Er ist der Mann für alle Farben: Als teuerster Künstler Deutschlands genießt der 1932 geborene Gerhard Richter Weltruhm. Jetzt holt ihn das Museum Barberini mit über 90 Werken nach Potsdam. Gezeigt werden nur abstrakte Werke Richters. Berühmt wurde der Künstler zwar durch seine frühen verschwommenen Fotoabmalungen, etwa die legendäre RAF-Serie oder die brennende Kerze. Aber mittlerweile malt er fast nur noch abstrakt. Für Richter selbst bilden Abstrakt und Gegenständlich ohnehin keine Gegensätze.
Info
Gerhard Richter - Abstraktion
30.06.2018 - 21.10.2018
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr
im Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstr. 5–6, Potsdam
Abstrakter Impressionist
Er macht einfach immer weiter. Seine neuesten Arbeiten sind so flirrend farbig, als habe ein Impressionist sommerlich blühende Landschaften hingeworfen. Aber eben gänzlich abstrakt. Dietmar Elger, langjähriger Mitarbeiter und Biograph Richters, wählte die Werke aus. Dem Künstler gefällt es: „Es sind schöne Überraschungen dabei. Bilder, die ich gar nicht mehr kannte.“
Feature über die Ausstellung: © Kunstleben Berlin
Der Vorhang bleibt zu
Im ersten Raum steht man vor Grau. Grau in Grau in Grau. Von einem Nullpunkt, aus einer künstlerischen Sackgasse heraus entwickelte sich Gerhard Richters fulminant vielfältige Peinture. Das früheste Bild in der Ausstellung pinselte der damals 32-Jährige 1964. Zu sehen ist ein geschlossener grauer Vorhang. Richter reduziert das Motiv zu einem an- und abschwellenden Rhythmus von Grauwerten, die erst unser Auge zu einem plastischen Gegenstand ergänzt.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Malerei totgesagt und für obsolet erklärt wurde, wollte Richter davon nichts wissen. In der DDR aufgewachsen, trampte er zur documenta nach Kassel und stand erstmals vor Jackson Pollocks gewaltigen drip paintings: „erschrocken und tief beeindruckt“. Abstrakt oder gegenständlich malen, die Entscheidung stand im Raum.
Inspiration aus dem Baumarkt
Das „Schattenbild“ von 1968 bleibt ambivalent. Das dargestellte Gitterfenster könnte ebenso gut eine rein geometrische Komposition im Stil des damals aktuellen Minimalismus sein. „Weihnachtsmarkt“ aus dem selben Jahr löst die Malmaterie in wild-expressive Pinselschwünge auf und das gegenständliche Versprechen des Titels nicht ein. Später, in den 70er-Jahren, reduzierte Richter seine Palette radikal auf einen einzigen opaken Grauton. Der wird kreuz und quer durchgefurcht und umgegraben wie ein Stück Erdboden. Die Farbe verweigert sich, ist abwesend.
Umso strahlender kommt sie im nächsten Raum zurück. „6 Farben“, „192 Farben“, „1024 Farben“ leuchten auf Richters Farbtafelbildern, per Zufall durchgemixt. „Es war auch ein bisschen Keckheit dabei“, meint der Künstler. Er malte nämlich damals einfach Farbprobenkarten aus dem Baumarkt ab. Das war ein polemischer Seitenhieb auf die starren Farbtheorien der Konstruktivisten, die immer nur rot, gelb, blau gelten lassen wollten. „Jede Farbe passt zu jeder“, ist Richter überzeugt. Auf seinen Bildern stimmt das tatsächlich.
Getrübte Grundfarben
Seit vielen Jahren traktiert er die Farbmaterie am liebsten großzügig mit der Rakel, einer Art überdimensioniertem Spachtel. Damit zieht er pastose Farbschichten über die Leinwand, kratzt ab, schmiert erneut schrundige Lagen darüber. Den Zufall wie ein Dompteur zuzulassen und zu bändigen, das gelingt ihm in den Rakelbildern famos. In anderen Werken lässt Richter mit rein abstrakten Mitteln perspektivische Räumlichkeiten entstehen.
In den „Vermalungen“ wird der Farbauftrag selbst zum Thema. In „Rot–Blau–Gelb“ von 1972 vermalte Richter die Grundfarben in sanft gewundenen Pinselschwüngen so gründlich auf der Leinwand, dass sie sich in inniger Vermischung gegenseitig eintrüben und ins Braun-Graue abdriften. Die leinwandfüllenden Farbschlieren in „Ausschnitt (Makart)“ dagegen sehen zwar abstrakt aus, sind aber abgemalte Fotoausschnitte: Sie zeigen Richters verschmierte Palette.
Assoziatives Sehen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Gerhard Richter: Atlas Mikromega" - im Lenbachhaus, München
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Panorama" - große Retrospektive von Gerhard Richter zum 80. Geburtstag in der Neuen Nationalgalerie, Berlin
und hier eine Besprechung des Dokumentarfilms “Gerhard Richter Painting” von Corinna Belz
Schon Leonardo empfahl Künstlern, in abblätternden Mauern Landschaftskompositionen zu erkennen. Zu solch assoziativem Sehen laden gerade auch die jüngsten farbstrahlenden Großformate von 2017 ein. Für die Serie der „Stripes“ erstellte Richter unzählige hauchfeine Streifen im Digitaldruck-Großformat. Für die Hinterglasbilder ließ er dünnflüssige Farben frei ineinander laufen und versiegelte sie hinter Glas.
Fragile Installation
Wie sehr dieses durchsichtige, spiegelnde Material den Künstler fasziniert, zeigt seine große Installation „7 Scheiben“. Sie nimmt den größten Saal der Ausstellung ein. Nur hier öffnen sich Ausblicke nach draußen: Auf der einen Seite steht Schinkels Nicolaikirche, auf der anderen Seite grünt die DDR-Freundschaftsinsel. Dazwischen spannt sich das historisierend neu errichtete Museum Barberini – und in ihm Richters fein ausbalanciertes Glasscheibengefüge, fragil wie ein Kartenhaus. Richter muss nicht auftrumpfen. Er macht einfach weiter.