Potsdam

Gerhard Richter – Abstraktion

Gerhard Richter: Rot-Blau-Gelb (Detail), 1972, Öl auf Leinwand, 98 x 92 cm, Privatsammlung, Schweiz. © Gerhard Richter 2018. Fotoquelle: Museum Barberini, Potsdam
Ob Grau in Grau oder 192 Farben: Eine kluge Ausstellung im Museum Barberini in Potsdam geht der Entwicklung von Gerhard Richters abstrakten Gemälden auf den Grund – von der Farbverweigerung früher Jahre bis zu jüngsten leuchtenden Großformaten.

Er ist der Mann für alle Farben: Als teuerster Künstler Deutschlands genießt der 1932 geborene Gerhard Richter Weltruhm. Jetzt holt ihn das Museum Barberini mit über 90 Werken nach Potsdam. Gezeigt werden nur abstrakte Werke Richters. Berühmt wurde der Künstler zwar durch seine frühen verschwommenen Fotoabmalungen, etwa die legendäre RAF-Serie oder die brennende Kerze. Aber mittlerweile malt er fast nur noch abstrakt. Für Richter selbst bilden Abstrakt und Gegenständlich ohnehin keine Gegensätze.

 

Info

 

Gerhard Richter - Abstraktion 

 

30.06.2018 - 21.10.2018

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstr. 5–6, Potsdam

 

Weitere Informationen

 

Die klug gehängte Schau geht Richters abstrakten Strategien in lockerer Chronologie auf den Grund – und lässt nebenbei auch die Krisenphasen und euphorischen Momente seines Schaffens ahnen. Gänzlich uneitel stellt der gefeierte Maler sich zur Eröffnung den Fragen der Journalisten. Was er beim Malen denke, will eine Interviewerin wissen. Gerhard Richter meint achselzuckend: „Nichts. Ob es gut aussieht oder nicht“. Das Malen selbst sei sein Denkvorgang.

 

Abstrakter Impressionist

 

Er macht einfach immer weiter. Seine neuesten Arbeiten sind so flirrend farbig, als habe ein Impressionist sommerlich blühende Landschaften hingeworfen. Aber eben gänzlich abstrakt. Dietmar Elger, langjähriger Mitarbeiter und Biograph Richters, wählte die Werke aus. Dem Künstler gefällt es: „Es sind schöne Überraschungen dabei. Bilder, die ich gar nicht mehr kannte.“

Feature über die Ausstellung: © Kunstleben Berlin


 

Der Vorhang bleibt zu

 

Im ersten Raum steht man vor Grau. Grau in Grau in Grau. Von einem Nullpunkt, aus einer künstlerischen Sackgasse heraus entwickelte sich Gerhard Richters fulminant vielfältige Peinture. Das früheste Bild in der Ausstellung pinselte der damals 32-Jährige 1964. Zu sehen ist ein geschlossener grauer Vorhang. Richter reduziert das Motiv zu einem an- und abschwellenden Rhythmus von Grauwerten, die erst unser Auge zu einem plastischen Gegenstand ergänzt.

 

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Malerei totgesagt und für obsolet erklärt wurde, wollte Richter davon nichts wissen. In der DDR aufgewachsen, trampte er zur documenta nach Kassel und stand erstmals vor Jackson Pollocks gewaltigen drip paintings: „erschrocken und tief beeindruckt“. Abstrakt oder gegenständlich malen, die Entscheidung stand im Raum. 

 

Inspiration aus dem Baumarkt

 

Das „Schattenbild“ von 1968 bleibt ambivalent. Das dargestellte Gitterfenster könnte ebenso gut eine rein geometrische Komposition im Stil des damals aktuellen Minimalismus sein. „Weihnachtsmarkt“ aus dem selben Jahr löst die Malmaterie in wild-expressive Pinselschwünge auf und das gegenständliche Versprechen des Titels nicht ein. Später, in den 70er-Jahren, reduzierte Richter seine Palette radikal auf einen einzigen opaken Grauton. Der wird kreuz und quer durchgefurcht und umgegraben wie ein Stück Erdboden. Die Farbe verweigert sich, ist abwesend.

 

Umso strahlender kommt sie im nächsten Raum zurück. „6 Farben“, „192 Farben“, „1024 Farben“ leuchten auf Richters Farbtafelbildern, per Zufall durchgemixt. „Es war auch ein bisschen Keckheit dabei“, meint der Künstler. Er malte nämlich damals einfach Farbprobenkarten aus dem Baumarkt ab. Das war ein polemischer Seitenhieb auf die starren Farbtheorien der Konstruktivisten, die immer nur rot, gelb, blau gelten lassen wollten. „Jede Farbe passt zu jeder“, ist Richter überzeugt. Auf seinen Bildern stimmt das tatsächlich.

 

Getrübte Grundfarben

 

Seit vielen Jahren traktiert er die Farbmaterie am liebsten großzügig mit der Rakel, einer Art überdimensioniertem Spachtel. Damit zieht er pastose Farbschichten über die Leinwand, kratzt ab, schmiert erneut schrundige Lagen darüber. Den Zufall wie ein Dompteur zuzulassen und zu bändigen, das gelingt ihm in den Rakelbildern famos. In anderen Werken lässt Richter mit rein abstrakten Mitteln perspektivische Räumlichkeiten entstehen.

 

In den „Vermalungen“ wird der Farbauftrag selbst zum Thema. In „Rot–Blau–Gelb“ von 1972 vermalte Richter die Grundfarben in sanft gewundenen Pinselschwüngen so gründlich auf der Leinwand, dass sie sich in inniger Vermischung gegenseitig eintrüben und ins Braun-Graue abdriften. Die leinwandfüllenden Farbschlieren in „Ausschnitt (Makart)“ dagegen sehen zwar abstrakt aus, sind aber abgemalte Fotoausschnitte: Sie zeigen Richters verschmierte Palette.

 

Assoziatives Sehen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gerhard Richter: Atlas Mikromega" - im Lenbachhaus, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Panorama" - große Retrospektive von Gerhard Richter zum 80. Geburtstag in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung des Dokumentarfilms Gerhard Richter Painting von Corinna Belz

 

Farbe ist ein Hexenkessel, ein Füllhorn, eine Wundertüte. Wann weiß der Künstler, dass ein Bild fertig ist? Auch auf diese Frage findet er keine Antwort. Er merkt es eben. „Es muss ein Bild ergeben, das in sich stimmt. Wenn Sie draußen aus dem Fenster schauen, da stimmt auch immer alles.“ In vielen seiner gegenstandlosen Arbeiten meint man, landschaftliche Anklänge zu erkennen. Grün ballt sich wie Buschwerk, oben dehnt sich blasses Blau.

 

Schon Leonardo empfahl Künstlern, in abblätternden Mauern Landschaftskompositionen zu erkennen. Zu solch assoziativem Sehen laden gerade auch die jüngsten farbstrahlenden Großformate von 2017 ein. Für die Serie der  „Stripes“ erstellte Richter unzählige hauchfeine Streifen im Digitaldruck-Großformat. Für die Hinterglasbilder ließ er dünnflüssige Farben frei ineinander laufen und versiegelte sie hinter Glas.

 

Fragile Installation

 

Wie sehr dieses durchsichtige, spiegelnde Material den Künstler fasziniert, zeigt seine große Installation „7 Scheiben“. Sie nimmt den größten Saal der Ausstellung ein. Nur hier öffnen sich Ausblicke nach draußen: Auf der einen Seite steht Schinkels Nicolaikirche, auf der anderen Seite grünt die DDR-Freundschaftsinsel. Dazwischen spannt sich das historisierend neu errichtete Museum Barberini – und in ihm Richters fein ausbalanciertes Glasscheibengefüge, fragil wie ein Kartenhaus. Richter muss nicht auftrumpfen. Er macht einfach weiter.