
Keine Schläppchen, Tutus oder Pirouetten: Die Tanz-Fotos von Franziska Strauss sehen aus, als seien sie tief im Kohlebergwerk entstanden. Vor nachtschwarzem Hintergrund schälen sich sehnige Leiber in allen möglichen Haltungen und Windungen heraus. Übersät mit dunklen Schatten, Flecken und Malen, als würden sie geschunden und malträtiert: Tanz als körperliche Schwerstarbeit.
Info
I killed my dinner with karate: Franziska Strauss - Fotografie
04.06.2013 - 30.08.2013
täglich außer mittwochs 11 bis 17 Uhr, dienstags bis 19 uhr
in der Neuen Sächsischen Galerie, Moritzstraße 20, Chemnitz
Katalog 15 €
23.03.2014 - 27.04.2014
im Böblinger Kunstverein, Schlossberg 11, Böblingen
Erotik unkontrollierter Verschmelzung
Auf diesen Bildern herrscht enorme physische Präsenz; eine unmittelbare und umwerfende Sinnlichkeit, die überhaupt nichts Erotisches hat. Oder ist das wahre Erotik: Muskeln und Hautpartien, die ineinander zu fließen, miteinander zu verschmelzen scheinen – drüber, drunter und drauf, ohne dass die übliche Selbstkontrolle durch Abgrenzung auch nur ansatzweise gewahrt bleibt?
Impressionen der Ausstellung
Allegorien elementarer Empfindungen
Die Fotografin wählt exzentrische Perspektiven, schneidet ihre Motive hart an und isoliert einzelne Körperteile, als wolle sie die Tänzer auf Repräsentanten der reinen Bewegung reduzieren. Doch ihre Modelle, subtil beleuchtet und tiefenscharf abgelichtet, strahlen zugleich zeitlose Würde aus. Ihre Porträts wirken wie Allegorien elementarer Empfindungen: von Verwirrung, Qual oder Hilflosigkeit.
Manchmal nimmt Strauss unter freiem Himmel auf. Da lässt sich kaum von freier Natur sprechen: Diffuses Licht verwischt den Hintergrund und bleicht alle Farben aus. Hier agieren die Tänzer genauso isoliert und ungeschützt wie im kohleschwarzen Bühnenraum, der jede Orientierung verweigert.
Hingabe zu quasi-religiösen Riten
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Bericht über die Ausstellung "Die nackte Wahrheit und anderes" - Aktfotografie um 1900 im Museum für Fotografie, Berlin
und hier eine Besprechung des Films "Die Genialität des Augenblicks" - Doku von Fred R. Willitzkat über Günter Rössler, den wichtigsten Akt-Fotografen der DDR
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Move – Kunst und Tanz seit den 60ern" in München + Düsseldorf.
Oder Binnenkonturen zerschneiden Leiber, als handele es sich um Röntgenbilder: schlaglichtartig herausgelöst, in delikat abgestuften Farbnuancen von Gelb, Rot und Sepia wie auf Gemälden Alter Meister. Als seien die Akteure moderne Nachfolger der Propheten- und Heiligen-Gestalten, die Bilder von Caravaggio, Georges de La Tour oder Rembrandt bevölkern: Profane Nachfahren, die ihre komplizierten und schwer verständlichen Riten mit derselben Hingabe vollziehen wie ihre religiösen Vorgänger – aus Liebe zur Transzendenz.
Vielleicht ist sie heutzutage tatsächlich in der Selbstaufopferung von Off-Tanzcompagnien zu entdecken. Man muss nur genau genug hinsehen, wie es Franziska Strauss macht.