
Derzeit entdeckt die deutsche Museumslandschaft einen lange vergessenen Kontinent neu: ihre koloniale Vergangenheit. Zwar war das Deutsche Reich eine verspätete Kolonialmacht. Ende des 19. Jahrhunderts raffte es nur wenige Territorien zusammen, die es schon 1919 nach dem verlorenen Weltkrieg wieder verlor. Doch während der ethnologischen Erschließung der Welt um 1900 waren deutsche Forscher sehr aktiv: Auf allen Erdteilen trugen sie zahllose Artefakte für die heimischen Völkerkunde-Museen zusammen.
Info
Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum
27.10.2017 bis 24.11.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
im Bode-Museum, Museumsinsel, Am Kupfergraben, Berlin
Katalog 24,95 €
Humboldt-Weg voller Stolpersteine
„Auf dem Weg zum Humboldt Forum“ nennen daher die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) eine Ausstellungsreihe, die den Reichtum ihrer außereuropäischen Schätze ins Bewusstsein rufen soll. Mit wechselndem Erfolg: Die ersten Gehversuche noch am Dahlemer Standort, als „Probebühne“ betitelt, wurden ziemlich verstolpert. Opulente China-Schauen im Kulturforum waren auf Innenansichten Ostasiens beschränkt. Und im Neuen Museum bleiben die exotischen „Neuen Nachbarn“ zwischen antiken Meisterwerken fast unsichtbar: Erratische Auswahl und Aufstellung verbergen erfolgreich, dass hier eine Sonderschau gezeigt wird.
Statements von Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin, + Impressionen der Ausstellung
Provenienz-Forschung als Job-Maschine
Denn durch Globalisierung und postkoloniales Denken sind die Ansprüche an ethnologische Ausstellungen gestiegen: Eurozentrische Trophäen-Schau war gestern. Heutzutage soll die Präsentation die Vorurteile weißer alter Männer demaskieren, kulturelle Kontexte detailliert erklären und die Relativität sämtlicher Vorstellungen aufzeigen. Aktive Ent-Diskriminierung des und der Anderen ist also das Mindeste; manche verlangen noch mehr.
Etwa umfassende Provenienz-Forschung: Zu Kolonialzeiten wurden die meisten Objekte geraubt oder für Glasperlen erworben. Ihre Herkunft müsse nun Stück für Stück lückenlos aufgeklärt werden, wird gefordert – unklar ist, was solche Akribie außer einem riesigen Arbeitsbeschaffungs-Programm für Nachwuchs-Kunsthistoriker bringen soll.
Quadratur des Korrektheits-Kreises
Andere gehen noch weiter: Mit sehr deutschem Wiedergutmachungs-Furor wollen sie sämtliche „Raubkunst“ ihren Herkunftsländern zurückgeben. Dass die meisten Empfänger weder die Kapazität noch Know-how haben, sie angemessen aufzubewahren und zu dokumentieren, wird geflissentlich ignoriert. Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen, umso schlimmer für die Tatsachen.
Man sieht: In diesem Minenfeld wird es schwierig, Außereuropäisches öffentlich zu zeigen, ohne Proteste hervorzurufen. Umso beeindruckender wirkt, wie elegant die „Unvergleichlich“-Schau die Quadratur des politischen Korrektheits-Kreises löst. Dabei ist ihr Ansatz, afrikanische Kunstwerke den europäischen beizugesellen, nicht mehr taufrisch. In jüngster Zeit ist es im Kunstbetrieb geradezu Mode geworden, Unvereinbares miteinander zu konfrontieren; auf dass im besten Fall irgendein Funke der Erkenntnis überspringen möge.
Paare, die wirklich zueinander passen
Doch im Bode-Museum gehen die Kuratoren sehr überlegt und sorgfältig vor. Rund 70 Arbeiten aus Afrika und ihre europäischen Gegenstücke sind allesamt Meisterwerke – und sie passen wirklich zusammen. Nicht im schlichten Sinne, dass sie sich stets ähneln oder schematisch spiegeln. Sondern eher, indem sie einander ergänzen und kommentieren: als zwei mögliche Varianten, universelle Bedürfnisse zu befriedigen oder Verhältnisse zu veranschaulichen.
Das erschließt sich oft nicht durch bloßen Augenschein; es muss erläutert werden. Auch das bewältigt die Schau mühelos: Jedes Exponat ist mit einer Texttafel versehen, die sich auf das Wesentliche beschränkt. So hat man trotz einer erheblichen Schriftmenge nie den Eindruck, die Objekte illustrierten bloß trockene Thesen. Im Gegenteil: Wenige Sätze lenken die Aufmerksamkeit zielsicher auf die relevanten Aspekte des jeweiligen Werks.
Schutz durch Mantel oder Nägel
Besonders gelungen sind 22 „Gegenüberstellungen“ in der Museums-Dauerschau von Skulpturen seit dem Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Manchmal sind die Korrespondenzen offensichtlich: Donatellos Kleinbronze eines Putto mit Tamburin (1429) zeigt die gleiche anmutig ausgreifende Geste wie 100 Jahre später die Statuette einer Benin-Göttin oder Prinzessin. Ein deutsches Aquamanile in Löwenform von ca. 1500 könnte als Vorbild für ein Benin-Handwaschgefäß aus dem 17. Jahrhundert gedient haben. Die Haltung ist gleich, die Raubkatze verschieden: In Nigeria galt der Leopard als König der Tiere.
Häufiger führen ähnliche Funktionen zu vergleichbaren Formen. Eine Schutzmantel-Madonna aus Ulm von 1480 und eine nkisi-Kraftfigur (mangaaka) aus dem Kongo des 19. Jahrhunderts erfüllen beide denselben Zweck: Gläubige vor Unheil zu bewahren. Dazu sind beide überlebensgroß, die ihnen gebührenden Riten aber verschieden. Die überirdische Macht der Madonna wurde durch Gebete aktiviert; in die hölzerne nkisi-Figur trieb man dagegen Nägel, um ihre Kräfte freizusetzen.
Sierra Leones Elfenbeingefäß-Export ab 1490
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Afrikanische Meister: Kunst der Elfenbeinküste" – Hochkarätiges in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Minkisi – Skulpturen vom unteren Kongo" mit faszinierenden Nagel-Fetischen im Grassi Museum, Leipzig
und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Dogon - Weltkulturerbe aus Afrika" – grandiose Überblicks-Schau über die Kultur aus Mali in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier eine Kritik Ausstellung "Humboldt Lab Dahlem: Probebühne 1" zur Kombination von Ethnologica + zeitgenössischer Kunst in den Museen Dahlem, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afrikanische Bronzen" – Metallguss-Arbeiten der Dogon- + Benin-Kultur aus der Sammlung Paul Garn in der Galerie Peter Herrmann, Berlin.
Dafür verwendetes Kupfer war vermutlich teure Importware aus Europa. Wertvolle Rohstoffe wurden zwischen beiden Erdteilen viel früher und intensiver gehandelt als gemeinhin angenommen. Das zeigen etwa zwei Stücke aus afrikanischem Elfenbein. Eine Herkules-Figur entstand vor 1694 in Norddeutschland, ein Salzgefäß in Form eines astronomischen Geräts bis zu 200 Jahre früher in Sierra Leone. Dort wurde es nach Vorlagen geschnitzt, die portugiesische Seefahrer mitbrachten – als Luxus-Exportartikel für den europäischen Markt.
Gender-Sektion für die Sittenpolizei
Während in der Dauerschau besonders aussagekräftige Einzelstücke gezeigt werden, sind in den Sonderausstellungs-Räumen im Untergeschoss vorwiegend Gruppen gleichartiger Objekte zu sehen. Ebenfalls mit unvermuteten Parallelen: Eine Elfenbein-Kreuzigung aus dem Kongo Mitte des 19. Jahrhunderts ahmt die Komposition eines mittelalterlichen Reliefs aus Köln nach. Gedenkköpfe für einen oströmischen Kaiser im 4. Jahrhundert aus Marmor und für einen Benin-König im 17./18. Jahrhundert aus Bronze zeigen beide idealisiert ebenmäßige Züge.
Nicht jeder der sechs Abschnitte überzeugt gleichermaßen; etwa derjenige zu „Gender – oder die Multiplizität der Person“. Darunter wird auch eine oberrheinische Schreinmadonna des 13. Jahrhunderts subsumiert, weil sie in ihrem Inneren einst eine Dreifaltigkeits-Darstellung barg. Oder afrikanische Masken, deren Geschlecht unbestimmbar ist. Heutzutage ist eben Geraune über „fluide, mehr- oder uneindeutige Konstruktionen der Person“ de rigueur: Soviel Zugeständnis an den Zeitgeist muss sein, das verlangt die LGBTIQ-Sittenpolizei.
Vorbild für das „Humboldt Forum“
Doch insgesamt glückt den Kuratoren ein großer Wurf. Aus der unübersehbaren Vielfalt im Fundus von Bode- und Ethnologischem Museum greifen sie treffsicher ein Spektrum erlesener Kostbarkeiten heraus und setzen diese kenntnisreich in Beziehung zueinander. Als überwältigende Pracht voller Bedeutung: Der oft beschworene Austausch und die Durchdringung verschiedener Kulturen, hier werden sie ganz unangestrengt deutlich und fassbar. Zugleich bietet diese fabelhafte Ausstellung ein Vorbild für das künftiges „Humboldt Forum“, dessen Konzept noch sehr im Ungefähren schwebt: So könnte es gehen.