Düsseldorf

Johan Thorn Prikker – Vom Jugendstil zur Abstraktion

Die Braut / de bruid (Detail), 1892/93; Foto: © Sammlung Kröller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande
Ein Anarchist, der Kirchen leuchten ließ: Johan Thorn Prikker hat nach 1900 das halbe Rheinland ausgeschmückt. Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf widmet dem vielseitigen Niederländer die erste Retrospektive seit 30 Jahren.

Deren beste Beispiele hat das Museum im eigenen Haus. Das Gebäude-Ensemble um den Ehrenhof entstand 1926 für die Mammut-Ausstellung «Gesundheit, Soziale Fürsorge und Leibesübungen». Prikker stattete ein Treppenhaus mit riesigen Glasfenstern aus. Obwohl rein abstrakt gehalten, sind die Anklänge an Kirchenfenster offensichtlich – in einer säkularen Kathedrale des Fortschritts.

 

Außerdem füllte er zwei Eckpavillons mit abstrakten Mosaiken. Während «Der Tag» eine regelmäßig aufsteigende Struktur erkennen lässt, breiten sich in der «Nacht» polyzentrische Winkel und Zacken explosionsartig über die Fläche aus. Beide Mosaiken überstanden den Krieg unversehrt; die Glasfenster wurden 1985 rekonstruiert.

 

Prikker-Reiseführer an 19 Orte

 

Lange schenkte man ihnen wenig Beachtung. Sie waren einfach da; ihre Präsenz machte sie gleichsam unsichtbar. Gemäß einem Diktum von Robert Musil: Wenn ein großer Mann in Vergessenheit geraten solle, müsse man ihm nur an prominenter Stelle ein mächtiges Denkmal errichten. Umso eindrucksvoller erinnert diese Schau daran, was das Rheinland Prikker verdankt.

 

Insbesondere mit einem Büchlein für jeden Besucher: Es listet 19 Orte zwischen Köln und Amsterdam auf, an denen Prikker Gebäuden sein Gepräge verlieh. Wer nicht tagelang seinen Spuren folgen kann oder will, erhält bereits in der Ausstellung einen umfassenden Überblick.

 

Das Industrie-Zeitalter geistig überhöhen

 

Die nicht transportablen Werke werden in Kurzfilmen gezeigt – integriert in die 130 Exponate von teils beträchtlichen Ausmaßen. Sie zeigen die enorme Bandbreite von Prikkers Schaffen: Von Zeichnungen und Tafelbildern der 1890er Jahre über seine Versuche mit Batik und Kunstgewerbe bis zu monumentalen Wandmalereien des etablierten Staatskünstlers. Ein kapellenartig abgedunkelter Raum bringt seine Kirchenfenster prachtvoll zur Geltung.

 

Getreu dem Untertitel der Ausstellung wird Prikkers eigenwilliger Weg in die Moderne deutlich: Mit sozialrevolutionär inspirierter Ornamentik wollte er Schönheit unters Volk bringen. Seine religiöse Kunst, die er radikal auf Symbole und das Leiden Christi reduzierte, sollte das Christentum spirituell läutern. Und mit abstrakten Kompositionen, die sich aus beiden Quellen speisten, wollte er Zweckbauten des Industriezeitalters geistig überhöhen.

 

Prägend für Kirchen-Wiederaufbau nach 1945

 

Seine letzten Entwürfe beschränken sich auf rechtwinklige Linien und Flächen in kräftigen Farben. Das gemahnt an den geometrischen Dogmatismus von Mondrian und De Stijl – in deren Nähe wurde ihr Landsmann gesehen und ausgestellt. Nur bewegte sich Prikker nicht auf dem kanonischen Pfad von Kubismus und Expressionismus zur Abstraktion, sondern über Symbolismus und Jugendstil. Zwei Strömungen, die heute im Ruch stehen, das Fin-de-Siècle gefällig dekoriert zu haben.

 

Zu Unrecht, wie die Schau prägnant darstellt. Zumal Prikkers angewandte Kunst die Zwischenkriegszeit viel stärker prägte als die seiner kanonisierten Kollegen. Sie schlugen kunsttheoretische Schlachten, er staffierte die Lebenswelt aus. Mit weit reichenden Folgen für nach 1945 zerstörte Gotteshäuser: Viele Kirchenfenster aus der Zeit des Wiederaufbaus verdanken ihre Gestalt seinen Formfindungen.