Patina-Kruste durch Trank-Opfer
Dagegen ist das Geschlecht der meisten Tellem-Figuren unbestimmt: Oft sind sie von einer dicken, rissigen Patina-Kruste überzogen. Diese entstand wahrscheinlich bei der so genannten Libation: Die Figuren wurden mit Trank-Opfern übergossen, um sie zu weihen. Manche heben die Arme empor – eine Geste der Anrufung von Ahnen und/oder der Bitte um Regen, damit Feldfrüchte wie Hirse gedeihen. Das Klima in Mali ist sehr trocken: Niederschläge gibt es nur im Juli und August.
Während die Skulpturen im Djennenké- und Tellem-Stil zu alt und schematisch sind, um sich näher spezifizieren zu lassen, verhält sich das bei neueren Arbeiten anders. Viele Dogon-Gruppen waren lange voneinander isoliert, so dass sich lokale Dialekte und Stile herausbildeten; sie können einzelnen Dörfern zugeordnet werden.
Statuen mit zweigeteilten Gesichter
Besonders markant sind Statuen im Bombou-Toro-Stil, der um das Dorf Sanga herum aufkam: Seine Körper-Auffassung ist extrem stilisiert. Durch Zipfel-Mützen, die in pfeilförmige Nasen übergehen, Haar-Zöpfe oder Lippen-Pflöcke wirken die Gesichter nahezu zweigeteilt. Häufig kommen zweigeschlechtliche Wesen oder Paare vor, bei denen der Mann einen Arm um die Schultern der Frau legt.
Impressionen der Dogon im Bandiagara-Land: Film von Lutz Gregor
Brüste auf Speicher-Türen
Die Gestaltungs-Freude der Dogon erstreckt sich auch auf Gegenstände des täglichen Bedarfs. Berühmt sind die reich verzierten Türen ihrer Getreide-Speicher: Sie schmücken lange Reihen abstrahierter Vorfahren und weiblicher Brüste – deren nährende Funktion deutet an, was hinter der Tür aufbewahrt wird.
Oft werden sie mit aufwändig geschnitzten Schlössern aus Holz verriegelt, die selbst kleine Kunstwerke sind. Wenn sie nicht durch schäbiges Wellblech ersetzt wurden: Die schönsten Türen haben längst westliche Händler und Sammler erworben. Ebenso wie Hocker, deren durch Karyatiden verbundene Stand- und Sitzflächen Himmel und Erde symbolisieren, filigranen Schmuck und vieles andere mehr.
75.000 Besucher jährlich
Dieser bereits Jahrzehnte dauernde Ausverkauf wird in der Ausstellung angesprochen. Für die Dogon sind Studien-Reisende – jährlich besuchen rund 75.000 Ausländer die Region – ihre einzige Einnahme-Quelle außer karger Landwirtschaft. Zwar blieben sie mangels Infrastruktur bislang von Auswüchsen des Massen-Tourismus verschont, doch der Zustrom wirkt sich auf das Sozialgefüge aus.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Präsentation der "Sammlung Paul Garn" mit afrikanischen Bronzen der Dogon- und Benin-Kultur in der Galerie Peter Herrmann, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Königsstadt Naga” in Berlin über die antike ägyptisch-schwarzafrikanische Mischkultur des Reiches von Meroë im heutigen Sudan
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Momente des Selbst: Porträt-Fotografie und soziale Identität” mit afrikanischer Fotografie in The Walther Collection, Neu-Ulm.
Heilpflanzen für heilige Handlungen
Aus dem Dilemma zwischen Stagnation in Armut einerseits und Identitätsverlust andererseits soll nachhaltiger Tourismus herausführen: Kleine lokale Museen werden eingerichtet, um die Bevölkerung anzuhalten, sich mit ihrer eigenen Kultur zu beschäftigen.
Dem dienen auch botanische Gärten, in denen traditionelle Heilpflanzen wachsen, die man für heilige Handlungen benötigt. Dennoch wenden sich viele Dogon von ihrer Mythologie ab, die um den Schöpfergott Amma kreist, und Islam oder Christentum zu.
Was sie nicht hindern muss, ihre Kultur zu bewahren – wie in anderen säkularisierten Weltgegenden. Dass sie unbedingt erhaltenswert ist, steht außer Frage. Die beantwortet der überbordende Formenreichtum der Dogon-Arbeiten von selbst. Ohne sie hätte die westliche Moderne völlig anders ausgesehen: Diese Werke sind zweifellos Weltkunst im emphatischen Sinne.