stecken viele ihr Kapital in prestigeträchtige Neubauprojekte – ohne sich um Nutzwert und Renditeaussichten zu kümmern.
Brotdose erinnert an Kindersarg
Die Arbeiten der vier Künstler werden – abgesehen von ausliegenden Info-Mappen – kommentarlos präsentiert. Das ist um so bedauerlicher, als es vor allem die Werke von Lian Zhiping verdient hätten, in ihren Kontext eingeordnet zu werden. Sie hat einen subtilen Blick, der kleinen Alltagsgegenständen eine kulturpolitische Dimension verleiht. Aus einer Brotdose lugt ein weißes Spitzentuch; das erinnert an einen Kindersarg. Aluminiumfolie um einen Fisch glitzert wie ein Diamant.
Ein Sturzbach vergilbter Passfotos ergießt sich in „Archive from 1983“ über einen violetten Qipao, der anmutig über einen Stuhl gebreitet ist. Das traditionelle Kleidungsstück für Frauen steht für die kultivierte Gesellschaft im Shanghai der 1930er Jahre, als die Stadt ihre Blütezeit erlebte.
Haftstrafen für verbotene Küsse
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die 8 der Wege: Kunst in Beijing" - exzellenter Überblick über Gegenwartskunst in China in den Uferhallen, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Ai Weiwei – Evidence” – bislang größte Werkschau des Künstlers im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung “Architecture China – The 100 Contemporary Projects” über chinesische Gegenwarts-Architektur in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim.
Dagegen erfassen Arbeiten von Yingji aus der Serie „End of Spring“ Entfremdung in persönlicher, individueller Weise. Sie gruppieren sich um traumartige Selbstwahrnehmung in Schwarzweiß: Gesicht und Frauenkörper in jugendlicher Schönheit sind eingerahmt und drohen zu versinken in schwarzem Wasser, Haaren oder Strümpfen.
Gummibaum als Ausbeutungs-Symbol
Kafkaeske Motive des Kontrollverlusts durchsetzen die Bilder: von Schlaf und Insekten, von Körperteilen, die sich verselbstständigen. Eine Hand wird in ein Glas gesteckt und damit optisch der Körperwelt entrückt; in einem anderen Glas scheint eine Brust wie mutiert zu wachsen.
Im Kontrast dazu legt Shan Feiming naturdokumentarische Studien zum Frühlingsanfang vor, auf Chinesisch „Die Insekten erwachen“. Seine Serie „Rubber Tree“ mit Bildern von vielfach vernarbten Stämmen von Gummibäumen thematisiert das Anzapfen, Aussaugen und Ausbeuten der Natur. Shans Bilder wirken im Vergleich zu denen seiner Kollegen zunächst unauffälliger. Doch vor dem Hintergrund der beiden Kulturen, die alle Teilnehmer prägen, lässt sich seine Ausbeutungs-Metaphorik auch kulturell verstehen.