An James Turrell scheiden sich die Geister. Ganze Räume füllt er mit nichts als farbigem Licht. Ja – und? Die einen erleben die Begegnung mit seinen immateriellen Werken als einzigartige, entgrenzende Kunsterfahrung. Manche sehen sogar spirituelle Qualitäten aufschimmern. Andere lässt das Farblichtkontinuum, das der US-Amerikaner mit ausgeklügeltem technischen Equipment entstehen lässt, schlicht und einfach kalt. Da hilft nur ein Selbstversuch.
Info
James Turrell
09.06.2018 - 28.10.2018
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden
Schneetreiben der Verunsicherung
Wer einmal eine „Ganzfeld“-Arbeit von Turrell betreten hat, wird den Aufenthalt im großen Nichts eines scheinbar grenzenlosen Lichtraums so schnell nicht vergessen. Egal, ob man das Bad im immensen Farbkontinuum staunend genießt, sich meditativ inspiriert fühlt – oder sich einfach nur langweilt, weil nichts zu sehen ist. Oder fast nichts. Verunsicherung kann sich einstellen wie in dichtem Schneetreiben.
Feature über die Ausstellung "The Wolfsburg Project" von James Turrell; © Kunstmuseum Wolfsburg
Astro-Erfahrungen im Weltall
Seit eine Besucherin in den USA buchstäblich ins Straucheln kam und sich anlehnen wollte, wo nur eine Wand aus Licht war, trennt Turrell den begehbaren „Viewing Space“ vom „Sensing Space“. Dessen greifbare Dimensionen löst er durch fluoreszierenden Anstrich und ausgeklügeltes Kunstlicht ins Unermessliche auf: für einen Moment Unendlichkeit.
Mit dem Konzept „Ganzfeld“ kam der junge Turrell schon als Student der Wahrnehmungspsychologie in Berührung. Wenn alle äußeren Reize aussetzen, beginnt unser Hirn selbst Phänomene zu produzieren. Bahnbrechend forschte dazu der deutsche Psychologe Wolfgang Metzger in den 1930er Jahren. In den USA intensivierte sich die Ganzfeld-Forschung, als die NASA in den 1950ern Astronauten auf die Erfahrungen im Weltraum vorbereiten wollte.
Der Himmel über Amerika
Turrell selbst war Teil eines Projekts, bei dem Wissenschaftler und Künstler mit schalldichten Räumen und grenzenlosen Sehfeldern experimentierten. Später übertrug er dies in den Kunstkontext. Der mittlerweile weißbärtige Künstler wird nicht müde zu betonen, dass es ihm vor allem um Wahrnehmungserfahrungen geht: „My work has no object, no image and no focus. (…) what are you looking at? You are looking at you looking.“
Turrell wuchs als Sohn einer glaubensstrengen Quäkerfamilie in Kalifornien auf. Schon mit 16 Jahren machte er seinen Pilotenschein und verdiente seinen Lebensunterhalt später durch Kurieraufträge mit seiner einmotorigen Helio-Courier-Maschine. Die grenzenlose Himmelsweite beim Überfliegen der amerikanischen Landschaft dürfte seine Vorliebe für das immaterielle Phänomen Licht stimuliert haben.
Seit 44 Jahren im Bau
Überall auf der Welt hat Turrell in den letzten Jahren „Sky Spaces“ realisiert, auf Bergen oder in Städten. Einige davon sind als handliche Architekturmodelle aus Bronze in der Ausstellung vertreten. Rundum geschlossen bis auf einen schmalen Eingang öffnen sie den Blick nach oben auf den Himmel. Dessen veränderliches Blau erscheint im scharf geschnittenen Fensterausschnitt wie eine abstrakte Farbmembran. Durch kalkuliert zugeschaltetes Kunstlicht sorgt Turrell dafür, dass die wahrgenommene Farbe dieses Himmelsausschnitts sich ändert. Selbst Himmelsblau ist relativ, so seine Erkenntnis.
Auf noch weit gewaltigere kosmische Dimensionen zielt sein legendäres Projekt „Roden Crater“. Was Fotografien, Modelle und Entwurfspläne in Baden-Baden vergegenwärtigen, hat bislang kaum ein Mensch wirklich betreten. Seit 1974 baut Turrell einen erloschenen Vulkankrater in der Wüste Arizonas in ein Himmelsobservatorium um – mit unterirdischen Kammern, Gängen und Beobachtungsposten. Das Vorhaben hat Millionen Dollar verschlungen und ist noch immer im Bau.
Tanz der Staubpartikel
In einer einzigen Raumecke findet dagegen eines der frühen „Projection Pieces“ von Turrell Platz. „Raethro Green“ schwebt als leuchtendes Dreiecksvolumen vor der Wand. Die plastische Skulptur aus Licht wirkt verblüffend real. Dass man mit einem projizierten Lichtstrahl geometrische Körper entstehen lassen kann, entdeckte Turrell 1966. Auf diese Idee brachten ihn kunsthistorische Diavorträge während seines Studiums.
Die tanzenden Staubpartikel im Strahl des Leitz-Projektors faszinierten den jungen Turrell mehr als die an die Wand projizierten Meisterwerke der Malerei. Im leer stehenden Mendota Hotel in Los Angeles, das er als erstes Atelier mietete, begann er daraufhin systematisch mit Projektionen zu experimentieren. Schon damals träumte er von Glühbirnen, die stufenlos ihre Farbe wechseln könnten.
Licht ohne Beleuchtung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Doppel-Ausstellung "Otto Piene – More Sky" – große Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie und der Deutsche Bank KunstHalle, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "ZERO – Die internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre" - als Begründerin von Op-Art + kinetischer Kunst im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Attila Csörgö: Der Archimedische Punkt” - über den ungarischen Lichtobjekt-Tüftler in der Kunsthalle, Hamburg
Aber weniger ist oft mehr. Die Arbeiten der frühen Jahre und auch die minimalistischen Druckgrafiken Turrells überzeugen gerade, weil sie nicht so viel Zinnober brauchen. Turrells Arbeiten beleuchten nichts; sie wollen das Licht selbst erfahrbar machen. Ihre Lichtquelle bleibt dabei meist unsichtbar.
Direkte Sinneserfahrung
Während Dan Flavin und andere Künstler im New York der 1960er Jahre mit Neonröhren als Signum der Großstadt arbeiteten, favorisierte die kalifornische Light&Space-Bewegung die pure Präsenz des Lichts. Deren andere Vertreter, wie Douglas Wheeler und Robert Irwin, sind heute fast vergessen. Turrell hat es zum internationalen Star der Kunstwelt gebracht.
Vielleicht liegt das auch daran, dass seine Arbeiten so schrankenlos zugänglich sind. Sie erfordern kein kunsthistorisches Vorwissen. Sie brauchen keinen theoretischen Überbau. Sie wirken direkt auf unsere Sinne. Fotografisch abbilden lassen sich Turrells Installationen nur unzureichend. Schon allein darin liegt eine Qualität – in einer Zeit, die uns die vollkommene technische Reproduzierbarkeit aller Bilder und Erfahrungen verspricht.