Berlin

Zoom auf van Eyck – Meisterwerke im Detail

Jan van Eyck: Die Madonna in der Kirche, um 1437/40, Detail, Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt
Miniaturen-Meister überlebensgroß: Anfang des 14. Jahrhunderts katapultierte Jan van Eyck die Ölmalerei auf ungeahntes Niveau – mit Kleinformaten. Wie raffiniert er Details darstellte, zeigt nun eine Multimedia-Installation der Gemäldegalerie; interaktive Digitaltechnik erlaubt, in den Bilderkosmos einzutauchen.

Kann man der Meisterschaft eines Malers aus dem 15. Jahrhundert mithilfe moderner Computertechnologie beikommen? Die Berliner Gemäldegalerie Berlin, die sich sonst bei medialer Vermittlung sehr zurückhält und eher auf klassisch konservative Ausstellungs-Präsentationen setzt, wagt diesmal ein Experiment. High-Tech des Spätmittelalters trifft auf High-Tech des Digitalzeitalters.

 

Info

 

Zoom auf van Eyck –
Meisterwerke im Detail

 

20.10.2023 - 03.03.2024

 

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

in der Gemäldegalerie im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Jan van Eyck (um 1390-1441) hat es verdient: Mit bloßem Auge lässt sich gar nicht recht wahrnehmen und würdigen, was seine Kunst so einzigartig macht. Was diesem flämischen Maler gelang, ist pure Magie. Bis heute bleibt unbegreiflich und unübertroffen, wie es van Eyck vermochte, selbst feinste Details der Realität mit wenigen, feinen Pinselhaaren und in leuchtenden Farben festzuhalten.

 

Schlechte Laune in DIN-A4

 

Und das alles auf winzigen Formaten! Selbst wer mit den berühmten Werken des Meisters vertraut ist, staunt vor den Originalen immer wieder aufs Neue, wie klein diese Holztäfelchen sind. Weniger als eine DIN-A4-Fläche misst etwa das faszinierende Bildnis des hochadeligen Baudouin de Lannoy. Hat dieser Mann wirklich so schlechte Laune?

Impressionen der Ausstellung


Nasen-Narbe als Individualitätsmerkmal

 

Vielleicht war der Schnösel in Silberbrokat-Robe und Pelz nur darauf bedacht, möglichst ernst und würdevoll zu erscheinen. Seine zusammengepressten Lippen und Stirnfalten lassen sich jetzt so genau wie noch nie buchstäblich unter die Lupe nehmen: Eine Sehhilfe hängt griffbereit unter jedem der Gemälde in der abgedunkelten Wandelhalle. Punktscheinwerfer tauchen die kostbaren Werke in Lichtkegel und lassen manche Überraschung hervortreten.

 

Etwa eine neu entdeckte Narbe an der Nasenwurzel des Aristokraten: Erst die jüngste Restaurierung hat sie unter vergilbten Firnisschichten, die sorgsam entfernt wurden, ans Licht kommen lassen. Sie ist kein Makel, sondern ein Individualitätsmerkmal. Tatsächlich wirkt der Dargestellte nun wie verjüngt, sein Teint frischer. Die Ausstellung dokumentiert auch ausführlich auf Text- und Bild-Tafeln solche diffizilen Säuberungs- und Sicherungsarbeiten. Wobei jeder Eingriff reversibel sein soll, betont Restauratorin Sandra Stelzig.

 

Kein Erfinder der Ölmalerei

 

Zu Jan van Eycks Lebenszeit, im Spätmittelalter, entdeckten in den Niederlanden Künstler und ihre Kunden erstmals, wie faszinierend es sein kann, die äußere Wirklichkeit in Bilder zu bannen. Dass der italienische Pionier der Kunstgeschichte Giorgio Vasari den von ihm geschätzten van Eyck posthum zum Erfinder der Ölmalerei kürte, wird bis heute mit ihm assoziiert, stimmt aber nicht.

 

Wahr ist: Jan van Eyck war einer der ersten Maler, der die schon vorher bekannte Technik, fein gemahlene Farbpigmente mit Pflanzenöl anzurühren, in größerem Umfang anwandte. Und er perfektionierte sie auf zuvor unbekannte Weise. Deshalb schimmern seine Werke, die er in vielen hauchfeinen Mal-Schichten ausführte, so farbintensiv.

 

Nicht an der Wand, sondern im Kasten

 

Auch die Porträtkunst als Genre der Malerei war damals noch jung. Zahlungskräftige Auftraggeber hängte sich die teuren Werke aber keineswegs als Zimmerschmuck an die Wand, sondern verwahrten sie geschützt in Kästchen, um sie gelegentlich hervorzuholen und als Kostbarkeit zu bestaunen. Auch das zierliche Bild „Madonna in der Kirche“ im Besitz der Gemäldegalerie war als privates Andachtsbild für intime Zwiesprache mit ihr aus allernächster Nähe gedacht.

 

Die überirdische Erscheinung der Gottesmutter lässt van Eyck glaubhaft und real wirken, indem er sie in eine höchst realistisch wirkende, gotische Architektur mit ausgefuchster Lichtregie platziert. Wie die Sonnenstrahlen durch die farbigen Glasfenster auf den Kirchenboden fallen, hatte nie zuvor ein Maler so präzise festgehalten.

 

Big Data für feinen Bilderstrom

 

Dieses und andere Meisterwerke sind nun, wandfüllend vergrößert, auch als computergesteuerte Mehrkanal-Videoinstallation zu erleben. Für die eindrucksvolle Projektion, die zuvor in Brüssel gezeigt wurde, hat man alle 20 weltweit erhaltenen Werke Jan van Eycks mit hohem Aufwand neu und systematisch abgelichtet.

 

Dafür klapperte das Forscherteam sämtliche Museen ab, in denen sich seine Gemälde befinden, ob in Paris, London oder New York; zudem wurden Infrarot- und Röntgenbilder in die Präsentation mit eingebunden. Big Data! Besucher sollten sich Zeit nehmen, in diesen fein komponierten Strom der Bilder und Zoom-Ausschnitte einzutauchen. Es ist ein Ausflug in die Welt eines Malers, der ungeheuer viel wahrnahm – an der Schwelle zur Neuzeit.

 

Fünf Meter breiter Genter Altar

 

Natürlich ist im Bilderreigen auch das legendäre Meisterwerk „Genter Altar“ dabei. Ihn schuf Jan van Eyck mit seinem älteren Bruder Hubert, wobei dessen Anteil bis heute völlig unklar und unter Experten sehr umstritten ist. Der gewaltige Flügelaltar, der seit 2012 schrittweise restauriert wird, bildete den Ausgangspunkt für das ganze Forschungs- und Dokumentationsprojekt. Anders als die meisten Werke van Eycks besticht das Altar durch enorme Größe; geöffnet ist er mehr als fünf Meter breit.

 

1420 bestellte der reiche Genter Patrizier Joos Vijd mit seiner Frau den Altar für eine Seitenkapelle in der Kirche Sint-Jans, heute St. Bavo. Mittlerweile sind die fast vollzählig erhaltenen Tafeln des Riesenwerks dort wieder vereint. Einige befanden sich 1821 knapp ein Jahrhundert lang in Berlin, wurden aber nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags an Belgien zurückgegeben.

 

„Ein über köstlich, verständig gemähl“

 

Auch das deutsche Renaissance-Genie Albrecht Dürer staunte über den Genter Altar, als er ihn 1521 auf seiner Reise durch die Niederlande sah. „Das ist ein über köstlich, hoch verständig gemähl“, soll er gesagt haben. Später sank das Ansehen von derlei spätmittelalterlicher Malerei. Der kapitale Wandelaltar wurde im frühen 19. Jahrhundert zersägt und in Teilen auf dem Kunstmarkt versilbert.

 

Hauptthema der Bilderfolge ist die Anbetung des mystischen Lamms als Christus-Symbol. Rund um diese Szene aus der Offenbarung des Johannes versammeln sich zahlreiche individuell dargestellte Personen: vom Stifterpaar über vielköpfige Pilgerscharen und Heilige Jungfrauen bis zu Gottvater höchstselbst. Alles spielt sich vor naturgetreuen Landschaftskulissen ab. War dieser Maler auch Botaniker? Selbst Gänseblümchen auf der Wiese oder blühende Schwertlilien hielt er mit enormer Präzision fest.

 

Interaktive Detail-Auswahl

 

Zoom auf solche Details: Mehr als 300 von ihnen, alle aus van Eycks Gemälden, lassen sich nun in der Schau auf zwei mannshohen Leinwänden in extremer Vergrößerung betrachten. Ob Wimpern ums Auge eines Antlitzes oder am Himmel fliegende Vögel, Bauarbeiten an einem gotischen Turm oder das Glitzern der Juwelen in der Madonnen-Krone: All das ist im Gemälde ja nur millimetergroß.

 

Dabei darf jeder Zuschauer interaktiv mitbestimmen, welches Detail als nächstes groß rauskommt. Ganz langsam und ruhig geschieht das, so dass kein multimedialer Überwältigungs-Effekt entsteht. Die eigens für diesen Zweck komponierte Cellomusik-Beschallung ist trotzdem schon zu viel des Guten. Van Eycks Meisterschaft braucht keine derartige akustische Untermalung.

 

Eintauchen in van Eycks Kosmos

 

Hintergrund

 

Website des belgischen Van-Eyck-Forschungsprojekts mit hochauflösenden Aufnahmen der Gemälde

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hugo van der Goes – Zwischen Schmerz und Seligkeit" – erste Retrospektive des altniederländischen Künstlers in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Spätgotik – Aufbruch in die Neuzeit" – umfassende Epochenschau in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dürer. Kunst - Künstler - Kontext" – große Retrospektive des Renaissance-Genies im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Alte Meister 1300 - 1800" mit der so genannten "Lucca-Madonna" von Jan van Eyck im Städel Museum, Frankfurt am Main.

 

Der Clou der Inszenierung ist die durchdachte Dramaturgie: Die Motive, die nach Themen-Schwerpunkten geordnet sind, verbinden sich kreuz und quer in van Eycks Schaffen. Das spricht ein unvoreingenommenes Sehen an und erfordert kein kunsthistorisches Vorwissen. Hier geht es ums Wahrnehmen, Staunen und mediale Eintauchen in den visuellen Kosmos, den van Eyck geschaffen hat.

 

Um sie anschließend mit den Originalen vergleichen zu können: Neun Gemälde, darunter drei unzweifelhaft eigenhändige Arbeiten, aus dem Besitz der Gemäldegalerie füllen eine Ecke des weitläufigen Ausstellungssaals. Bleibt die Frage: Wie hat van Eyck das eigentlich gemacht? Wie konnte er dermaßen fein und wirklichkeitsgetreu malen?

 

„Verliebter Alter“ als Innovation

 

Vielleicht klemmte er sich eine Brille, die es damals schon gab, vor die Augen, vermutet Kurator Stephan Kemperdick: Auf jeden Fall habe der Künstler schon recht jung seine Meisterschaft erlangt, vielleicht mit etwa 30 Jahren – sonst hätte er gar nicht über die nötige Sehschärfe verfügt. Den Experten für altniederländische Malerei verblüfft vor allem die Lockerheit des Pinsels. Das Blow Up der digitalen Projektion zeigt, wie lebendig die Farbstriche aufgetragen sind; sie erinnerten geradezu an die lässig souveräne Malweise des Impressionisten Edouard Manet.

 

Van Eycks hatte viele Nachfolger und Nachahmer, doch sie erreichten nicht seine Virtuosität. Nur als Kopie von 1520 erhalten ist etwa ein „Mann mit den Nelken“. Etwas schüchtern schaut der Betagte aus faltenumrandeten Augen. Seine Hand mit kleinen Blümchen schiebt sich über den Bildrahmen hinaus. Er flirtet! Die Nelke ist nämlich ein Liebessymbol. Und dieser Greis macht sich ein bisschen lächerlich. Er verkörpert die später in der niederländischen Kunst sehr beliebte Figur des „Verliebten Alten“. Auch mit solchen hintersinnigen Alltagsszenen wurde Jan van Eyck also zum Neuerer in der Kunstgeschichte.