Am Ende enthüllt er sein eigentliches Interesse: Der Schweizer Beat Wismer, seit zehn Jahren Generaldirektor des Museums Kunstpalast, betreibt gern Grundlagenforschung zur Kunst. Nach Ausstellungen über die Darstellung von Glas, dem „verbotenen Blick auf die Nacktheit“ (beide 2008) und „Kunst und Alchemie“ (2014) widmet er seine letzte Schau in Düsseldorf der Rolle von Vorhang und Schleier in der bildenden Kunst.
Info
Hinter dem Vorhang - Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance - Von Tizian bis Christo
01.10.2016 - 22.01.2017
täglich außer montags
11 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, Düsseldorf
Katalog 39,90 €
Bilder als Trugbilder
Doch steckt darin nicht auch Anmaßung? Seit jeher begleitet die Kunst der Vorwurf, sie schaffe mit Fingerfertigkeit angeblich kostbare Artefakte, die de facto aus wertloser Farbe und Malgrund bestünden. In der abendländischen Tradition hat vor allem Platon diese Kritik zugespitzt: Bilder seien Trugbilder und lenkten nur vom wahren Wesen der Dinge ab. Auf ähnlichen Überlegungen beruht das islamische Verbot, Lebewesen darzustellen – dieser Schöpfungsakt sei Allahs Privileg.
Feature über die Ausstellung; © iksmedienarchiv
Parrhasios‘ Vorhang täuschte Zeuxis
Andererseits ist eine antike Geschichte überliefert, die als eine Urszene der Kunstbegeisterung gelten darf. Um 400 v. Chr. wetteiferten die Griechen Zeuxis und Parrhasios, wer der bessere Künstler sei. Zeuxis malte Trauben, an denen Vögel picken wollten; so echt sahen sie aus. Parrhasios präsentierte das Bild eines Vorhangs. Den wollte Zeuxis beiseite schieben, um das Gemälde dahinter anzusehen – musste aber feststellen, dass er getäuscht worden war.
Die Ausstellung beginnt mit dieser berühmten Anekdote: Sie gibt zugleich ihren Gegenstand und dessen Hochschätzung vor. Er wird anschließend in acht Abteilungen anhand von mehr als 200 Werken erschöpfend entfaltet; im doppelten Wortsinne. Dabei sind Anspruch und Zeithorizont noch höher und weiter als „von Tizian bis Christo“, wie es im Titel der Schau heißt: Sie setzt um 1400 ein und reicht bis in die unmittelbare Gegenwart.
Enthüllen als Offenbarung des Göttlichen
Jeder Vorhang wertet das Verborgene auf: Es ist so wichtig oder schutzbedürftig, dass es nur zeitweilig freigelegt und betrachtet werden darf. Einen Vorhang aufzuziehen oder Schleier abzustreifen, hat etwas Dramatisches. Diese theatralische Geste funktioniert aber nur, wenn sie auf begehrliche Blicke stößt: Ist im Sichtfeld ein optisches Hindernis, will man wissen, was sich jenseits befindet.
Derartige Inszenierung von Bedeutung nutzte die Kirche bereits im Mittelalter: Altäre und Heiligenbilder wurden im Alltag bedeckt, um sie zu besonderen Anlässen feierlich sichtbar zu machen. Diese demonstrative Offenbarung des Göttlichen findet sich ab dem 15. Jahrhundert auf den Kunstwerken selbst wieder; gemalte Vorhänge trennen irdische und himmlische Sphäre. Das Antlitz Christi auf dem Schweißtuch der Veronika wird zur Inkunabel solcher Schleier-Theologie.
Gemalte Vorhänge vor Bildern-im-Bild
Zugleich entsteht der Brauch, auch weltliche Bilder mit Vorhängen oder Schiebetafeln zu versehen, die bei Bedarf geöffnet werden: ein eindeutiges Zeichen für zunehmende Wertschätzung der bildenden Kunst. Da liegt nahe, dass Maler dieses Qualitäts-Symbol in ihre Kompositionen integrieren: Die Schau präsentiert etliche Renaissance- und Barock-Werke, auf denen zur Seite geschobene Vorhänge die Sicht auf das eigentliche sujet freigeben
Oder es umgekehrt teilweise bedecken und dadurch umso interessanter machen: Wie man sieht, sieht man nicht genug. Manche Künstler drehen die Schraube noch eine Windung weiter: Sie stellen ihr Motiv als Bild-im-Bild dar, das von einem ebenfalls gemalten Vorhang eingehüllt ist. Man kann lange darüber nachsinnen, ob solche visuellen Techniken für mehr Distanz zwischen Leinwand und Betrachter oder umgekehrt eher für intime Nähe sorgen – das diskutieren die Autoren des Katalogs ausgiebig.
Schoß entblößen + Gesicht verbergen
Selten werden aber Vorhänge oder Schleier als integrale Bestandteile des Geschehens eingesetzt. Das Paradebeispiel ist ein Gemälde von Tizian, das in der Kunstgeschichte einzigartig sein soll: das „Bildnis des Filippo Archinto“ (1558). Ihn hinderten die Mailänder daran, sein Amt als Bischof auszuüben. Der Maler porträtiert den Unglücklichen so, dass er mittig von einer halb durchlässigen Gardine verdeckt wird. Sein Amtsring an der rechten Hand ist deutlich zu sehen, die Bibel in seiner linken nur zu erahnen. Die Gardinenkante durchschneidet genau sein rechtes Auge – eine fürwahr gespaltene Persönlichkeit.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "zeigen verhüllen verbergen – Schrein" – zur "Ästhetik des Unsichtbaren" im Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Du sollst dir (k)ein Bild machen" zum Umgang mit Bilderverboten in sakraler + profaner Kunst aus acht Jahrhunderten im Berliner Dom
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Kunst und Alchemie – Das Geheimnis der Verwandlung" im Museum Kunstpalast, Düsseldorf.
Haut-Schrift als zusätzlicher Schleier
Eine derart zentrale Funktion auf Gemälden hat Textiles nur ausnahmsweise. Meist bleibt es bei rahmendem und schmückendem Beiwerk: Wie es drapiert, gerafft oder anders arrangiert wird, dekliniert die Ausstellung in leicht ermüdender Vollständigkeit durch. Derzeit ist das Thema ist in der Kunstwissenschaft sehr beliebt: Vorhänge trennen stets Bild-Zonen voneinander. Über das Verhältnis von vorne und hinten, offen und geschlossen, opak und transparent lässt sich trefflich räsonnieren – oft recht beliebig.
Das zeigt sich im letzten Abschnitt, der Werken seit der Nachkriegszeit gewidmet ist. Da werden alle möglichen Sichtbarrieren aufgefahren: Christos Verpackungs-Künste ebenso wie Aufnahmen beschlagener Fensterscheiben von Thomas Florschuetz oder diverse gemalte Vorhänge in trompe–l‘œil-Manier. Dem fügen nur wenige Exponate aufschlussreiche Facetten hinzu. Etwa die Fotoserie „Women of Allah“ (1993/7) der iranischen Künstlerin Shirin Neshat: Bei Frauen im Tschador sind die Hautpartien mit arabischer Schrift bedeckt. Sie wirkt wie ein zusätzlicher Schleier, der für Abstand und Fremdheit sorgt – auch ohne Bilderverbot.